Der Booster schützt auch vor Omikron gut. In London bilden sich deshalb bereits lange Schlangen vor den Impfzentren.

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Omikron hält uns in Atem, ein neuerlicher Lockdown ist womöglich nicht auszuschließen. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) hat Fragen dazu bisher zwar nicht direkt beantwortet, doch Voraussagen für die Verbreitung sind düster. Österreich dürfte allein durch den kürzlich beendeten Lockdown einen Vorteil haben. In einem Online-Pressebriefing des deutschen Wissenschaftsdiensts SMC haben nun Experten die Lage analysiert. Die positive Nachricht: Impfungen helfen weiter, und auch bei neuen Medikamenten sieht es gut aus.

Frage: Die Voraussagen in Bezug auf Omikron sind düster. Ist die Situation wirklich so dramatisch?

Antwort: Leider ja. Das liegt daran, dass die Zeit, in der sich die Zahl der Fälle verdoppelt, extrem kurz ist, sie dauert nur zwei bis drei Tage, wie der Physiker Dirk Brockmann, Leiter der Projektgruppe Epidemiologische Modellierung von Infektionskrankheiten am Robert Koch-Institut in Berlin, betont: "Das ist drei- bis vielmal schneller als bisherige Varianten." Das spricht dafür, dass Omikron tatsächlich deutlich ansteckender ist. Gepaart mit seiner Fähigkeit, die Immunantwort besser zu umgehen, wird das zu deutlich höheren Infektionszahlen führen.

Frage: Wie kann man die Ausbreitung noch einbremsen?

Antwort: Brockmann meint dazu, dass das langfristig nicht möglich sein wird. Deshalb komme es darauf an, die Ausbreitung zu verlangsamen – Stichwort "flatten the curve". Dazu gehört die strenge Beibehaltung bisheriger Maßnahmen wie FFP2-Maske, Kontaktreduktion und regelmäßiges Testen trotz Impfung. Sandra Ciesek, Virologin am Universitätsklinikum Frankfurt, betont: "Vor allem im Pflegebereich muss man jede Maßnahme ausschöpfen. Das Gesundheitspersonal hat den Booster schon früh erhalten, die Wirkung gegen Omikron lässt da bald wieder nach. Fehlen die Vorsichtsmaßnahmen, könnten die Infektionen wieder in die Alten- und Pflegeheime getragen werden."

Frage: Soll man mit dem Booster auf den angepassten Impfstoff warten?

Antwort: Nein, auf keinen Fall. Denn der Schutz mit zwei Impfungen vor einer symptomatischen Infektion liegt nach vorläufigen Daten nach sechs Monaten nur noch bei etwa 35 Prozent. Das würde bald zu enormen Infektionszahlen führen, die das System überlasten würden, wenn man keine schützenden Maßnahmen ergreift. Sowohl Biontech/ Pfizer als auch Moderna arbeiten bereits an angepassten Vakzinen. Jedoch wären diese, falls tatsächlich nötig, frühestens im März 2022 verfügbar. Eine Booster-Impfung schützt dagegen sehr effizient vor symptomatischer Infektion. Allerdings lässt die Wirkung bereits nach drei Monaten wieder nach, wie erste Daten andeuten.

Frage: Einige wollen den Totimpfstoff. Wirkt dieser gegen Omikron?

Antwort: Christoph Neumann-Haefelin, Infektiologe am Universitätsklinikum Freiburg, geht nicht davon aus, dass Totimpfstoffe eine bessere Immunantwort bei Omikron liefern als mRNA-Vakzine, da auch sie mit dem Spike-Protein arbeiten. Zudem soll ihre Fähigkeit, die Langzeit-Immunantwort der T-Zellen anzuregen, nicht so groß sein wie die der mRNA-Vakzine. Es gebe noch nicht ausreichend Daten, aber er hofft, dass sie zumindest nicht schlechter wirken. Und Neumann-Haefelin betont, dass es "sicher gut wäre, an Impfstoffen weiterzuforschen, die breiter wirken und nicht nur mit dem Spike-Protein arbeiten. Das ändert zwar für Omikron nichts, doch im Hinblick auf potenzielle weitere Mutationen ist es enorm wichtig."

Frage: Zuletzt wurde von vielversprechenden Medikamenten berichtet. Wirken die auch bei Omikron?

Antwort: Davon ist auszugehen, betont Virologin Sandra Ciesek, vor allem bei dem Medikament Paxlovid von Pfizer. Es befindet sich bereits im Zulassungsprozess der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA). Die Tablette reduziert das Risiko eines Krankenhausaufenthalts, sofern man sie in den ersten fünf Tagen nach Infektion einnimmt, um knapp 90 Prozent. Diese Ergebnisse wurden nun durch endgültige Daten der klinischen Studien mit 2.246 Erwachsenen bestätigt. Omikron dürfte diese Wirkung nicht reduzieren, das zeigen In-vitro-Untersuchungen des Konzerns. Das bestätigt Ciesek: "Das Medikament dockt an anderer Stelle an als die Impfung, und dort gibt es nur eine Mutation." Der Wirkstoff verringert die Fähigkeit des Virus, sich im Körper zu vermehren. Aber, so Ciesek weiter, kein Medikament sei "eine Alternative zur Impfung. Denn man muss es früh einnehmen, es gibt Nebenwirkungen und Kontraindikationen. Die Mittel sind wichtig für Menschen mit schlechter Immunantwort, aber kein Impfersatz für die breite Bevölkerung."

Frage: Wird es wegen Omikron neue Feiertagsmaßnahmen geben?

Antwort: Ob es für die Zeit von Weihnachten bis zum Jahreswechsel besondere Maßnahmen geben wird – ähnlich wie im Vorjahr –, steht laut Bundeskanzler Karl Nehammer noch nicht fest. Im Pressefoyer nach dem Ministerrat am Mittwoch ersuchte er "noch um etwas Geduld", damit die Expertinnen und Experten Zeit haben, eventuell nötige Maßnahmen zu erarbeiten. Bis dahin appelliert er dringend, die geltenden Maßnahmen einzuhalten und sich impfen zu lassen. (Pia Kruckenhauser, 15.12.2021)