Händler vergolden heuer erstmals seit 60 Jahren den Sonntag.

Foto: APA / Georg Hochmuth

Die Corona-Krise macht möglich, was in Österreich seit Jahren verpönt ist: Einkaufen am Sonntag. Der Handel hofft, damit einen Teil des Geschäfts zu retten, das während des Lockdowns an Onlineriesen im Ausland verlorenging. Das wirft Fragen nach den langfristigen Konsequenzen auf.

Frage: Was spricht dafür, heuer einmal sonntags einkaufen zu gehen?

Antwort: Wer sich statt am vierten Adventsamstag diesmal tags darauf ins Einkaufsgetümmel wirft, kauft mit gesünderem Abstand und kürzeren Warteschlangen vor der Kassa. Zumindest statistisch gesehen. Umfragen der Linzer Kepler-Universität zufolge sind nämlich lediglich 15 Prozent der Konsumenten willens, diesen Sonntag für Shoppen zu opfern. 80 Prozent haben andere Pläne.

Frage: Welche Geschäfte öffnen?

Antwort: Vor allem Einkaufscenter und filialisierte Händler. Ob ein Betrieb aufsperrt, bleibt ihm überlassen. Tabu ist der Sonntag nur für jene, die während der Lockdowns ohnehin geöffnet blieben. Einkaufen in Supermärkten und Drogerieketten spielt es am 19. 12. also nicht.

DER STANDARD

Frage: Was soll ein Einkaufstag zusätzlich dem Handel bringen?

Antwort: Viele Händler hatten heuer das kürzeste Weihnachtsgeschäft ihrer Geschichte. Jeder Euro mehr, den sie internationalen Onlinekonzernen abringen können, zählt. 150 Millionen Euro brutto soll der Sonntag der Branche an Umsatz bringen. Das sind zwar um 250 Millionen weniger als am Samstag zuvor, erhob die Kepler-Uni. Übervolle Lager leeren und Weihnachtsgelder finanzieren lassen sich damit dennoch.

Frage: Die Gewerkschaft ist erbitterter Gegner von liberaleren Ladenöffnungszeiten. Warum sprang sie hier erstmals über ihren Schatten?

Antwort: Viele Handelsmitarbeiter haben heuer durch Kurzarbeit weniger verdient. Sonntagsarbeit bringt gutes Geld. Die rote Linie, die dabei gezogen wurde: Keiner darf dazu gezwungen werden. Für die Überstunden sind 100 Prozent Zuschlag zu bezahlen. Zudem gibt es Zeitausgleich. Lehrlinge dürfen nicht zum Einsatz kommen. Etwaige Kosten für Kinderbetreuung zahlt der Arbeitgeber.

Frage: Könnte das nicht ein Modell für weitere offene Sonntage sein?

Antwort: Nein, sagen Gewerkschafter. Die Lockerung sei der Krise geschuldet und bleibe eine einmalige Ausnahme. Der Handel ist darob gespalten. Vor allem Einkaufszentrenbetreiber und Händler der Wiener Innenstadt rütteln an den strengen Regeln. Harter Widerstand aus den eigenen Reihen reichte bisher freilich aus, um aus dem Streit um den Sonntag einen Stellungskrieg der Sozialpartner zu machen. Nun sehen die Befürworter einer Liberalisierung starre Fronten bröckeln.

Frage: Was wurde aus den einst goldenen und silbernen Sonntagen in Österreich vor Weihnachten?

Antwort: Diese sind seit 60 Jahren auf Druck der Kirche Geschichte. Sie wurden Ende der 90er-Jahre durch lange Einkaufssamstage ersetzt.

Frage: Wer wären die Gewinner verkaufsoffener Sonntage?

Antwort: Eine halbe Million Österreicher arbeiten bereits am Sonntag. Ihre Lebensgewohnheiten änderten sich, Grenzen der Arbeitszeit lösen sich auf. Geschäfte sonntags weiter geschlossen zu halten, ist ein Luxus, den sich der Handel angesichts niemals schlafender Onlineriesen erst einmal leisten muss. Touristen haben dafür wenig Verständnis. Wien ist eine der wenigen Metropolen, wo der Handel samstags um 18 Uhr schließt.

Frage: Welche Länder pflegen einen lockereren Umgang mit Sonntagen?

Antwort: Deutschland erlaubt vier offene Sonntage im Jahr. In Ungarn darf sonntags nach einigem Vor und Zurück auch eingekauft werden, das Gleiche gilt für Tschechien, die Slowakei und Kroatien. Länder wie Italien, Spanien und Schweden haben keinen gesetzlichen Ladenschluss.

Frage: Was sind die Schattenseiten einer stärkeren Liberalisierung?

Antwort: Kaufkraft wächst nicht – sie verschiebt sich. Vom Tourismus profitieren in Summe wenige Unternehmen. Für viele ist der Sonntag aufgrund hoher Personalkosten zu teuer. Vor allem kleine Familienbetriebe geraten unter die Räder. Nicht überall kann der Inhaber selbst im Geschäft stehen. Verlierer sind aber auch die Beschäftigten. Es sind vor allem Frauen, die den Handel durch Teilzeitarbeit am Laufen halten. Die Personaldecken sind vielerorts ausgedünnt. Beruf und Familie lassen sich immer schwerer vereinbaren.

Frage: Was, wenn keiner zur Sonntagsarbeit gezwungen würde?

Antwort: Wer soll das kontrollieren? Wer sagt, dass die hohen Zuschläge von Dauer sind? Früher oder später würde daran gerüttelt werden. Freiwilligkeit ist auch für Händler selbst Illusion. Dafür ist der Verdrängungskampf auf dem Markt zu stark. Vorbei wäre die Sonntagsruhe auch für zahlreiche vor- und nachgelagerte Branchen bis hin zum Verkehr.

Frage: Welche Händler haben schon bisher sonntags freie Fahrt?

Antwort: Österreichs Öffnungszeitenregelung war bereits vor 100 Jahren mit Ausnahmen gespickt, und sie ist es bis heute. An Tankstellen, Bahnhöfen, Flughäfen ist Einkaufen die ganze Woche über erlaubt. Supermärkte machen davon gerne Gebrauch. Die Gastronomiekonzession und die Betriebsanlagengenehmigung bieten breite Schlupflöcher. Auch Tourismuszonen erlauben sonntägliches Shoppen. Bis auf Wien pflegen dies alle acht Bundesländer. (Verena Kainrath, 18.12.2021)