Wunder der nahen Natur

Dominik Eulberg, "Mikroorgasmen überall. Von der Raffinesse und Mannigfaltigkeit der Natur vor unserer Haustür". € 25,70 / 350 Seiten. Eichborn, Frankfurt am Main 2021"
Cover: Eichborn

Ein hauptberuflicher Techno-Produzent, der sich nebstbei im Naturschutz engagiert – diese Kombination kommt weltweit eher selten vor. Der deutsche DJ Dominik Eulberg ist ein Vertreter dieser raren Spezies. Das wäre aber noch kein Grund, seinen Erstling Mikroorgasmen überall zu einem der sechs Wissensbücher des Jahres 2021 zu wählen.

Das liegt zum einen daran, dass sich der studierte Biologe in der uns umgebenden Natur exzellent auskennt. Zum anderen kann der ehrenamtliche Fledermausbotschafter des Naturschutzbunds Deutschland aber auch begeisternd über alle möglichen Tiere und Pflanzen schreiben, die in unseren Gefilden zu bestaunen sind.

In einem Interview meinte Eulberg, dass er nur ein Fernglas brauche, um wirklich glücklich zu sein. Die fast 60 Texte über alles, was kreucht und fleucht, vermitteln diese Freude auf mitreißende Weise, sind buchstäbliche Augen- und Ohrenöffner und regen dazu an, dem Gelesenen selbst in der Natur nachspüren zu wollen, mit oder ohne Mikroorgasmen. (tasch)

Die Lust am Untergang

Katie Mack, "Das Ende von allem". € 22,70 / 270 Seiten. Piper, München 2021
Cover: Piper

Als ob die Zeiten nicht schon dystopisch genug wären – die US-Kosmologin und Wissenschaftskommunikatorin Katie Mack hätte sich in ihrem ersten Buch kein Thema suchen können, bei dem mehr Endzeitstimmung aufkäme: Es geht um das Ende von allem. Schon auf den ersten paar Seiten wird klar, dass Mack durchaus Lust am Untergang hat: "Es kann auf eine morbide Weise verführerisch sein, über Prozesse nachzudenken, die mächtig und unaufhaltsam, aber mathematisch genau beschreibbar sind", schreibt Mack zu Beginn des Buches, um dann die große Brücke vom Big Bang zum Hitzetod und anderen Szenarien zu schlagen, in denen das Universum sein Ende finden könnte.

Noch ist nicht entschieden, welche Todesursache das Universum letztlich dahinraffen wird, doch die Kosmologie hat in den vergangenen Jahren erstaunliche Fortschritte darin erzielt, sich den allerletzten Dingen zu nähern. Mack stellt fünf der gängigsten Untergangsszenarien vor und führt allgemein verständlich in jene Argumentationen ein, die jeweils dafür sprechen, und in solche, die das Gegenteil behaupten.

So unterschiedlich diese Apokalypsen sind, es eint sie, dass das Universum irgendwann ein Ende finden wird. "Ich habe in der aktuellen kosmologischen Literatur keine seriöse These gefunden, dass das Universum unverändert für immer fortbestehen könnte", schreibt Mack. In ihrer Erzählung wird nicht nur deutlich, wie unausweichlich der Untergang ist, sondern auch, wie wunderschön und erstaunlich das Universum ist. Macks Appell lautet denn auch: "Erforschen wir es – solange wir noch können." (trat)

Infektiöse Impulse

Daniela Angetter-Pfeiffer, "Pandemie sei Dank". € 25,– / 254 Seiten. Amalthea, Wien 2021
Cover: Amalthea Verlag

Masken, Quarantänen, Reisebeschränkungen und Abstandsregeln sind alles andere als neu. In früheren Zeiten waren es Pest, Pocken, Cholera, Tuberkulose oder die Spanische Grippe, die Städte, Regionen oder die ganze Welt in Atem hielten – und teilweise strenge Maßnahmen nötig machten.

