Polizei auf einer Wiener Geschäftsstraße: Einsatz auch für den pandemiegeschädigten Handel.

Foto: Christian Fischer

Wien – Die Organisatoren selbst sehen die von der Wiener Polizei erwirkte Verschiebung ihres Kerzenspaliers von kommendem Sonntagnachmittag auf den Abend nicht tragisch. Bei einer Onlinepressekonferenz Donnerstagmittag zeigte Co-Organisator Daniel Landau für die Sicherheitskräfte sogar Verständnis. Diese würden am Sonntag "vor der Herkulesaufgabe stehen, den gesamten Wiener Ring und Kai autofrei zu bekommen" – und hätten dabei "vielleicht auch etwas anderes vor", sagte er.

Ursprünglich hätte die unter dem Hashtag #YesWeCare laufende Aktion, in deren Rahmen der inzwischen mehr als 13.000 Covid-Toten in Österreich gedacht und die Arbeit der Ärzteschaft und Pflege gewürdigt werden soll, um 16.30 Uhr starten sollen. Bei einer Demo-Vorbereitungssitzung im Referat für Vereins-, Versammlungs- und Medienrechtsangelegenheiten der Landespolizeidirektion (LPD) Wien am Mittwoch wurde der Beginn um zwei Stunden nach hinten verlegt.

Konzilianter dürfte die LPD im Fall einer für Samstag tagsüber beantragten Demo der Corona-leugnenden Partei MFG entschieden haben. Laut deren Aussendung von Donnerstagabend wurde ihre Kundgebung ohne Einschränkungen oder Änderungen bewilligt.

Zeitliche Beschränkung?

Beim Vorbereitungstreffen des Kerzenspaliers war das anders. Laut dem für die Anmelder anwesenden grünen Wiener Landtagsabgeordneten und Menschenrechtssprecher Nikolaus Kunrath habe der vorsitzende Polizeijurist von einer Demo-Beschränkung auf die Zeit nach 18 Uhr gesprochen. Früher am Tag seien sie an diesem letzten Einkaufswochenende vor Weihnachten mit noch dazu offenen Geschäften am Sonntag in Wien nicht möglich.

Das gelte ebenso für die Demonstrationen von Corona-Maßnahmen-Kritikern, die erfahrungsgemäß jeweils am Samstag ab Mittag stattfinden – und in den vergangenen Wochen zunehmend aggressiv geworden sind.

Ungestört einkaufen

Am Donnerstag stellte das ein Sprecher der Landespolizeidirektion Wien anders dar. Zeitbeschränkung für Kundgebungen und Demos in der Bundeshauptstadt per se gebe es nicht. Vielmehr gehe es darum, das Weihnachtsgeschäft der Wiener Händlerinnen und Händler so ungestört wie möglich ablaufen zu lassen – zumal erst vor kurzem ein Lockdown mit Geschäftsschließungen zu Ende gegangen sei.

"Wenn, sagen wir, 40.000 Menschen an einem Samstag durch die Innenbezirke ziehen, so kann das Käufer durchaus abschrecken." Das Kerzenspalier wiederum werde den Öffi- und Autoverkehr rund um die City über mehrere Stunden lahmlegen.

Daher gelte es, bei den Kundgebungs- und Demo-Verantwortlichen zeitliches oder auch örtliches Entgegenkommen zu erwirken: "Wird eine Kundgebung etwa in den Prater verlegt, so kann sie auch um zwölf Uhr starten."

Entscheidung von Fall zu Fall

Verhandelt und entschieden wird laut dem Sprecher "in jedem Einzelfall". Grundlage dafür ist unter anderem eine Expertise, die die LPD Wien im Vorfeld bei der Wirtschaftskammer Wien eingeholt hat. Im Fall eingeschränkten Kaufvergnügens sei "mit einem erheblichen Schaden zu rechnen", fasst er ihren Inhalt zusammen.

Daraus ergebe sich: "Wir müssen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gegen das Grundrecht der Handelstreibenden auf Erwerbsfreiheit abwägen."

Keine pauschalen Untersagungen

Genau das sei auch die Aufgabe der versammlungsbewilligenden Behörden, sagt dazu der Verfassungsrechtsexperte Bernd-Christian Funk. "Die Behörde muss sich die Mühe machen, mit jedem Organisator zu reden, um Prognosen zum Ablauf der angezeigten Veranstaltungen zu erstellen." Pauschale Untersagungen hingegen seien verfassungswidrig.

Teil der Abwägung sei dabei auch das Interesse der Geschäftstreibenden, sagt Funk. Deren Lage in der Pandemie sei durchaus zu berücksichtigen. Nicht zulässig hingegen wären Verschiebungen von Demonstrationen in die Peripherie: "Hier hat der Verfassungsgerichtshof bereits ablehnend geurteilt."

Am Donnerstag waren die Gespräche mit anderen Demo- und Kundgebungsanzeigern vom Wochenende noch im Gang. Welche Aufmärsche am Samstag und Sonntag letztlich stattfinden dürfen, will die Wiener Polizei heute, Freitag, veröffentlichen. (Irene Brickner, 17.12.2021)