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Der zweite Strafsenat des Berliner Kammergerichts unter Vorsitz von Richter Olaf Arnoldi ist überzeugt, dass der sogenannte Tiergarten-Mord im Sommer 2019 von staatlichen Stellen Russlands angeordnet wurde.

Foto: Reuters / Christophe Gateau

Was im Angeklagten vorgeht, als Richter Olaf Arnoldi am Mittwoch das Urteil verkündet, bleibt im Dunkeln. Der Mann ist klein, trägt Maske und verschwindet fast im sogenannten "Sicherheitskäfig" im Saal 700 des Berliner Gerichts.

Aber er hört natürlich die Worte des Richters: "Der Angeklagte ist schuldig des Mordes, er wird zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, die Schuld wiegt besonders schwer." Das bedeutet: Er wird kaum nach 15 Jahren freikommen.

Aus Sicht des Gerichts ist klar, wer da nun ins Gefängnis gehen wird: Wadim Krasikow, ein 56-jähriger Russe. Er hat am 23. August 2019 den 40-jährigen Georgier Selimchan Changoschwili, der im zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft hatte, im "Kleinen Tiergarten" mit mehreren Schüssen regelrecht hingerichtet und war dann mit einem Fahrrad geflohen.

Doch der Mann, der auf der Anklagebank sitzt, behauptet nach wie vor, er sei ein ganz anderer: Wadim S., 50 Jahr alt, Bauingenieur. Verbindungen zum russischen Geheimdienst bestreitet er. In Berlin sei er 2019 bloß als Tourist gewesen.

Fahrrad in der Spree

Dass er überhaupt 20 Minuten nach der Tat gefasst wurde, ist zwei jungen Männern zu verdanken. Die saßen an jenem heißen Augusttag nach einer Wohnungsbesichtigung unweit des Tatorts an der Spree. Dort beobachteten sie, wie sich ein Mann im Gebüsch umzog, dann einen Sack und ein Fahrrad in die Spree warf. Sie riefen die Polizei.

Diese ermittelte nach der Festnahme des Mannes zunächst in alle Richtungen, doch im Dezember 2019 schaltete sich der für Staatsschutz zuständige Generalbundesanwalt ein. Denn es hatte sich herausgestellt, dass der Mann nicht "Tourist" Wadim S. war, wie er selbst behauptete. Sondern eben Wadim Krasikow, ein Offizier des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB.

Der vorsitzende Richter Arnoldi verweist in diesem Zusammenhang auf Zeugenaussagen von Verwandten, Fotos und auch auf Gutachten zur Gesichtserkennung.

Nach dem Urteilsspruch geht Arnoldi zunächst auf den Mord ein und spricht von einem "zweifelsfreien Tatnachweis", zudem von einer "kaltblütigen Hinrichtung". Diese war während des Prozesses von vielen Zeugen beschrieben worden. Zudem, so Arnoldi, seien auch die Schmauchgutachten eindeutig.

Noch ruhiger wird es im Saal, als der Richter dann auf die Hintergründe der Tat zu sprechen kommt. Schon am ersten Prozesstag im Oktober 2020, bei Verlesung der Anklage, hatte ein Vertreter der Bundesanwaltschaft erklärt, man gehe davon aus, "dass der mutmaßliche Täter von staatlichen Stellen der Zentralregierung der Russischen Föderation" beauftragt worden sei, das Opfer zu "liquidieren".

Kein direkter Auftrag

Und dieser Sichtweise schließt sich das Gericht bei der Urteilsbegründung vollumfänglich an. Zwar sagt Arnoldi: "Einen direkten Auftrag haben wir nicht." Es seien jedoch "staatliche Stellen der Russischen Föderation gewesen", die den Befehl erteilt hätten. Der Täter handelte "im Auftrag der russischen Zentralregierung".

Um dies zu untermauern, führt der Richter einige Punkte an: Dem Täter seien einen Monat vor der Tat falsche Papiere ausgestellt worden, es habe keine persönliche Beziehung zwischen dem Opfer und seinem Mörder gegeben.

Krasikow, so Arnoldi, sei erst kurz vor der Tat in Deutschland eingereist, er hätte keine 40 Zentimeter lange Waffe (eine Glock 26 samt Schalldämpfer) mitführen können. Diese habe er erst in der deutschen Hauptstadt bekommen. Überhaupt, so Arnoldi: "Die Tat war durch in Berlin stationierte Helfer akribisch vorbereitet."

Fahrrad und E-Scooter, mehrere Sets an Kleidung, eine Perücke– alles sei bereitgestanden. Als Motiv nennt er "Vergeltung und Rache" für den Tschetschenienkrieg.

Bei der Aufklärung der Tat hat Russland, nach Worten des Richters, nicht kooperiert. Es fanden sich auch keine Belege für die Existenz eines "Touristen" Wadim S. – keine Steuernummer, keine Krankenbelege, kein Führerschein.

Putin spricht vom "Mörder"

Und Arnoldi nimmt direkt auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin Bezug. Der habe in zwei Pressekonferenzen das Opfer als "blutrünstigen Mörder" bezeichnet. "Die russische Gesetzeslage erlaubt das Töten von Terroristen im Ausland, es bedarf der Anordnung des Präsidenten", fügt Arnoldi noch hinzu und spricht ganz zum Schluss von "Staatsterrorismus". Es ist ein Begriff, der nicht oft in einem deutschen Gerichtssaal von der Richterseite her fällt.

Ob der Verurteilte in Revision gehen wird, wollte sein Anwalt Robert Unger kurz nach dem Urteil noch nicht sagen. Doch er betonte, dass der Richterspruch bloß "auf Indizien beruht" und es keine "tragfähigen Beweismittel" gebe.

Nach dem Urteil hat das deutsche Auswärtige Amt jedenfalls den russischen Botschafter einbestellt. Dabei wurde ihm mitgeteilt, dass zwei russische Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt würden. Das gab die neue Außenministerin Annalena Baerbock am Mittwoch bekannt.

Der Prozessausgang dürfte das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau nicht eben verbessern. "Wir halten dieses Urteil für eine voreingenommene und politisch motivierte Entscheidung, welche die ohnehin schwierigen deutsch-russischen Beziehungen erheblich belastet", erklärte der russische Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew. Wegen mangelnder Kooperation hatte die deutsche Regierung unter Angela Merkel bereits zwei russische Diplomaten ausgewiesen. (Birgit Baumann aus Berlin, 15.12.2021)