Eumillipes persephone heißt die neue Weltrekordart, ist knapp zehn Zentimeter lang und nicht einmal einen Millimeter breit.
Paul Marek et al., Scientific Reports 2021

Ihre Bezeichnung war bis jetzt eine einzige Übertreibung. Zwar wurden bis dato rund 14.000 (geschrieben: vierzehntausend) Tausendfüßerarten beschrieben. Doch keine einzige Spezies dieser Unterklasse der Gliederfüßer kam bisher bei der Anzahl ihrer Extremitäten auch nur in die Nähe der Vierstelligkeit. Einige Tausendfüßerarten schaffen nicht einmal die Hundertermarke. Entsprechend gliedern sich die Tausendfüßer (wissenschaftlich: Myriapoda) auch in die vier Klassen der Hundertfüßer, Wenigfüßer, Zwergfüßer und Doppelfüßer.

Bisheriger Rekordhalter war die Spezies Illacme plenipes aus Kalifornien, die mit maximal 750 Beinchen den Richtwert zu drei Vierteln erfüllte. Die Art wurde 1926 entdeckt, die zweite Sichtung erfolgte erst 2005, was einen Hinweis darauf gibt, dass erstens viele Tausendfüßerarten an sehr verborgenen Orten leben und dass es zweitens noch viel mehr Spezies geben dürfte als bisher bekannt.

Tausendfüßer als Plagegeister

Es gibt freilich auch Arten, die in unseren Breiten zu echten Plagen werden können: Die Gemeinde Röns in Vorarlberg wurde seit dem Jahr 2000 über mehrere Jahre hinweg von Cylindroiulus caeruleocinctus heimgesucht. Und im bayerischen Ort Obereichstätt errichtete man eine 200 Meter lange Schutzwand, um sich gegen die Invasion der Art Megaphyllum unilineatum zu rüsten.

An einem sehr ausgefallenen Ort wurden im Jahr 2020 Forschende um Paul Marek (Virginia Tech in Blacksburg, USA) fündig: In insgesamt drei Bohrlöchern in der Region Goldfields-Esperance in Westaustralien stießen die Forschenden in 15 bis 60 Meter Tiefe auf insgesamt acht Exemplare einer augenscheinlich neuen Spezies, die mit speziellen Tausendfüßerfallen eingefangen wurden. Die fadenförmigen Tierchen (darunter auch drei jüngere Exemplare) waren bis zu zehn Zentimeter lang und nicht einmal einen Millimeter breit.

Kein Tier hat mehr Beine

Gezählt wurden im Maximalfall allerdings nicht weniger als 1.306 Beinchen, was selbstverständlich nicht nur Rekord für Tausendfüßer, sondern für alle Tierarten des Planeten ist. Die neue Spezies der Superlative wurde von den Forschenden auf den Namen Eumillipes persephone getauft: Eumillipes besteht aus "eu" (für wahr), "milli" (für Tausend) und "pes" (für Beine), weil es sich um den ersten echten Tausendfüßer handelt. Der Beiname Persephone stammt von der griechischen Göttin der Toten- und Unterwelt: Auch die Tiefen von rund 60 Metern sind als Lebensraum für Tausendfüßer ziemlich einzigartig.

Detailaufnahme der Beinchen und der Segmente der neu entdeckten Tausendfüßerart.
Foto: Paul Marek et al., Scientific Reports 2021

Die beinliche Rekordzahl fand sich bei einem weiblichen Tier. Die Männchen brachten es bloß auf bis zu 818 Beine. Auffällig sind nicht nur die vielen Beinchen, die auf bis zu 330 Segmente verteilt sind (die männlichen Vertreter bringen es auf maximal 208; bei Illacme plenipes sind es bis zu 192). Eumillipes persephone verfügt auch über außergewöhnlich lange Antennen, was augenscheinlich das Navigieren in diesen extremen Tiefen unter der Erdoberfläche erleichtern dürfte, wie die Zoologen im Fachblatt "Scientific Reports" berichten. Wie andere Tausendfüßerspezies hat auch diese Art keine Augen und einen kegelförmigen Kopf.

Der Kopfbereich von Eumillipes persephone mit den übergroßen Antennen.
Foto: Paul Marek et al., Scientific Reports 2021

Unklare evolutionäre Entwicklung

Die Forscher gehen davon aus, dass die hohe Beinanzahl womöglich kein primitives Merkmal dieser uralten Unterklasse ist, deren Vertreter vermutlich schon vor rund 400 Millionen Jahren auf unserem Planeten krabbelten. Die vielen Beine dürften erst im Laufe der Evolution dazugekommen sein, mutmaßen die Zoologen.

Die vielen Segmente und Beinchen geben den Tierchen die Möglichkeit, sich durch extrem schmale Öffnungen in der Erde zu zwängen, wo sie leben. Die Frage der evolutionären Entwicklung ist aber schwierig zu beantworten, da bis heute keine Fossilien von Vertretern der Stammgruppe Tausendfüßer gefunden wurden.

Wie viele andere gerade neu entdeckte Arten ist auch Eumillipes persephone schon wieder gefährdet – just durch eben jene Bergbauaktivitäten, die ihre Entdeckung erst ermöglichten. (Klaus Taschwer, 16.12.2021)