Unendlich müde ist die Wachskompanie kollektiv zusammengesackt.
Foto: Stefan Altenburger / Courtesy of studio rondinone

Am liebsten würde man sich dazusetzen und kurz rasten. 14 Figuren ruhen regungslos mit geschlossenen Augen an der Wand oder mit angezogenen Beinen mitten im Raum. Sie wirken nicht nur in sich versunken, sondern unendlich müde. Eine Schwere liegt in der Luft, durch die getönten Glasscheiben dringt nur trübes Licht.

Der Schweizer Künstler Ugo Rondinone verteilt seine Skulpturen überall in der Halle im Erdgeschoß des Belvedere 21. Als Wachsabgüsse von Tänzern und Tänzerinnen einer kanadischen Dance-Crew abgenommen, hat er sie mit Erdpartikeln verschiedener Weltregionen vermischt und zu nackten Puppen zusammengesteckt.

Zwischen zwei tonnenschweren und fünf Meter hohen Wänden – die mit karger Erde paniert sind und wie vertikale Acker diagonal in den Raum schneiden – ist die Kompanie kollektiv zusammengesackt. Im Schutz dieser minimalistischen Landschaft hat der Konzept- und Installationskünstler einen Kosmos der Zeitlosigkeit erschaffen. Bunte Glasuhren ohne Zeiger geben den Takt an. Nur zwei kreisrunde Aussparungen in den erdigen Wänden weisen auf Sonnenaufgang und Sonnenuntergang hin. Ein Tag im Schoß von Mutter Erde.

14 nackte Wachsfiguren ruhen zwischen zwei tonnenschweren Erdwänden.
Foto: Stefan Altenburger / Courtesy of studio rondinone

Regenbogen bis Romantik

Obwohl die Ausstellung schon für Frühjahr 2020 geplant war, trifft sie den Puls der Zeit exakt: Dunkelheit, Winter, Pandemie. Juhu! Es ist in Österreich die erste museale Einzelausstellung des 1964 geborenen Künstlers mit starkem Wien-Bezug. Er war nicht nur als Assistent von Hermann Nitsch tätig, sondern studierte auch an der Hochschule für angewandte Kunst bei Oswald Oberhuber und Ernst Caramelle. 2007 vertrat er dann die Schweiz bei der Biennale in Venedig. Seit 1997 lebt er in New York.

Dort möchte Rondinone seine bekannte Regenbogensammlung irgendwann ausstellen, die er in verschiedenen Städten von Kindern an Volksschulen gestalten ließ. In Wien zog sich dieses Jahr (ursprünglich hätte die Aktion zeitgleich mit der Schau stattfinden sollen) eine 70 Meter lange Installation mit den Zeichnungen vom Schloss Belvedere bis zum Pavillon des Belvedere 21 im Schweizergarten. Ein Zeichen für Toleranz, das im Werk des queeren Künstlers immer wieder auftaucht.

Deep und ästhetisch: Rondinones Konzeptkunst funktioniert auf allen Ebenen.
Foto: Stefan Altenburger / Courtesy of studio rondinone

Akt im Mondschein

Der Kontrast dieser heiteren Zeichnungen zu der aktuellen Installation könnte nicht größer sein. Rondinones gesamtes Werk ist von Dualismen durchzogen: bunt und düster, Natur und Körper, figurativ und abstrakt. Auf seiner Homepage kann man zwischen "Tag" und "Nacht" wechseln: In der ersten Kategorie finden sich neonbunte Steine, die er in der Wüste Nevadas aufstapeln ließ. In der anderen fast brachial-graue Skulpturen aus Stein.

Dass die Ausstellung im Belvedere 21 eher in die zweite Kategorie fällt, ist offensichtlich. Auch die ortsspezifische Arbeit der getönten Glaswände When the sun goes down and the moon comes up gaukelt bewusst den Einbruch der Nacht vor.

"Akt in der Landschaft": Der Titel der Schau könnte nicht deskriptiver sein.
Foto: Stefan Altenburger / Courtesy of studio rondinone

Wie spät war es doch gleich?

Hier komme der Romantiker Rondinone durch, wie Kurator Axel Köhne andeutet. Zwar stelle der Künstler immer wieder kunsthistorische Bezüge zu Strömungen wie Minimal Art, Land-Art oder Arte povera her und bediene sich – wie der Titel der Ausstellung Akt in der Landschaft voraussagt – Sujets aus Malerei und Bildhauerei. Dennoch könne man ihn am konkretesten in der Romantik verorten, so Köhne. Wie bei Caspar David Friedrich steht bei ihm das Individuum in der einsamen Landschaft.

Je länger man sich zwischen den ruhenden Figuren bewegt und ebenfalls zwischen die schützenden Erdwände zurückzieht, desto tiefer sinkt man in diesen Kosmos. Wie spät war es doch gleich? Trotz der konzeptionellen Herangehensweise sind Rondinones Werke zugänglich und funktionieren auf mehreren Ebenen: im deepen Kern genauso wie an ihrer ästhetischen Oberfläche. Gerahmte und mit Bleistift verfasste Gedichte bilden eine poetische Klammer. Ist das in der Ecke ein Regenbogen? (Katharina Rustler, 16.12.2021)