Zuerst soll L. am 29. April seiner langjährigen Partnerin, die sich erst eine Woche vorher von ihm wieder einmal getrennt hatte, mit einer Pistole in den Oberschenkel geschossen haben, ehe er wenig später auf ihren Kopf zielte und noch einmal abdrückte. Dem Mann sei an jenem Abend Ende April bewusst gewesen, was er tat, und er "wollte das auch", heißt es unmissverständlich in der Anklage der Staatsanwaltschaft. Marija M. wurde zwar noch ins Krankenhaus gebracht, sie erlag aber ihren Schussverletzungen.

Ab Montag muss sich der 43-Jährige deshalb im Großen Schwurgerichtssaal des Straflandesgerichts in Wien verantworten. Ein Urteil wird am Mittwoch erwartet.

Der ehemalige Besitzer eines Craft-Beer-Shops wurde durch einen Prozess gegen die grüne Politikerin Sigrid Maurer allgemein als "Bierwirt" bekannt. Nun könnte er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher kommen. Ein Gutachten attestiert ihm eine "schwere seelische Abartigkeit" – L. wird darin als Gefahr für die Allgemeinheit gesehen.

Tatort war die Wohnung von Marija M., in der sie mit den zwei gemeinsamen Kindern wohnte. L. wurde regungslos im Hof des Gemeindebaus gefunden, neben ihm eine Waffe auf dem Boden.
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Der mutmaßliche Mord trug sich in der Wohnung des Opfers im Winarskyhof im 20. Bezirk zu. Als die Polizei L. im Hof des Gemeindebaus abtransportierte, lag er ohne T-Shirt und regungslos auf dem Boden. Zuvor trank der Bierwirt auf einer Parkbank sitzend noch reichlich Wodka und Bacardi. Im Krankenhaus wurden schließlich 3,4 Promille Alkohol, das Aufputschmittel Ephedrin, ein sedierender Wirkstoff aus der Gruppe der Benzodiazepine und Marihuana in seinem Blut festgestellt. Anwalt Manfred Arbacher-Stöger und L. bauen ihre Verteidigung darauf auf, dass der Bierwirt zum Tatzeitpunkt voll berauscht gewesen sei und sich an nichts erinnern könne.

Freund über L.: Das war der Normalzustand

Gegen eine "über mehrere Stunden dauernde Amnesie" spricht allerdings das Gutachten, das die Staatsanwaltschaft in Auftrag gab. Aus Dokumenten und Zeugenaussagen "geht klar hervor, dass der Beschuldigte den Weg zum Tatort fand, die Waffe bei sich trug und die gezielten Schüsse abgab".

Eine "volle Berauschung" konnte nicht nachgewiesen werden. Unter anderem gab der Bierwirt bei einer Befragung an, seit ein paar Jahren pro Tag zehn bis 20 Bier, aber auch drei bis vier Flaschen Wodka getrunken zu haben. Aufgrund des "Gewöhnungseffekts" sei daher hinsichtlich Alkohol nur von einer "mittelschweren Berauschung" auszugehen, heißt es in dem Gutachten. Im Gesamten sei das "Steuerungsvermögen" des Bierwirts "möglicherweise vermindert, jedoch nicht aufgehoben" gewesen.

Auch ein Freund, der am Tag der Tat mit L. unterwegs war, sagte gegenüber der Polizei: "Er war wie immer. Ein bisschen betrunken wirkte er." Gewankt oder getorkelt sei L. nicht. "Wenn ich so an die letzte Zeit denke, würde ich sagen, dass dies sein Normalzustand war."

Kokain und Rotlichtmilieu

Der Bierwirt war schon vor dem mutmaßlichen Mord an seiner Lebensgefährtin mehr als nur amtsbekannt, sein Strafregisterauszug ist prall gefüllt. Die Aufzeichnungen reichen bis 1996 zurück. Damals wurde L. wegen Urkundenunterdrückung schuldiggesprochen. Danach folgten zehn weitere Einträge, mehrfach wegen Körperverletzung, Nötigung und gefährlicher Drohung. Hinzu kommen Delikte wegen Hehlerei, Diebstahl, Fälschung unbarer Zahlungsmittel und wegen unbefugten Waffenbesitzes. Im vergangenen Jahr fasste L. eine bedingte sechswöchigen Freiheitsstrafe aus. Der Bierwirt ging unrechtmäßig mit geschäftlichen Personendaten um. Es ist der letzte Eintrag vor der mutmaßlichen Tat im April.