Die Wiener Historikerin Daniela Angetter-Pfeiffer geht in ihrem neuen Buch der Frage nach, was von diesen vergangenen Seuchen in Österreich geblieben ist. Ihr Fazit: Wir verdanken diesen schrecklichen Krankheiten viel. Insbesondere in Wien sind der Ausbau des öffentlichen Gesundheitssystems, die moderne Trinkwasserversorgung oder die Errichtung sozialer Wohnbauten eng mit dem Kampf gegen Seuchen verknüpft. Ernüchternde Parallelen zur Corona-Krise finden sich übrigens auch: Maskenverweigerer, Impfskeptiker und Verschwörungstheoretiker sind ebenfalls keine Erfindungen des 21. Jahrhunderts.

Angetter-Pfeiffers Buch wurde zum Wissenschaftsbuch des Jahres in der Kategorie Medizin/Biologie nominiert. Das Voting zur Initiative des Wissenschaftsministeriums läuft noch bis 7. 1. (dare)

Kluge Kritik an der KI

Gerd Gigerenzer, "Klick: Wie wir in einer digitalen Welt die Kontrolle behalten und die richtigen Entscheidungen treffen", € 24,70 / 416 Seiten. C. Bertelsmann, München 2021
Cover: c. Bertelsmann

Die digitale Transformation unserer Lebenswelt ist in vollem Gange. Die neuen Algorithmen der künstlichen Intelligenz versprechen, unser Dasein einfacher zu machen, egal ob es nun um die Partnersuche geht, um die Steuerung unseres Haushalts durch diverse smarte Geräte oder um das Lenken eines Fahrzeugs. Doch wie berechtigt sind diese Hoffnungen? Und welche Fallen verstecken sich hinter all den verlockenden Angeboten?

Der deutsche Psychologe Gerd Gigerenzer, einer der renommiertesten Vertreter seines Faches, liefert in seinem neuen Bestseller Klick die wichtigsten Antworten auf diese drängenden Fragen, vor der sowohl jeder Einzelne von uns steht als auch die Gesellschaft als Ganzes.

Gigerenzer zeigt im ersten Teil seines neuen Buchs anhand konkreter Beispiele wie dem Onlinedating oder der Gesichtserkennung die Grenzen der künstlichen Intelligenz schonungslos auf, ehe er im zweiten Teil die vielfältigen Risiken der Digitalisierung hellsichtig analysiert. Diese doppelte Perspektive macht Klick zu einem der wichtigsten Wissenschaftsbücher des Jahres. (tasch)

Relative Realitäten

Carlo Rovelli, "Helgoland". € 22,70 / 208 Seiten. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2021
Cover: Rowohlt

Der Zustand, in dem sich die Quantenphysik nun schon seit einem Jahrhundert befindet, ist gleichermaßen faszinierend wie frustrierend: Sie ist zwar das am präzisesten getestete und am häufigsten angewendete Machwerk der Wissenschaft, doch über ihre fundamentalen Grundlagen besteht immer noch weitgehende Uneinigkeit.

Das fängt etwa mit der Frage an, wie der mathematische Formalismus der Quantenphysik philosophisch zu interpretieren ist. Die Auffassungen reichen von einem spontanen Kollaps bei der Messung bis zur Aufspaltung in unendlich viele Universen. Der italienische Quantenphysiker und begnadete Wissenschaftsvermittler Carlo Rovelli legt in seinem neuen Buch eine weitere Interpretation vor, um die Quantenphysik weltanschaulich begreifbar zu machen. In dieser relationalen Deutung existieren keine universellen Fakten. Eigenschaften manifestieren sich jeweils in Relation zu etwas anderem.

Titelgebend für das Buch ist jene Nordseeinsel, die der Physiker Werner Heisenberg 1925 für einen Kuraufenthalt besuchte und wo er die Grundlagen jener Theorie schuf, deren Interpretation bis heute Schwierigkeiten macht. (trat)

Hört den Tieren zu!

