Webb ist das größte und leistungsstärkste je gebaute Weltraumteleskop. Astronomen erhoffen sich davon revolutionäre Daten über Exoplaneten und uralte Sterne.
Illustration: Esa / Nasa / S. Beckwith / ATG Medialab

An Superlativen kommt man schlecht vorbei, wenn es um das James-Webb-Weltraumteleskop geht. Es ist das bisher größte, das leistungsstärkste und mit Gesamtkosten von rund acht Milliarden Euro auch das teuerste Instrument seiner Art. Entwicklungsdauer, Bauzeit und Testphase sind mit einem Vierteljahrhundert rekordverdächtig. Kaum zu überbieten sind auch die Erwartungen, die in dieses Großprojekt gesetzt werden: Von nichts Geringerem als einer Revolution in der Erforschung des Weltraums ist die Rede. Nach zahlreichen Verzögerungen und Planänderungen soll das Rekordteleskop die Erde voraussichtlich am 24. Dezember hinter sich lassen und eine neue Ära einläuten.

Webb soll die wissenschaftliche Nachfolge des legendären Hubble-Weltraumteleskops antreten, das zwar noch nicht am Ende ist, nach knapp 30 Dienstjahren aber schon zum alten Eisen gehört. "Hubble hat alle Erwartungen übertroffen und so viele Entdeckungen gemacht, dass man wirklich mit den Ohren schlackert. Wir erwarten, dass Webb das noch besser machen wird, die Möglichkeiten sind gigantisch", sagt Günther Hasinger. Der deutsche Astrophysiker ist Wissenschaftsdirektor der Europäischen Weltraumorganisation (Esa), die gemeinsam mit der kanadischen Weltraumagentur (CNSA) an dem Prestigeprojekt der US-Weltraumbehörde Nasa beteiligt ist.

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Webbs 6.5-Meter-Hauptspiegel besteht aus 18 hexagonalen Segmenten.
Foto: AP/Laura Betz

Blick ins junge Universum

Gleich in mehreren Bereichen verspricht das Weltraumteleskop einen neuen Blick ins All. Webb soll mehr als 13,5 Milliarden Jahre in die Vergangenheit des Universums zurückschauen, viel weiter als andere Teleskope. Astronomen wollen nach dem Licht der ersten Sterne und Galaxien suchen, die nach dem Urknall entstanden sind. Zudem soll das Teleskop die turbulente Entstehung neuer Sterne und Planeten deutlich besser sichtbar machen.

Das waren die Hauptaufgaben, die dem Projekt in den 1990er-Jahren zugedacht wurden. Seither hat sich mit der Exoplanetenforschung aber noch ein weiteres riesiges Forschungsfeld aufgetan, das nun ebenfalls große Hoffnungen in Webb setzt: Das Teleskop soll eine bisher unerreichte Charakterisierung von Planeten außerhalb des Sonnensystems ermöglichen und nach Signaturen für biologische Aktivitäten fahnden.

Während Hubble vor allem im sichtbaren und ultravioletten Bereich arbeitet, ist Webb auf Beobachtungen im Infrarotbereich spezialisiert. "Infrarot ist ja Wärmestrahlung, also eigentlich misst Webb die Wärme von Objekten", sagt Hasinger. "So kann man Dinge sehen, die sonst im Verborgenen liegen – viele Regionen im Universum sind total von Gas- und Staubwolken blockiert, gerade dort, wo es interessant wird."

Weltraum-Veteran Hubble lieferte große Entdeckungen. Forscher warten angespannt auf seinen Nachfolger.
Foto: Epa/Nasa

Atmosphärische Biomarker

Auch der Rückblick in die kosmische Urzeit ist dank Webbs Infrarotaugen möglich. Durch die Ausdehnung des Universums wird das Licht der alten Sterne und Galaxien in den infraroten Bereich verschoben. "Man kann vermutlich die frühesten Sterne sehen, die 100, vielleicht sogar nur 50 Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden sind", sagt Hasinger. Auch uralte Schwarze Löcher soll Webb ins Visier nehmen. Exoplaneten standen beim Design des James-Webb-Weltraumteleskops dagegen noch nicht im Vordergrund, doch die Instrumente eignen sich auch für deren Erforschung ausgezeichnet.

Das Teleskop soll die Atmosphären ferner Planeten untersuchen und nach Molekülen Ausschau halten, die Aufschlüsse über die Bedingungen auf dem Planeten geben und vielleicht auch auf biologische Aktivitäten hinweisen könnten, sagt Esa-Direktor Hasinger. "Der Heilige Gral wäre es, Biomarker zu finden. Ob das gelingt, hängt natürlich davon ab, ob wir die richtigen Planeten finden."

