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Das "Game of Thrones" von Netflix: Eigentlich wies vor dem Start im November 2019 alles darauf hin, dass der Streaminganbieter genau das mit "The Witcher" erreichen möchte. Sex, Gewalt, Magie – die Grundzutaten dafür hat die Serie jedenfalls zu bieten.

Und doch offenbarte sich die Geschichte rund um den mürrischen Hexer Geralt (Henry Cavill) als eine ganz eigene, originelle Kreation. Anders als andere Dark-Fantasy-Erzählungen setzte die erste Staffel auf unbeschwertere Darstellungen, die manchmal fast schon wie Märchen wirkten. Oft waren sie mit viel Humor garniert – meist in Form des Barden Jaskier (Joey Batey) – und hatten tendenziell ein gutes Ende.

Stimmungswechsel

Statt einer fortbestehenden Erzählung setzten die Serienschaffenden auf ein serielles Format mit abgeschlossenen Geschichten in jeder Folge. Obwohl die Dialoge oft holprig wirkten und die Zeitsprünge verwirrend, kam "The Witcher" beim Publikum gut an – wohl auch, weil Lockdown und Pandemie schon genug Tristesse bescherten. Nun legt Netflix eine zweite Staffel nach.

Im Fokus der zweiten Staffel: Ciri (Freya Allen) und Geralt (Henry Cavill).
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Und damit ändert sich auch die Stimmung, die die Serie vermittelt, fast schlagartig: In den ersten sechs Folgen, die der STANDARD vorab einsehen konnte, geht es um vergessene Prophezeiungen zum Ende der Welt, massiven Rassismus gegen Elfen – und unbekannte Monster. Von guter Laune ist kaum mehr eine Spur. Aber von Anfang an – und: Achtung, jetzt kommen Spoiler!

Flucht und Verfolgung

Der wohl wichtigste Handlungsstrang dreht sich um Geralt und seine Adoptivtochter Ciri (Freya Allen). Sie sind gemeinsam auf der Flucht, denn die junge Prinzessin wird von unterschiedlichsten Parteien verfolgt. Der Grund liegt in ihrer Fähigkeit, Erdbeben auszulösen, wenn sie schreit. Okay, nicht ganz, aber: Ciri hat offensichtlich besondere Kräfte, und ihr mysteriöses Vermächtnis weckt auf dem gesamten Kontinent Interesse – vor allem bei jenen, die ihre Macht zum eigenen Vorteil nutzen wollen.

Die beiden reisen in die Winterstätte der Hexer, Kaer Morhen, um Schutz zu suchen und Ciri zu trainieren. In der Festung der magisch gestärkten Mutanten, denen auch Geralt angehört, lernt Ciri erstmals zu kämpfen.

Für große Liebschaften und viele Witze ist diesmal kein Platz. Der in der Buchvorlage und den Videospielen für seine Libido berüchtigte Geralt bleibt in der Staffel fast abstinent, und ähnlich verhält es sich bei anderen Charakteren. Ein Grund könnte wohl sein, dass Geralt seine geliebte Yennefer (Anya Chalotra) nach einer Schlacht im vorhergehenden Staffelfinale für tot hält.

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Plötzlich Papa

Stattdessen liegt der Fokus auf Dringlichkeiten – etwa Geralts neuer Rolle als Vater. Vor allem die Szenen mit dem Hexer und der jungen Prinzessin entpuppen sich als Highlights der Staffel. Geralt gibt sich sichtlich Mühe, Ciri zu unterstützen, aber auch, sie zu erziehen und auf ihre schwierige Situation vorzubereiten.

Diese will hingegen ihre schmerzhaften Erfahrungen nach der Eroberung ihres Königreichs hinter sich lassen. Der Plan: selbst Hexerin zu werden. Die Figur ist schlagfertig, dickköpfig und klug – ganz anders als das ängstliche Kind, das sie in der ersten Staffel war. Die Entwicklung wirkt nicht zuletzt durch Freya Allens Auftritt glaubhaft und ist auch optisch sichtbar – die junge Schauspielerin ist sichtlich älter geworden.

Enttäuschung im Liedformat

An Schlagfertigkeit spart auch die Magierin Yennefer nicht. Die hat mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen, scheint doch ihr heroisches Vorgehen bei der Schlacht von Sodden einen Preis gehabt zu haben. Auf der Suche nach ihren Zauberkräften trifft sie unter anderem auf den Barden Jaskier, der wiederum kein Hehl aus seiner Enttäuschung über Geralt macht – in Form eines neuen Songs. Er fühlt sich von Geralt im Stich gelassen. Yennefer und er sind zeitweise gemeinsam unterwegs und treffen auf zahlreiche Figuren.

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Manchmal sind es Freunde, manchmal Feinde, meist erscheinen sie aber vor allem irrelevant. Generell ist das die größte Problematik der Erzählung: Es gibt zu viele Nebenschauplätze. Es macht sich klar bemerkbar, dass die Serienschaffenden rund um die Produzentin Lauren Schmidt-Hissrich so viel Material wie möglich aus der Buchvorlage des polnischen Autors Andrzej Sapkowski beibehalten wollten.

Zu viele Störgeräusche

Allerdings ist das für die Serie oft eher von Nachteil: Gerade wer sich nicht mit den Büchern oder den Videospielen befasst hat, dürfte immer wieder aufgrund der vielen Prophezeiungen, des politischen Hickhacks und der schieren Zahl der neu vorgestellten Charaktere in Verwirrung stürzen.

Das offensichtliche Vorbild der Geldgeber, "Game of Thrones", konnte das eleganter lösen – wohl auch weil es keine so fest definierten Protagonisten gab wie bei "The Witcher". Und weil die Buchvorlage ein faszinierenderes Angebot hatte als die "Hexer"-Bücher.

Hauptfiguren im Fokus

In der neuen Staffel wird viel gekämpft.
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Dabei profitiert die Serie vor allem dann, wenn sie ihre Hauptcharaktere Ciri, Geralt oder Yennefer in den Vordergrund rückt. Die stärksten Szenen sind die, in denen sich die drei Charaktere profilieren können – nicht zuletzt aufgrund des Schauspieltalents der Darstellerinnen und Darsteller. Lobenswert sind auch die zahlreichen Kampfauftritte, die teils hervorragend inszeniert wurden, darunter vom Hollywood-Stuntchoreografen Wolfgang Stegemann.

Insgesamt schafft "The Witcher" es aber, eine fesselnde Geschichte zu spinnen, die nach jeder Folge dazu motiviert, die nächste abzuspielen. Vor allem Fans der Videospielreihe und der Bücher kommen auf ihre Kosten – aber nicht nur. Somit ist die zweite Staffel eine klare Serienempfehlung für all jene, die sich von Fantasy-Geschichten mitreißen lassen können. (Muzayen Al-Youssef, 18.12.2021)