Bild nicht mehr verfügbar.

So ähnlich sieht der Crispr-Cas9-Komplex beim Ablesen von DNA aus. Das Protein Cas9 besteht unter anderem aus Elementen, die wie Wendeltreppen aussehen (blau) und von Fachleuten α-Helix genannt werden – eine typische Struktur in vielen Proteinen. Die Proteinstruktur wird durch Computerprogramme immer leichter bestimmbar.
Bild: Alfred Pasieka / Science Photo Library / picturedesk

Es ist ein bemerkenswerter Vergleich, den "Science"-Chefredakteur Holden Thorp anstellt: Neue Ansätze zur Proteinanalyse sollen eine ähnliche Bedeutung für die Forschungslandschaft haben wie die revolutionäre Genschere Crispr/Cas9, mit der sich einfach, günstig und sehr präzise gentechnische Veränderungen vornehmen lassen und die dadurch mittlerweile zum Standardwerkzeug in der Molekularbiologie zählt.

"Der Durchbruch bei der Proteinfaltung ist einer der größten aller Zeiten, sowohl in Bezug auf die wissenschaftliche Leistung, als auch mit Blick auf dadurch mögliche künftige Forschungen", sagt Thorp – und kürt den Ansatz zum "Science"-Forschungsdurchbruch des Jahres 2021.

Aber worum geht es bei dieser durchschlagenden Entwicklung? Kurz gesagt: um die Anwendung künstlicher Intelligenz (KI), um zu verstehen, wie kleinste Teile in Lebewesen genau in dreidimensionaler Form aussehen.

Abläufe und Krankheiten verstehen

Der menschliche Körper ist – trotz vieler offener Detailfragen – schon ziemlich genau erforscht: Wie Blutgefäße aussehen, warum Krebs entsteht, welche Zellen für das Sehen wichtig sind. Doch im ganz Kleinen ist das Bild noch nicht so klar. Denn nur von einem eher kleinen Teil unserer Proteine, die zu den essenziellen Bestandteilen des Körpers zählen, wusste man bisher, wie sie aussehen und was sie genau machen. Dies ändert sich mit Hilfe künstlicher Intelligenz gerade allerdings in rasantem Tempo.

Grund dafür sind neue Computerprogramme, die 3D-Strukturen von Proteinen mit hoher Genauigkeit errechnen, ohne dass zeitaufwendige und teure Messmethoden nötig wären. Kenne man die Gestalt und damit auch die Funktion der Proteine, ließen sich biologische Abläufe im Körper und Krankheiten besser verstehen, erklärt Andreas Bracher vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried.

Nutzung in Covid-19-Forschung

Auch bei der Suche nach neuen Medikamenten helfe dieses Wissen, sagt Bracher. So wollen Forschungsteams mit Hilfe des neuen Ansatzes Wirkstoffkandidaten entwickeln, die genau auf bestimmte Proteine abgestimmt sind. Andere Fachleute nutzen die Software bei der neuen Coronavariante Omikron. Sie untersuchen Auswirkungen von Mutationen im Erbgut auf die Form des sogenannten Spike-Proteins. Eine geänderte Form könnte dazu führen, dass menschliche Antikörper nicht mehr so gut binden können und der Immunschutz nachlässt.

Proteine sind winzig klein, man kann diese Eiweiße selbst unter dem Mikroskop nicht sehen. Bisher war es deshalb sehr aufwendig und teuer, mit Methoden wie Röntgenkristallografie und Kryoelektronenmikroskopie ihren Aufbau zu erforschen. Dem Fachmagazin "Science" zufolge kann das Entschlüsseln einer einzelnen Proteinstruktur auf herkömmliche Weise Jahre dauern und Hunderttausende Dollar kosten.

Top-10-Forscher für "Nature"

"Bei vielen Proteinen des Menschen wusste man deshalb bisher nicht, wie sie aussehen", sagt MPI-Forscher Bracher. Bisher sind nur für gut ein Drittel der Proteine des Menschen experimentell bestimmte Strukturen in einer Datenbank hinterlegt – in vielen Fällen davon sind auch nur Teilbereiche untersucht.

Mit den neuen Programmen – AlphaFold and RoseTTAFold – braucht es nun keinen großen Aufwand mehr. Ein Team um den AlphaFold-Entwickler John Jumper, der für die auf künstliche Intelligenz spezialisierte Google-Schwester Deepmind arbeitet, hat bereits Strukturen für fast alle menschlichen Proteine vorgelegt. Das Fachblatt "Nature" zählt Jumper in seiner aktuellen Top-10-Liste zu den derzeit maßgebenden Wissenschaftern auf der Welt. Sein KI-gestütztes Programm trainiert sich praktisch selbst mit Hilfe von Datenbanken, in denen bereits erforschte Proteinstrukturen hinterlegt sind.

Ab Minute 3:36 wird der Durchbruch in der Proteinforschung beschrieben.
Science Magazine

Proteine bestehen aus langen Ketten, die eine Art definiertes Knäuel bilden und dann bestimmte Aufgaben erfüllen. So können manche Proteine – Enzyme – Zuckermoleküle spalten, andere sind Strukturelemente unserer Muskeln. Die Ketten werden von hintereinander aufgereihten Bausteinen gebildet, den sogenannten Aminosäuren. Deren Abfolge ist durch unser Erbgut vorgegeben. Insgesamt gibt es dort rund 20.000 Gene, auf denen die Aminosäurenabfolge für verschiedene Proteine festgelegt ist. Bei der Faltung zum Knäuel spielen unter anderem Anziehungskräfte zwischen den Aminosäuren eine Rolle.

Von der Aminosäuresequenz zur Struktur in kürzester Zeit

Kennt ein Forscher ein spezifisches Gen, kann er daraus auf dem Papier oder am Computer die Aminosäurekette eines Proteins ableiten – das ist schon seit Jahrzehnten möglich. Allerdings gelang es bisher nicht, ohne weiteres die genaue Form und den Aufbau des Proteinknäuels zu bestimmen. "Die ist aber entscheidend, um die Wirkungsweise eines Protein verstehen zu können", sagt Bracher, der selbst mit AlphaFold arbeitet.

Die neuen, für Fachleute frei zugänglichen Programme schließen nun genau diese Lücke. Ihnen reicht die durch das Erbgut vorgegebene Aminosäuresequenz eines Proteins, um ein dreidimensionales Modell zu erstellen, wie Bracher erklärt: "Hat man früher Jahre daran gearbeitet, um die Struktur eines Proteins aufzuklären, reicht es jetzt, eine Aminosäuresequenz in den Computer einzugeben." (APA, red, 17.12.2021)