Unsere Erlebnisse seit Beginn des Lockdowns fallen eher bescheiden aus. Die meisten spielen sich vor unseren Bildschirmen ab. Lockdownerlebnisse, Lockdownspaß und Lockdownkanzlerrücktritte mit Wechselbestimmungen und Wechselministern.

Auch die Großeinkäufe in Drogerien und ausgedehnte Shoppingtouren in Bäckereien zählen als Lockdownspaß. Online erwarten sich Käufer, bevor sie Waren ganz ohne Gedränge in virtuelle Warenkörbe ziehen, meist Rabatte und Prozente. Die Prozentangaben der Geschäfte on- und offline werden jedoch oft falsch geschrieben, das heißt ohne Leerzeichen oder Abstand zwischen Zahl und Prozentzeichen. 100%ig kann man das aber so nicht sagen, da das wiederum ein Wort und richtig ist.

Prozent kommt vom Lateinischen "pro" und "centum", "von hundert", manchmal liest man im Deutschen noch die Abkürzung v. H. Wenn man in Italien 100 Prozent gibt und sagt, also "cento percento", klingt es melodisch. Die handschriftliche Abbreviatur "cto" von hundert (cento) wurde mit dem Entstehen der ersten Banken in Florenz und Siena im 15. Jahrhundert immer gebräuchlicher. Daraus entstand die heutige Form des Prozentzeichens. Aus dem "c" wurde der obere linke Kreis, aus dem "t" der Schrägstrich und aus dem "o" der rechte untere Kreis. Ein Beweis dafür, dass aus unleserlichen Handschriften – schriebe ich dies handschriftlich, wüssten Sie vielleicht, was ich meine – Gutes entstehen kann.

Von der Grammatikfrage zum Gerücht

Meine Hebräischlehrerin schreibt ebenso schwungvoll. Wenn auch nicht klassisch leserlich, doch schön, im Gegensatz zu mir und meinen Tafelbildern. Das Lesen auf Hebräisch ist an sich herausfordernd. Nicht nur, dass alles von rechts nach links zu lesen, zu schreiben und zu denken ist. Auch die Vokale müssen ergänzt werden und die Wörter lassen sich nicht freiwillig aufgrund von Ähnlichkeit erraten. Es gibt aber auch Vorteile. So besteht keine Groß- und Kleinschreibung – außer unabsichtlich in unseren Heften – und die Monate heißen wie im Deutschen. Das Wort "sein" existiert nicht in der Gegenwart. Es genügt also: "Ani Barbara, אני ברברה" "Ich (bin) Barbara", oder "Ani babait, אני בבית" "Ich (bin) zu Hause (im Haus)", zu sagen, was wir Lockdown-bedingt kaum mehr dazusagen müssen. Bait kennt man in Wien unter anderem von dialektal "Beisl", das sprachlich über das Jiddische zu uns gekommen ist. Passend zur Weihnachtszeit finden wir Bait auch in Bethlehem, Haus des Brotes.

Angenehm, aber erst einmal zu lernen, ist auch, dass sich Präpositionen mit Pronomen direkt verbinden, so sind "gegenüber von mir", "neben dir (mit einem Unterschied männlich/weiblich)", "bei ihnen" und so weiter im Hebräischen jeweils nur ein Wort. Als wir in der Stunde vor dem Lockdown einige der Präpositionen durchgingen, landeten wir bei diesem ב, bet, das "b" – oder je nach Vokalisierung mit bestimmtem Artikel auch "ba" – gelesen wird. Wie in "im Haus" eben. Es ist übersetzt die Präposition "in", die lokal, wie hier, aber auch zeitlich, etwa "im Winter", und darüber hinaus auch für viel mehr Zeitangaben als bei uns, verwendet wird.

Verbindet sich dieser Buchstabe bet nun mit der 1. Person Singular, ich, also ב und אני ("b" und "ani"), wird daraus einfach בי: "bi". Wie gesagt, es bedeutet hier etwas ganz anderes als unser "bi", wie eigentlich fast alles auf Hebräisch. Nun kam in mir (hier fällt es mir natürlich ein) der Wunsch auf, einen sinnvollen Satz damit zu bilden, doch mir fiel nichts ein, außer: "Das Baby in mir." Woraufhin mich alle ansahen, was im Online-Unterricht nicht auffallen würde (Starren auf ein Eck am Bildschirm), im Klassenraum aber dann doch. Nein, das könne man so nicht sagen, erklärte die Lehrerin, man verwende dieses "in mir" eher im übertragenen Sinne, "der Glaube in mir" und "die Hoffnung in mir".