Das Teleskop soll in 1.5 Millionen Kilometern Entfernung zur Erde arbeiten.
Foto: Ball Aerospace / Nasa

Abgelegener Arbeitsplatz

Um all diesen Aufgaben gerecht werden zu können, waren viele neue Entwicklungen nötig. Webbs Hauptspiegel misst 6,5 Meter und übertrifft jenen von Hubble damit fast um das Dreifache. Der Spiegel besteht aus 18 sechseckigen Segmenten und ist mit einer etwa 1000 Atome "dicken" Goldschicht überzogen, die der verbesserten Reflexion im Infrarotbereich dient. Die Teilspiegel werden sich erst im All zu einer Einheit entfalten, anders wäre ein Spiegel dieser Größe nicht zu transportieren gewesen.

Das Teleskop hat eine einmonatige Reise vor sich, ehe es sein Ziel erreicht: Im Gegensatz zu Hubble, das nur wenige Hundert Kilometer über der Erde kreist, wird es viel weiter hinaus geschickt. Webbs Arbeitsplatz ist eine Umlaufbahn am zweiten Lagrange-Punkt (L2) des Erde-Sonne-Systems etwa 1,5 Millionen Kilometer von uns entfernt.

Kosmischer Schmetterling

Die Infrarotstörquellen Sonne, Mond und Erde liegen dann aus der Perspektive des Teleskops in der gleichen Richtung und können effektiv abgeschirmt werden. Dafür hat Webb einen fünflagigen Sonnenschirm von der Größe eines Tennisplatzes dabei. Auch dieser Schutzschild muss sich in den ersten Wochen im All selbstständig entfalten. "Dieser Vorgang ist extrem heikel. Mich erinnert das an einen Schmetterling, der verpuppt ist und sich erst herausschälen und entfalten muss", sagt Hasinger.

Nach der Metamorphose sorgt ein Kühlmechanismus dafür, dass das Teleskop selbst keine Wärmestrahlung aussendet und nicht die eigenen Beobachtungen stört. Das zentrale Infrarotinstrument des Teleskops muss auf unter minus 266 Grad Celsius gekühlt werden. All das soll Webb etwa 100-mal empfindlicher machen als Hubble und für dreimal schärfere Bilder sorgen.

Benannt ist das Teleskop übrigens nach dem ehemaligen Nasa-Chef James Edwin Webb, der das Wissenschaftsprogramm der US-Behörde in den 1960er-Jahren ausgeweitet hatte. Diese Ehre sorgte zuletzt für Kritik: Der 1992 verstorbene Webb soll eine homophobe Personalpolitik mitgetragen haben. Die Nasa sah keine Beweise dafür und lehnte eine Umbenennung ab.

Europa ist an zwei der insgesamt vier Instrumente des Weltraumteleskops beteiligt, das Nahinfrarot-Auge Nirspec beinhaltet auch Komponenten des Unternehmens Ruag in Österreich. Die Esa trägt 700 Millionen Euro der Kosten für Webb, Österreich ist daran als Esa-Mitglied mit Mitteln des Klimaministeriums beteiligt, das auch für Weltraumagenden zuständig ist. Die Gesamtkosten für das Teleskop betragen rund acht Milliarden Euro.

Herausfordernde Reise

Nach jahrelangen Verzögerungen soll es nächste Woche endlich so weit sein. Webb wird voraussichtlich am 22. Dezember mit einer Trägerrakete vom Typ Ariane 5 vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana aufbrechen. Bis bei den Projektverantwortlichen und Astronomen in aller Welt Entspannung aufkommt, wird es noch dauern: Während Webb sein Ziel anfliegt, muss es seinen komplexen Transformationsprozess meistern und hunderte automatische Entfaltungs- und Aktivierungsschritte ausführen.

"In den ersten Stunden müssen sich die Solarzellen aktivieren, dann wird die Antenne ausgefahren und es geht mit der komplizierten Aufspannung des Hitzeschildes los", sagt Hasinger. Danach ist der Spiegel dran. Dessen Segmente sind wie ein Triptychon zusammengelegt und müssen sich korrekt auffalten. All diese Schritte müssen fehlerfrei ablaufen, denn anders als bei Hubble, das im Erdorbit mehrfach von Astronauten repariert wurde, ist eine Servicemission am zweiten Lagrange-Punkt nicht möglich.

Wenn alles klappt, dürfen wir Mitte nächsten Jahres mit den ersten Aufnahmen des James-Webb-Weltraumteleskops rechnen. (David Rennert, 19.12.2021)