Alle Winter wieder, sobald die Schokoladen-Nikoläuse in den Süßwarenabteilungen in ihren Stanniolmänteln strammstehen, schlägt das Stündlein des "Ugly Christmas Sweater". Für alle, die sich nicht auskennen: Beim "hässlichen Weihnachtssweater" handelt es sich um ein wild gemustertes, hier und da sogar mit Glöckchen oder LED-Lämpchen geschmücktes Kleidungsstück, das sich nicht so recht entscheiden kann: Wurde es für Weihnachten, Silvester oder den Fasching designt?

Jedenfalls braucht es Selbstironie, um die schrägen Pullover mit den Nikolo-Katzen, den "Merry Fucking Christmas"-Grüßen oder den brunftigen Hirschen überzustreifen. Derlei sollte aber 2021 kein Problem mehr sein. Was bleibt uns auch sonst groß übrig, als die pandemiebedingten Festsitztage mit Humor zu nehmen? Das war früher anders. Colin Firth erntete Anfang der 2000er-Jahre als Mark Darcy im Filmhit Das Tagebuch der Bridget Jones im grünen Rentierpullover noch ein Stirnrunzeln. Er war eben einfach zu früh dran.

Pullis mit Bommeln, Katzennikolos und vergnügungsfreudigen Rentieren: Die Marke Tipsy Elves kann Christmas-Pulli.

Foto: Sigrid Mayer

Dafür erfuhr Firths Rentierpullover späte Anerkennung: Er wurde zum festen Bestandteil diverser Bestenlisten. Alljährlich ist er im Rennen, wenn die schrägsten Christmas Jumper gekürt werden. In den USA und in England befeuern die geschmacksbefreiten Statement-Oberteile aber schon länger das Business. Die ersten Modelle tauchten in den Fünfzigerjahren mit zunehmender Kommerzialisierung des Weihnachtsgeschäfts auf, der Witz gesellte sich erst Jahrzehnte später dazu.

In den Achtzigerjahren begannen auf der britischen Insel TV-Moderatoren wie Gyles Brandreth und Timmy Mallett, den überdrehten Auftritt in lustigen Pullovern zu zelebrieren. Der Strickboom tat sein Übriges: Zu Weihnachten lagen damals bei vielen lustige, mit Liebe zum Detail selbst gefertigte Strickmonster unter den Bäumen. Davon zeugen heute Familienbilder in alten Fotoalben.

Sweater mit Witz

Doch erst um die Jahrtausendwende wurde das gemeinschaftsstiftende Potenzial des Weihnachtspullovers mit einer Themenparty gewürdigt. 2001, im Jahr des Bridget Jones-Rentierpullovers, veranstalteten in Vancouver die drei Freunde Jordan Birch, Chris Boyd und Scott Lindsay im Wohnzimmer des Letzteren die erste verbriefte "Ugly Christmas Sweater Party".

Der Zuspruch stieg von Jahr zu Jahr, 2006 wurde aus Platzgründen ins Veranstaltungszentrum Commodore Ballroom gewechselt. Mittlerweile sind die Hipster erwachsen geworden: Im vergangenen Jahr brachte man unter dem Titel Ugly Christmas Sweater Book ein Kinderbuch heraus. Es war nämlich vor allem die Hipster-Kultur der Nullerjahre, die mit ihrem ironisch gebrochenen Nostalgiebedürfnis dafür sorgte, dass Weihnachtspullover mit pinkelnden Nikoläusen oder vergnügungsfreudigen Rentieren wie Filterkaffee und Polaroidkamera zum Bestseller wurden. Der Weihnachtspullover gehört seither bei Asos, Amazon oder H & M zum festen Bestandteil des Sortiments.

"Mittlerweile gehört der Ugly Christmas Sweater auch in Österreich zum Dresscode vieler Weihnachtsfeiern."
Miri Marijanovic vom Store Uppers & Downers

Der beste Beweis, dass die schrägen Stücke vor gut einem Jahrzehnt im Mainstream angekommen sind? 2011 wurde das auf Weihnachtssweater spezialisierte Label Tipsy Elves gegründet, es erschien das erste der Ugly Christmas Sweater Party gewidmete Buch. Im selben Jahr entwarf das Luxus-Label Dolce & Gabbana einen Weihnachtspulli mit Schneemann – und die Kinderrechtsorganisation Save the Children rief in England den "Christmas Jumper Day" ins Leben. Ihm entkam noch nicht einmal die Queen: 2016 steckte Madame Tussauds in London die Royals in skurrile Sweater. Damals lief Popstar Beyoncé in einem schiachen, selbstgebastelten Cardigan auf ihrer eigenen Weihnachtsfeier auf – der Höhepunkt der Begeisterung schien damit erreicht.

Bad Taste für die gute Sache

Offenbar ein Irrtum. Anlässlich des Zehn-Jahr-Jubiläums des Christmas Jumper Day, der heuer am 17. Dezember begangen wird, trägt das ehemalige Spice Girl Emma Bunton ein Ho-ho-ho-Modell. Überhaupt wird mit dem Verkauf von Weihnachtspullis gern Gutes getan: Rapper 2 Chainz sammelte vor einigen Jahren zwei Millionen Dollar für wohltätige Zwecke, auch beim 2012 initiierten "Ugly Sweater Run" wird Geld gespendet.

Prominente lieben die Weihnachtspullis mit dem Positiv-Image bis heute: David Beckham posierte unlängst neben seiner Frau Victoria in einem Christmas Jumper mit der Aufschrift "Spiceworld": Das 65 Euro teure Teil aus 100 Prozent Acryl dürften zumindest eingefleischte Fans der Spice Girls unterm Baum tragen. Und ja, Sänger Michael Bublé hat eben erst dem Christmas Sweater ein Lied auf seinem Weihnachtsalbum gewidmet. Im dazugehörenden Musikvideo bewegt ein animierter Pullover seine Lippen – ernsthaft!

Michael Bublé

Dass der Ugly Christmas Sweater mit ein wenig Verspätung in Österreich angekommen ist, hat Miri Marijanovic vom Wiener Vintage-Store Uppers & Downers beobachtet. 2015 nahm sie die schrägen Sweater des kalifornischen Herstellers Tipsy Elves ins Programm auf. War der Trend bei der Kundschaft zu Beginn noch weitestgehend unbekannt, gehöre der Christmas Sweater mittlerweile zum Dresscode vieler Weihnachtsfeiern, so Marijanovic. Was einen gelungenen Weihnachtspullover ausmache? Wenn er für Lacher und Gesprächsstoff sorge, Komplimente einfahre und jedes Jahr aufs Neue wieder aus dem Schrank hervorgeholt werde, meint sie.

Aber ob das wirklich getan wird? Die meisten Pullis sind billige Eintagsfliegen aus Acryl. 95 Prozent der Weihnachtspullis bestehen mindestens teilweise aus Kunststoff, stellte 2019 die Umweltorganisation Hubbub fest, zwei Fünftel würden nur einmal als Gag getragen. Kein Wunder: So manch lustiger Spruch aus den Zehnerjahren sieht heute schon wieder alt aus: Ist schrilles Bad Taste nicht sowieso zum Gähnen? Da bleibt eigentlich nur noch, sich durch Vintage-Shops wie Vintage Road oder Vinokilo zu wühlen. Die naiven Modelle aus den Achtzigern erzählen von der rasanten Entwicklung, die der Ugly Christmas Sweater hingelegt hat. Jetzt gilt: Bloß nicht sentimental werden, so kurz vor Weihnachten! (Anne Feldkamp, 17.12.2021)