Da meine Mitlernenden wissbegierig und nicht schüchtern sind, fragten sie mich daraufhin: "Bist du schwanger?" Ich wurde rot und schüttelte verneinend den Kopf, musste dann jedoch wegen eines Arzttermins (es war wirklich ein Zufall) zehn Minuten früher die Stunde verlassen, was meiner Glaubwürdigkeit nicht weiter dienlich war. So schnell entstehen Gerüchte.

Sprachen lernen heißt auch alle Ausnahmen und Besonderheiten lernen.
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Schubladendenken im britischen Internat?

Weihnachtszeit. Eine norwegische Serie, die von genau dieser Vorweihnachtszeit handelt, wurde auf Deutsch synchronisiert. Bei einem Satz schrillten bei mir die Weihnachtsalarmglöckchen in den Ohren: "Ich hätte mir nicht gedacht, dass du die Menschen so schnell in Schubläden packst". Schubläden oder Schubladen? Schiebbare Läden, das ist keine schlechte Idee. Aktuell würden Schubläden, bei den Jungen einfach Schubshops, gewiss gerne von einigen Besitzern in Lockdown-freie Zonen und Länder – nicht nur in die virtuellen – verschoben werden. Doch sie werden sich mit der Verschiebung ins Internet fürs Erste begnügen müssen.

Schon in den 90er-Jahren fürchtete man sich in weiser Voraussicht vor dem Internet, wie ein Artikel im "Kurier" über Prinzessin Diana berichtet:

(…) Um ihren Söhnen William und Harry die Nervosität vor dem Internet zu nehmen "hat sie auf der Fahrt immer laut mitgesungen und wir holten die Sicherheitsleute ins Auto, die dann auch mitsangen."

Es bleibt zu hoffen, dass es (kein) Internet im Internat gab. Als ich soeben Internat schreiben wollte, tippten auch meine Finger Internet. Verhext. Wir werden vielleicht langsam zu Bots und die Anhänge unserer E-Mails erleben dann Sandboxing (es ist nicht das, wonach es klingt, für die infizierten E-Mails aber ähnlich unangenehm. Es handelt sich dabei um einen isolierten Bereich, in dem jegliche Maßnahmen keine Wirkung nach außen tragen). Schöner sind sowieso, falls leserlich, handgeschriebene Weihnachtsbriefe und Postkarten mit Wichteln.

Es wird langsam Zeit

Fantasiewesen wie Trolle, Wichtel und mehr haben seit jeher auch einen wichtigen Platz in unseren Sprachen. Wenn Regen und Sonne gleichzeitig eintreffen, so frisieren sich die Hexen, sagt man in einigen Regionen Norditaliens: "Quando piove col sole si pettinano le streghe." Ein seltenes Spektakel. Apropos Italien: Das italienische Äquivalent zu 2G ist der Super-Green-Pass. Es ist interessant zu sehen, wie die verschiedenen Länder und Sprachen mit dem sprachlichen Bedarf, der durch die Epidemie entstanden ist, umgehen, von Umdeutung, über Wortschöpfung bis hin zu mehr oder weniger kreativen Abkürzungen.

Nun gut, "gehen wir langsam?" Vor ein paar Wochen fragte das jemand aus der Verwandtschaft nach dem Besuch im Gasthaus in die Runde. Gemeint war langsam als Gegenteil zu schnell. Verstanden wurde "schön langsam", im Sinne von "allmählich". So viel macht ein kleiner Unterschied in der Betonung aus. Da uns bei der schriftlichen Kommunikation wichtige Mittel des Sich-Verständigens wie Betonung, Blickverhalten, Mimik, Gestik und der interpersonale Raum (der durch die Pandemie zumindest kurzfristig weltweit Veränderungen erfahren hat) fehlen, gestaltet sie sich oft als schwierig. Noch mehr Missverständnisse können entstehen. Die Hoffnung ist in mir auf ein baldiges Ende der Pandemie und den Anfang vieler persönlicher Gespräche. (Barbara Dvoran, 17.12.2021)