Bild nicht mehr verfügbar.

Amanda Knox, hier anno 2019, setzt sich heute für zu Unrecht Verurteilte ein.

Foto: AP

Eine Frage: Bei welchem der drei folgenden Namen kommt Ihnen das Wort "Mord" am ehesten in den Sinn? Rudy Guede, Raffaele Sollecito oder Amanda Knox? Oder, einfacher: Welchen dieser Namen kennen Sie überhaupt?

Keine Frage ist, über welche dieser drei Personen am meisten berichtet wurde: Amanda Knox. Ihr Name wird für immer mit der brutalen Ermordung der britischen Austauschstudentin Meredith Kercher am 1. November 2007 in Perugia in Verbindung stehen, obwohl sie und ihr damaliger Freund Sollecito letztinstanzlich freigesprochen wurden. Guedes Name dagegen – der Einzige, der mittels Schnellverfahren im Fall Kercher des Mordes für schuldig befunden, zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt und erst diesen November wegen guter Führung entlassen wurde – kennt, Verzeihung, kein Schwein: Als er entlassen wurden, titelten mehrere Medien (Forbes, New York Post) online mit der Zeile "Man Convicted Of Killing Amanda Knox’s Roommate Released In Italy/Freed" – weder der Name des Mörders, noch der des Opfers befindet sich in dieser Überschrift. Nur der von der freigesprochenen Knox.

Ein guter Zeitpunkt also, um sich zu fragen, wie es dazu kommen konnte.

Trial by media

Amanda Knox' Geschichte ist eines der Beispiele für einen "trial by media". So nennt man es, wenn Medien eine Person als schuldig oder unschuldig darstellen, bevor ein Gericht sie verurteilt hat. Sie beeinflussen damit die öffentliche Meinung, im schlimmsten Fall die Rechtsprechung. In dem "trial by media", den Knox erfuhr, galt für sie nie die Unschuldsvermutung.

Dass sie ursprünglich in den Fokus der Ermittlungen geraten war, war naheliegend. Knox war zum Zeitpunkt des Mordes an Kercher eine von deren drei Mitbewohner:innen, es war ihr Freund Sollecito, der die Polizei verständigte, als sich Kerchers Zimmertür nicht öffnen ließ.

Die ganze Welt schaute auf das kleine Perugia, Medien bauten Druck auf, Täter:innen mussten her – und zwar schnell. Sowohl Guede, dessen DNA in rauen Mengen am Tatort gefunden worden war, als auch Sollecito und Knox verstrickten sich bei ihren zahlreichen Vernehmungen in Widersprüche (Knox beschuldigte zum Beispiel fälschlicherweise ihren Chef Patrick Lumumba). Spuren, von denen sich später herausstellte, dass sie unbrauchbar waren, weil Tatort und Beweismittel aufgrund schleißiger Polizeiarbeit kontaminiert waren, waren damals von allen zu finden. Anfänglich sah es also so aus, als hätten Guede, Sollecito und Knox die grausame Tat zu dritt begangen.

Nicht genug geweint

Doch nur Knox geriet von den dreien dermaßen in den Fokus der Aufmerksamkeit. Was man nur als Hexenjagd bezeichnen kann, begann schon am Tag nach dem Mord an Kercher.

Sollecito und Knox umarmten einander vor dem Haus, in dem die Leiche gefunden worden war – das Verhalten erschien der Polizei als unangebracht. Interessanterweise vor allem ihr Verhalten, nicht seines. Auch dass Knox in den Tagen nach dem Mord "kalt" gewirkt und nicht geweint habe, gab der Polizei Rätsel auf. Dem Narrativ einer Psychopathin, eines durchtriebenen Masterminds, das zwei erwachsene Männer mehr oder weniger zur Ausführung ihrer Vergewaltigungs- und Mordfantasie benutzte, konnte man da schon langsam beim Entstehen zusehen.

Besonders der Staatsanwalt Giuliano Mignini befeuerte das mit seiner "Theorie", die einzig seiner blühenden Fantasie entsprang, in der Frauen offenbar zwei Rollen zustanden: Hure und Heilige. Das brave Mädchen Kercher soll von der sexsüchtigen Knox für ihre Prüderie mit dem Tod bestraft worden sein; in seiner Anklage war von einem "satanischen Ritus" die Rede. Der Boulevard drehte ob so viel "juice" durch, begann alte Fotos von Knox auszugraben, auf denen sie möglichst "verrückt" aussah; auch ein altes Myspace-Profil, auf dem sich Knox "Foxy Knoxy" nannte, kam wieder zutage – die Headlines schrieben sich quasi von selbst.

Engel mit Eisaugen

Ein großer Teil der Berichterstattung kreiste um Knox' Aussehen, besonders in ihren Augen, ihrem Blick wurde ihre Schuld oder Unschuld gesucht – "Der Engel mit den Eisaugen" wurde nicht nur in Boulevardmedien zum schmückenden Beinamen von Knox – und blieb picken.

Auch ihrem Sexleben kam in den diversen Prozessen eine übertrieben hohe Bedeutung zu; dass eine 20-Jährige nach eigenen Angaben mit sieben Männern geschlafen hatte, reichte Boulevardmedien, um sie als Nymphomanin, als Perverse zu zeichnen. "Ich wurde zwar vor Gericht freigesprochen, aber ich bekam lebenslänglich im Gericht der öffentlichen Meinung. Wenn schon nicht als Mörderin, dann als Schlampe, Verrückte oder Boulevard-Promi", schrieb Knox diesen Juli in einem Text für The Atlantic.

Mittlerweile ist in der noch immer anhaltenden Berichterstattung über Amanda Knox eine Verlagerung zu spüren. Das liegt nicht nur daran, dass Sollecito und sie 2015 freigesprochen wurden – der zeitliche Abstand, in den auch die Entwicklungen rund um die #MeToo-Bewegung fielen, machte vielen Menschen bewusst, dass Knox, die so viele so lange als Täterin sahen, jedenfalls Opfer war. Das Opfer eines Charaktermordes, der in erster Linie mit ihrem Geschlecht und mit den daran verbundenen Erwartungen zu tun hatte. (Amira Ben Saoud, 16.12.2021)