Angela Stöger, "Von singenden Mäusen und quietschenden Elefanten". € 24,– / 208 Seiten. Brandstätter, Wien 2021
Cover: Brandstätter

In menschlichen Begriffen kann man sagen, dass der Trauerdrongo – eine Sperlingsart aus Afrika – die Erdmännchen gewaltig an der Nase herumführt. Der perfide Vogel lernt dutzende Warnrufe der Nager, um sie von ihrer Beute wegzulocken und diese zu klauen.

Angela Stöger kennt viele solcher Beispiele für das oft überraschende Kommunikationsverhalten von Tieren. In ihrem mit Anekdoten gespickten Buch zeigt die Bioakustikerin und Verhaltensforscherin, wie man den Mechanismen ihrer "Sprachen" auf die Spur kommen kann. Kleiner Spoiler: Erfahrung, Geduld und Unvoreingenommenheit sind nötig.

Ein Fokus liegt auf Elefanten, einem Forschungsschwerpunkt Stögers. Wie Papageien imitieren sie Töne – und das recht kreativ: Gibt das akustische Repertoire kein "U" her, wird der Rüssel ins Maul gesteckt, um die Mundhöhle zu modifizieren. Besonderes Feature des Buches: QR-Codes, die Hörproben von Tierlauten zugänglich machen. "Hört wieder mehr hin!", lautet Stögers Aufruf, sich stärker mit unseren Mitbewohnern auf der Erde auseinanderzusetzen. Das Buch wurde zum Wissenschaftsbuch des Jahres des Wissenschaftsministeriums nominiert. (pum)

4,6 Milliarden Jahre Leben

Henry Gee, "Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens". Aus dem Englischen von Alexander Weber. € 20,95 / 304 Seiten. Hoffmann und Campe, München 2021
Cover: Hoffmann und Campe

Zwei der erfolgreichsten Wissenschaftsbücher der vergangenen Jahrzehnte erzählten "kurze Geschichten": Stephen Hawking fasste in Die kurze Geschichte der Zeit (1988) das kosmologische Wissen insbesondere über die Zeit nach dem Urknall zu einem Bestseller zusammen. Und Yuval Noah Harari gelang mit Eine kurze Geschichte der Menschheit (2011) ebenfalls ein globaler Bucherfolg.

Der britische Paläontologe und Evolutionsbiologe Henry Gee hat sich in Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens der Zeit dazwischen angekommen. Konkret erzählt er in zwölf Kapiteln die letzten 4,6 Milliarden Jahre auf unserem Planeten von der Entstehung der ersten Lebewesen bis zu jener des modernen Menschen.

Was sich da so alles an seltsamen Lebewesen auf unserem Planeten tummelte, wie das Leben selbst die Lebensbedingungen veränderte und es fünf Mal aus unterschiedlichsten Gründen zu globalen Massensterben kam, erzählt der leitende Nature-Redakteur höchst kenntnisreich und macht einmal mehr deutlich, wie kurz und vergänglich die Existenz des Menschen auf der Erde ist. (tasch)

Licht und Schatten in der Physik

Tobias Hürter, "Das Zeitalter der Unschärfe". € 25,70 / 400 Seiten. Klett-Cotta, Stuttgart 2021
Cover: Klett-Cotta

In der Physik beginnt das 20. Jahrhundert mit einem "Akt der Verzweiflung", der in einer Revolution münden sollte: Der Berliner Ordinarius Max Planck ersinnt einen Trick, um die Schwarzkörperstrahlung berechnen zu können – und führt das Konzept der Quanten ein. Seine Hoffnung, dass sein provisorischer Kunstgriff bald obsolet werden würde, sollte sich nicht erfüllen. Stattdessen wurde Planck zum Wegbereiter einer neuen wissenschaftlichen Ära.