Nach dem Tod seiner Ex-Freundin stellte die Polizei an der Wohnadresse des Bierwirts unter anderem Munition und beachtliche 7,5 Kilogramm Marihuana sicher. Das Gras sei sein eigenes, gab L. an. Daraus habe er Öl machen wollen, "damit er schlafen könne". L. konsumierte seit Jahren Drogen. Nach eigenen Angaben begann er im Alter von 14 Jahren mit Speed, später probierte er Heroin und Ecstasy aus und konsumierte vermehrt Kokain. Letzteres verbindet der Bierwirt von sich aus mit dem Rotlichtmilieu, das früher "mehr oder weniger" seines gewesen sei, wie er im Zuge seiner Untersuchung erzählte.

Der "Bierwirt"-Prozess

Für die breite Öffentlichkeit erlangte L. erst durch den Prozess gegen die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer eine zweifelhafte Bekanntheit. L. klagte Maurer auf üble Nachrede. Der Grund: Die Politikerin erhielt im Mai 2018 vulgäre Nachrichten vom Facebook-Account des Ex-Besitzers eines Wiener Craft-Beer-Shops. Maurer machte jene Zeilen samt seiner Identität öffentlich und nannte ihn "Arschloch". Der Bierwirt bestritt stets, die Nachrichten geschrieben zu haben, auch Gäste hätten seinen Computer im Lokal benutzt – das konnte er allerdings nie nachvollziehbar machen. Der Prozess zog sich über zweieinhalb Jahre, bis L. die Klage überraschend zurücknahm. Es kam zu einem Freispruch für Maurer. Auch die Unterlassungsklage wegen des "Arschloch"-Sagers verlor der Bierwirt.

Schon eine Woche vor der mutmaßlichen Tat soll L. bewaffnet in die Wohnung im Winarskyhof gekommen sein und Marija M.s Eltern mit dem Tod gedroht haben.
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Aus den Zeugenbefragungen der Polizei geht hervor, dass Familie und auch Freunde von L. nach diesem Prozess eine Radikalisierung wahrnahmen, auch seine Alkohol- und Drogenexzesse sollen häufiger und heftiger geworden sein, finanziell habe er große Schwierigkeiten.

Bereits im Laufe der Verhandlung geriet L. immer mehr außer Kontrolle. Im Rückblick wirkt es geradezu als Nichtigkeit, dass der Bierwirt einmal in Flipflops und Bermudas vor Gericht erschien oder die Corona-Schutzmaske oft unter der Nase trug – nichts als Provokation. Die Lage sollte sich nach außen hin erst so richtig zuspitzen, als der ehemalige Ladenbesitzer bei einem Gerichtstermin im September 2020 "Willi" ins Spiel brachte.

Eine irritierende Avance und eine verbotene Waffe

L. zog einen Zettel aus der Hosentasche, den er schon einige Wochen zuvor in der Geschäftspost gefunden haben wollte. Ein gewisser "Willi", ein Kunde und Freund, dessen Nachnamen er weder nennen noch buchstabieren konnte, bekannte sich darin zu den Nachrichten an Maurer. Der Prozess wurde vertagt, "Willi" musste ausgeforscht werden. Als der Richter mit Fragen nachhakte, echauffierte sich L. aber derart, dass er vehement zur Ruhe aufgerufen werden musste. Doch dabei sollte es nicht bleiben.

Innerhalb kürzester Zeit machte L. deutlich, wozu er imstande ist. Nur wenige Tage nach dem Prozesstermin erhielt der Richter einen Brief, unterzeichnet mit dem Namen des Bierwirts, in dem Maurer als "gefickt (hochdeutsch: schuldig)" bezeichnet wurde. Der Brief ist an jenem Tag datiert, an dem sich L. zu späterer Stunde telefonisch auch an einen Redakteur des STANDARD wandte. Die Nummer erhielt er nach einer Recherche zur Causa von seinem damaligen Anwalt. Es folgte die wenig vertrauensweckende und daher ausgeschlagene Einladung in sein Lokal samt festgelegter Deadline, um möglicherweise an "Willi" heranzukommen. Nur eine Woche später wurde der Bierwirt vor seinem Geschäft vorübergehend verhaftet. Mit 1,44 Promille im Blut nötigte und bedrohte er einen Passanten. Es wurde auch eine verbotene Waffe sichergestellt: eine Taschenlampe mit integriertem Elektroschocker.

