Brüssel – Am Donnerstag absolviert der neue österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in Brüssel seine EU-Gipfelpremiere. Auch der deutsche Kanzler Olaf Scholz und Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson aus dem sozialdemokratischen Lager sind erstmals dabei. Nehammer bedankte sich für die "herzliche Aufnahme" durch die anderen Regierungschefs und auch durch Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Im Mittelpunkt des Gipfels dürfte die Diskussion zu der von der Ukraine befürchteten Gefahr einer russischen Invasion stehen. Aber auch Corona samt Reiseregeln sowie der EU-Außengrenzschutz werden den Gipfel beschäftigen. Konkrete Beschlüsse sind eher nicht zu erwarten.

Gespräch zwischen Neulingen: Olaf Scholz und Karl Nehammer.
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Dem Vernehmen nach soll sich der Gipfel noch nicht auf konkrete Wirtschaftssanktionen gegen Moskau festlegen, für den Fall, dass russische Truppen in der Ukraine einmarschieren. Im Kampf gegen die Corona-Pandemie soll der europäische "grüne Pass" künftig einheitlich neun Monate lang gültig sein. Es wird außerdem erwartet, dass der Gipfel auch die Frage der Booster-Impfungen diskutiert, für wen und ab wann diese erforderlich sind sowie die Impfpflicht. Weiters stehen der EU-Außengrenzschutz im Zusammenhang mit der Migrationsfrage und die hohen Energiepreise auf der Tagesordnung.

Neue Corona-Maßnahmen stehen im Raum

Als erstes stand am Donnerstag wenig überraschend das Thema Corona auf dem Programm. Angesichts der rasanten Ausbreitung der Omikron-Variante drohen in der Union neue Auflagen für Reisende. Der Gipfel verständigte sich aber zunächst nur darauf, dass Beschränkungen das Funktionieren des Binnenmarkts nicht untergraben und die Bewegungsfreiheit nicht "unverhältnismäßig" behindern sollten. Auflagen wie eine Testpflicht auch für geimpfte Reisende wurden aber nicht ausgeschlossen.

"Weitere abgestimmte Anstrengungen" seien nötig, um auf Grundlage wissenschaftlicher Daten zu reagieren, heißt es in den gemeinsamen Schlussfolgerungen zu Covid-19. Zudem sei es wichtig, mit Blick auf die Gültigkeit der EU-Corona-Zertifikate abgestimmt vorzugehen.

Länder wie Italien, Griechenland und Irland hatten die Regeln zuletzt bereits verschärft. Derlei Entscheidungen liegen in der Macht der Mitgliedstaaten und wurden in der Pandemie mehrfach unabgestimmt getroffen. Italien verteidigte am Donnerstag den Beschluss der Regierung, bei der Einreise 2G-plus zu verlangen, also zusätzlich zum Geimpft- oder Genesenen-Status einen negativen PCR-Test zu verlangen. "In diesen Stunden kann unsere Priorität nur darin bestehen, unsere Anstrengungen fortzusetzen, um unser Land sicher zu machen", erklärte der italienische Gesundheitsminister Roberto Speranza. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) findet die Entscheidung Italiens "zulässig". Es sei wichtig, dass jeder Staat das für sich entscheide, betonte er. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ging nicht auf die Frage ein, wie er zu zusätzlichen Einschränkungen stehe.

Nervosität

Aus internationaler politischer Sicht hat das Thema der russischen Truppenbewegungen in ukrainischer Nähe die größte Tragweite. Insbesondere die Regierungen Polens und der baltischen Staaten sind nervös. Die EU-Kommission hat angekündigt, bei einem befürchteten Einmarsch nicht tatenlos zusehen zu wollen. Welche Mittel abseits von Sanktionen möglich wären, ist aber unklar.

Frankreich drängt auf eine engere gemeinsame Außenpolitik der EU und auf eine gemeinsame Verteidigungsfähigkeit. Deutschland hingegen steht hier auf der Bremse.

Scholz zufolge soll der EU-Gipfel ein klares Signal an Russland aussenden. Im Entwurf der Gipfelerklärung ist nach Informationen von Reuters von "massiven Konsequenzen" die Rede, sollte Russland sein Nachbarland angreifen. Es handle sich beim Truppenaufmarsch an der Grenze um eine schwierige Situation, sagte Scholz am Donnerstag in Brüssel vor Beginn des eintägigen EU-Gipfels.

"Deshalb werden wir hier heute noch mal betonen, dass die Unverletzbarkeit der Grenzen eine der ganz wichtigen Grundlagen des Friedens in Europa ist und dass wir gemeinsam alles tun werden, dass es bei der Unverletzbarkeit wirklich bleibt", sagte Scholz. Auch andere Staats- und Regierungschefs betonten, dass die EU in dieser Frage geschlossen sei.

Wirtschaftssanktionen

Der litauische Präsident Gitanas Nausėda forderte, auch Wirtschaftssanktionen gegen Russland ins Auge zu fassen, um einen Angriff auf die Ukraine zu verhindern. Der slowenische Ministerpräsident Janez Janša sagte, dass eine Option sein könnte, die Inbetriebnahme der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 zu verhindern, die russisches Gas nach Westeuropa bringen soll. Nehammer hat sich für eine Inbetriebnahme der Pipeline, an deren Finanzierung die OMV beteiligt ist, ausgesprochen. Die Pipeline sei "ein geostrategisches Projekt für die ganze EU", betonte Nehammer.

Steigende Gaspreise

Beim Thema Energie werden die steigenden Gaspreise behandelt werden. Dem Vize-Kommissionschef Frans Timmermans schweben gemeinsame Gaseinkäufe der EU vor. Die Debatten um die Ostseepipeline Nord Stream 2 komplizieren auch bei dieser Frage die Situation.

Über allen Themen schwebt die Angst vor der aus dem südlichen Afrika stammenden Omikron-Variante des Coronavirus. Zumindest in diesem Bereich ist halbwegs Einigkeit unter den Regierungschefs erwartbar. (red, APA, 16.12.2021)