Diese denkwürdige Begebenheit macht der deutsche Wissenschaftsjournalist Tobias Hürter zu einem Ausgangspunkt für eine faszinierende Reise durch das goldene Zeitalter der Physik, in dem sich umwälzende Entdeckungen, politische Katastrophen und persönliche Schicksale wegweisender Wissenschafterinnen und Wissenschafter untrennbar miteinander verweben.

In zahlreichen kurzen Kapiteln stellt Hürter die wichtigsten Protagonisten und ihre Errungenschaften vor und zeichnet nach, wie die Physik in einem Zeitalter der Extreme zu neuen Höhenflügen aufstieg – und in diesen "glänzenden und dunklen Jahren" letztlich auch ihre Unschuld verlor. (dare)

Essen fürs Gehirn

Manuela Macedonia, "Iss dich klug!". € 24,00 / 208 Seiten. Ecowin, Wals bei Salzburg 2021
Cover: Ecowin

Wie man das Gehirn mit Bewegung auf Trab hält, hat die an der Universität Linz tätige Neurolinguistin Manuela Macedonia in früheren Büchern mitreißend dargelegt. In ihrem jüngsten Werk wendet sie sich nun den Auswirkungen der Ernährung auf das Gehirn zu. Die negativen Auswirkungen einer zu kalorienreichen Ernährung auf die Denkleistung und psychische Entwicklung werden dabei ebenso diskutiert wie Bestandteile von Nahrungsmitteln, die der Gehirnleistung förderlich sind.

Macedonia plädiert dafür, nicht zu dogmatisch der einen oder anderen Ernährungslehre zu folgen. Ihr Motto lautet: "Ich esse nicht für meine Figur, ich esse für mein Gehirn!"

Die Forscherin beschäftigt sich in ihrem Buch auch mit der Frage, warum das Mikrobiom im Darm, also die Gesamtheit aller Mikroorganismen, so wichtig ist für das Gehirn. Eine zentrale Rolle dabei spielt das darmeigene Nervensystem – das sogenannte Bauchhirn. So wie im Gehirn werden auch im Bauchhirn Botenstoffe wie Serotonin produziert. Das Darmserotonin wird auch an das Gehirn geschickt und kann unsere Stimmungslage beeinflussen. (trat)

Die Erde im Umbruch

Markus Eisl und Gerald Mansberger, "Klima im Wandel". € 49,95 / 256 Seiten. eoVision, Salzburg 2021
Cover: eoVision

Dass die menschlichen Auswirkungen auf den Planeten bis ins All sichtbar sind, haben bereits frühere Bildbände von Markus Eisl und Gerald Mansberger eindrücklich vor Augen geführt. In ihrem aktuellen Buch haben sie explizit den Klimawandel in den Blick genommen und dokumentieren dessen Ursachen und Auswirkungen anhand zahlreicher Satellitenbilder und Grafiken.

Der Bildband widmet sich dem komplexen Phänomen aus unterschiedlichen Perspektiven und versucht damit, mit ausgewählten Schlaglichtern Aspekte des Klimawandels zu vermitteln – wie etwa die Rodung von Regenwäldern. Dabei wird klar, dass die globale Erwärmung nicht nur messbar, sondern bereits heute vielerorts deutlich sichtbar ist: durch den Rückgang der Gletscher, die Anstiege der Meeresspiegel bis hin zur Zunahme von extremen Wetterereignissen.

Ausgehend von einem zeitlichen Rückblick und einer aktuellen Bestandsaufnahme, wagen die Autoren auch einen Blick in die Zukunft. Sie wollen nicht nur ein Verständnis für die Gefahren und Risiken des Klimawandels fördern, sondern auch "Mut machen, neue Entwicklungen aktiv mitzugestalten". (trat)

(Tanja Traxler, Klaus Taschwer, David Rennert, Alois Pumhösel, 18.12.2021)