Notre-Dame wird außen so aussehen wie früher, über den Innenraum wird heftig gestritten.

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"Was der Brand verschont hat, will nun die Diözese zerstören!" – unter diesem reißerischen Titel wendet sich eine Hundertschaft von Intellektuellen an die französische Öffentlichkeit, um die vor zweieinhalb Jahren ausgebrannte Kathedrale Notre-Dame de Paris zu "retten". Das innenarchitektonische Projekt verwandle "Albernheit in Kitsch", schreiben etwa der Kulturerbe-Spezialist Stéphane Bern oder der Philosoph Alain Finkielkraut. Ihr Echo ist bis nach London zu hören, wo der konservative Daily Telegraph schreibt, Notre-Dame werde zu einem "Disneyland der politischen Korrektheit".

Nach der Entscheidung für eine originalgetreue Restauration des Dachstuhls erhitzt nun der innere Wiederaufbau des Kirchenschiffs die Gemüter. Dabei wollte Pater Gilles Drouin bloß mit der Zeit gehen. Vor einer Woche unterbreitete der Beauftragte der Pariser Diözese seine Vorschläge: Die Millionenschaften an Besuchern sollen ab 2024 nicht mehr von der Seite, sondern durch das Hauptportal in das Gotteshaus strömen – und damit ein Gefühl für den Gang "vom Schatten bis ins Licht" des Altars erhalten.

Das ginge ja noch – doch Drouin will auch das Dutzend seitlich gelegener Beichtkapellen in einen ökologisch anmutenden "liturgischen Weg" integrieren; flankiert würde dieser durch Werke der zeitgenössischen Kunst – etwa von Anselm Kiefer oder Louise Bourgeois. Dazu sollen Bibelzitate in vielen Sprachen an die Wände projiziert werden.

Damit nicht genug: Auch die Innenbeleuchtung soll radikal geändert werden. Sie soll nicht mehr die herrlichen Dachgewölbe beleuchten, also gleichsam zu Gott streben, sondern das halbe Kirchenschiff in Dunkelheit tauchen. Drouin will nur noch die Betenden bescheinen – und zwar nicht wie im Mittelalter mit Kerzenlicht, sondern mit kleinen, in die Lehnen der Kirchbänke eingelassenen Lämpchen. In den Internetforen wird gehöhnt, das ermögliche keine innere Einkehr, sondern gleiche eher der "Landepiste eines Flughafens".

Mehrzweckhalle ...

Zu guter Letzt sollen die Kirchenbänke mit Rollen versehen werden, damit sie bei besonderen Anlässen bewegt werden können. "Notre-Dame – eine Mehrzweckhalle!", entrüsteten sich die Gegner, die schon den identischen Wiederaufbau des Dachreiters von Eugène Viollet-le-Duc durchgesetzt hatten. Nun behaupten sie, im Kirchenschiff werde "eine jahrhundertealte Harmonie zerstört".

Drouin verteidigt sich, ihm schwebe keineswegs ein Konzertsaal oder eine Theaterbühne vor, sondern ein "liturgischer Raum". Religionshistoriker unterstützen ihn mit dem Hinweis, dass Kathedralen schon im Mittelalter immer wieder verändert worden seien: In Straßburg etwa hat man zudem unlängst entdeckt, dass die steinernen Sichtmauern früher einmal bemalt gewesen seien. Der ehemalige Louvre-Direktor Henri Loyrette erklärte: "Ob mit zeitgenössischer Kunst oder nicht: Eine strikt identische Renovierung wäre eine Kapitulation."

Doch die Kritiker – sie bilden eine geradezu heilige Allianz aus säkularen Puristen und kirchlichen Traditionalisten – verschaffen sich bedeutend mehr Gehör. Einer von ihnen twitterte, man müsse schon froh sein, dass wenigstens die Kirchenfenster nicht entfernt würden. Und der rechte Präsidentschaftskandidat Éric Zemmour fordert kategorisch: "Notre-Dame muss Notre-Dame bleiben!"

... Lämpchen und Rollen

Die Nationale Kommission für Kulturerbe und Architektur hat Drouins Konzept geradezu zerpflückt: Lämpchen und Rollen lehnt sie ab; und die alten Heiligenstatuen in den Seitenkapellen sollen bleiben, was moderne Kunstwerke dort unmöglich machen würde.

Die letzte Entscheidung liegt aber ohnehin bei Kulturministerin Roselyne Bachelot. Sie folgt einem eher konservativen Geschmack und damit vermutlich den Empfehlungen der Kommission. In die gleiche Richtung neigt neuerdings auch Präsident Emmanuel Macron. Vor zwei Jahren hatte er noch eine "zeitgenössische architektonische Geste" angeregt; doch das Umfeld hat sich geändert: Im angehenden Wahlkampf geben offen reaktionäre Kandidaten wie Zemmour den Ton an.

Der Kulturexperte Bern meint nun versöhnlich, er sei "nicht gegen Verbesserungen, nur gegen Entstellungen". Aber er macht sich auch zum Sprecher der schweigenden Mehrheit: "Ich denke, die Leute wollen Notre-Dame wieder so vorfinden, wie sie sie gekannt hatten." (Stefan Brändle aus Paris, 16.12.2021)