Und dann kam "Willi"

Erst heuer im Februar erschien "Willi", den viele für eine Erfindung des Bierwirts hielten, tatsächlich beim Prozess. Doch auch er wollte nichts mit den obszönen Nachrichten an Maurer zu tun haben. "Ich hab gar kein Facebook", sagte er lapidar. L. hatte zuvor die Klage gegen Maurer zurückgezogen und tauchte gar nicht mehr auf. Er verschwand damit aus der Öffentlichkeit. Nur etwas mehr als zwei Monate später saß der Bierwirt volltrunken auf einer Parkbank im Hof eines Gemeindebaus. Eine Pistole, die er trotz aufrechten Waffenverbots besaß, wurde direkt neben ihm auf dem Boden durch die Exekutive sichergestellt. L. steht seither im dringenden Verdacht, seine langjährige Lebensgefährtin Marija M. erschossen zu haben.

Von einem Freund wird L. gegenüber der Polizei als "ehrlicher Kerl" beschrieben, "der sich nichts gefallen ließ". Das habe ihm "hin und wieder" Probleme eingebracht.

Die Probleme, die er hat und hatte, erklärt L. selbst und auch sein familiäres Umfeld mit seiner Kindheit bzw. Jugend. L. hat drei Geschwister: eine Schwester, die gleichzeitig die beste Freundin der getöteten Marija M. war und eine Wohnung im selben Gemeindebau hat, und zwei Brüder. L. und einer der Brüder wuchsen hauptsächlich in Heimen auf, L. zufolge ab seinem neunten Lebensjahr. Die anderen beiden Kinder blieben bei der Mutter. Der Schwester zufolge habe es regelmäßig Gewalt in der Familie gegeben, der Vater, der vor einigen Jahren verstarb, sei Alkoholiker gewesen. "Mein Bruder war und ist aufgrund seiner Kindheit und des sozialen Umfelds ein sehr schwieriger Mensch", sagte sie der Polizei. Ihrer Freundin Marija M. gegenüber habe sie immer wieder ihre Bedenken wegen der Beziehung mit ihrem Bruder geäußert.

Laut Anklage besteht "kein Zweifel", dass L. auf seine Ex-Freundin geschossen habe. Auf der Tatwaffe wurden DNA-Spuren des Bierwirts und auf dessen Kleidung und Händen Schmauchspuren festgestellt.
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Auch M.s Eltern berichteten der Polizei, dass ihre Tochter "immer" Angst vor L. gehabt habe und oft in ihre Wohnung "geflüchtet" sei. Die Beziehung sei nie wirklich gut gelaufen, L. sei immer wieder tage- oder wochenlang weg gewesen. Auch die Zeugenaussage der 13-jährigen Tochter der beiden, die während der Tat wie auch ihr dreijähriger Bruder in der Wohnung war, offenbart die Abgründe der langjährigen On-off-Beziehung. L. habe die Mutter geschlagen, immer wieder habe er ihr auch gedroht, mitunter sogar mit einer Waffe in der Hand. Direkt mitbekommen habe sie das aber nie.

Die befürchtete Eskalation

Eine Woche vor M.s gewaltsamen Tod eskalierte die Situation mit L. bereits. Er kam in die Wohnung im Winarskyhof – er selbst hat eine eigene Wohnung, die nur wenige Meter entfernt vom Gemeindebau ist – und traf dort auf seine Tochter und die Eltern von Marija M. Es kam zu einem Streit, L. wurde laut, drohte der Mutter und schoss schließlich in die Richtung des Vaters. Die Kugel schrammte an dessen Kopf vorbei und landete im Türstock. So hat er es der Polizei erzählt – allerdings erst, nachdem seine Tochter erschossen wurde. M. trennte sich nach dieser Episode von L. Die Polizei wurde nicht eingeschaltet. Die Familie befürchtete, dass L. deswegen nicht oder nur kurz ins Gefängnis müsse und die Situation danach eskalieren würde. Tragischerweise tat sie das auch ohne die Anzeige. L. droht nun eine lebenslange Haftstrafe und die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. (Lara Hagen, Jan Michael Marchart, 19.12.2021)