Nur entfernt verwandt: Tiere und das Bakterium E. coli.
Screenshot OneZoom

Die persönlichen Familienverhältnisse kann man in einem Stammbaum darstellen – und ähnliches gilt auch für die Arten, die sich auf dem Planeten Erde entwickelt haben: Welche Spezies wie eng mit anderen verwandt ist und wann der letzte gemeinsame Vorfahre lebte, lässt sich in einer Art Lebensbaum visualisieren. In der biologischen Systematik spricht man auch vom phylogenetischen Baum.

Eine vollständige Darstellung strebt die interaktive Website "OneZoom" an: Sie präsentiert mittlerweile mehr als 2,2 Millionen bekannte Arten, die die Erde bevölkern. Damit kommt sie einer Übersicht über alle lebenden Arten, die der Wissenschaft bekannt sind, am nächsten. Die neueste Version des zehn Jahre alten Projekts vervollständigt das Unterfangen vorläufig. Sie erschien gemeinsam mit einer Studie im Fachblatt "Methods in Ecology and Evolution", das beschreibt, wie das Programm funktioniert.

Gemeinsame Vorfahren finden

Hat man die Baumdarstellung vor sich, kann man entweder in interessante Bereiche des Baums hineinzoomen oder über eine Suchfunktion gezielt eine Spezies und ihren Platz im digitalen Astwerk aufspüren. Bekannte Artnamen werden je nach Zugriffsland automatisch übersetzt. Über die Suche nach dem "common ancestor", also einem gemeinsamen Vorfahren, können zwei Spezies oder Gruppen an Lebewesen verglichen werden. Will man beispielsweise den letzten gemeinsamen Verwandten von Mensch und Bierhefe herausfinden, stellt man durch farblich markierte Verzweigungen fest: Er lebte vor ganzen 1350 Millionen Jahren.

So sieht eine virtuelle Kamerafahrt zum Weihnachtsbaumwurm aus.
SciTech Daily

Hilfreich sind auch die Einstellungen, durch die etwa Sprache und Visualisierung verändert werden können. Neben der spiralförmigen Anordnung, die sich fraktal einzelnen Arten nähert und beim automatischen Zoom für leichten Schwindel sorgen kann, gibt es auch die Möglichkeit, direkt zum Suchergebnis zu springen, sowie die Anordnung als ein langer Stamm oder als "Lebensfarn". Einige Blätter, die die einzelnen Arten darstellen, sind standardmäßig grau oder grün, rot oder schwarz eingefärbt: So ist ersichtlich, welche Populationen sich guter Gesundheit erfreuen, während andere bereits als gefährdet gelten oder kürzlich ausgestorben sind.

Reise durch die Evolutionsgeschichte

Die Erkundungsfahrten sollen Evolutionsgeschichte und Artenvielfalt allen Interessierten zugänglich machen, etwa im Schulunterricht. Sie sind das Resultat jahrelanger Arbeit, hinter der die Biologen James Rosindell vom Imperial College London und Yan Wong von der Universität Oxford stecken.

Ausgestorbene Menschenarten finden sich auf diesem Stammbaum nicht, dafür die noch lebenden (und großteils bedrohten) Menschenaffen.
Screenshot OneZoom

Das Projekt "ermöglicht es Menschen, ihre Lieblingslebewesen zu finden, seien es Goldmulle oder Riesenmammutbäume – und zu sehen, wie die Entwicklungsgeschichte sie miteinander verbindet, um einen gigantischen Baum allen Lebens auf der Erde zu schaffen", sagt Wong. Freilich werden noch immer am laufenden Band neue Arten registriert – sei es durch neue Funde oder veränderte Einordnungen im Stammbaum durch genetische Analysen. Der Anspruch auf Vollständigkeit ist also eingeschränkt.

Lehrressource und Geschenkidee

Die Forscher kombinierten neu verfasste Algorithmen zu Visualisierung und Verarbeitung mit Big Data aus verschiedenen Quellen, unter anderem aus der "Encyclopedia of Life" und Wikipedia. So erscheinen mit einem Klick auf eine Spezies zusätzliche Informationen, etwa zu Verbreitungsgebiet und Nahrungsnetz (bei letzterem wird der Mensch interessanterweise als Beutetier von Orca und Läusen angeführt). Die Software steht Bildungseinrichtungen wie Museen und Zoos kostenlos zur Verfügung.

Der große Panda zählt zu den bedrohten Arten.
Screenshot OneZoom

Wer bei den Blättern genauer hinschaut, erkennt, dass sie auch namentlich gewidmet werden können. Das erfordert eine Spende. Wer nur fünf oder zehn Britische Pfund ausgeben möchte, sollte sich eher bei unbekannteren Mikroorganismen oder Pflanzen umsehen, deren virtuelle Blätter dann für vier Jahre den eigenen Namen oder den eines Beschenkten tragen. Für besonders populäre Spezies, etwa die Bartrobbe oder den Gemeinen Vampir, werden 150 Pfund verlangt. Dadurch wird die Plattform unterstützt, die auch als Nonprofit-Wohltätigkeitsorganisation eingetragen ist.

Noch keine Dinosaurier

Womöglich lässt sich dadurch auch die Arbeit weiterführen. Ein Wermutstropfen für Saurierfans ist nämlich, dass nur sehr wenige ausgestorbene Tiere Teil des Baumes sind. Derzeit wird ausgelotet, ob sich einige interessante Arten, von denen nur Fossilien erhalten sind, ergänzen lassen. Hier müssten die Organisatoren allerdings stark kuratieren, denn es gibt beispielsweise zahlreiche ausgestorbene Schneckenarten, von denen nur kleine Fragmente erhalten sind und die "viele Teile des Baumes vollstopfen würden", wie es in den häufig gestellten Fragen der Website heißt.

"Mit OneZoom hoffen wir, den Menschen eine völlig neue Möglichkeit zu geben, die Evolutionsgeschichte und die unermessliche Spannweite des Lebens auf der Erde in all ihrer Schönheit zu erleben", sagt Rosindell. Ihm ist auch die Botschaft wichtig, die die rot markierten gefährdeten Arten darstellen: "Ein Großteil unserer Biodiversität ist bedroht." (sic, 16.12.2021)