An den Feiertagen werden die großen Problemthemen besonders deutlich. Sie sind für Patchworkfamilien meist ein Drahtseilakt, logistisch wie emotional.

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Die Kinder könnten doch vormittags bei den Ex-Partnern sein und am frühen Nachmittag zu uns stoßen – so habe sie sich das für Heiligabend überlegt, sagt Lisa. Ihr Mann Patrik erwidert: "Aber die Kinder sind zu Weihnachten doch gar nicht bei uns!" Sie wisse, das war nicht der Plan – aber es sei doch trotzdem "ein ziemlich guter Kompromiss, wenn die Kinder halb hier und halb dort sind". Schließlich sei es ihr erstes gemeinsames Weihnachten. Ihr Ex Martin zumindest finde die Idee gut. "Kannst du mit Katja darüber reden?" Katja ist Patriks Ex-Frau, die aber gar nicht begeistert ist, wie sich seine Neue das so ausmalt.

Lisa und Patrik sind die Protagonisten der sehenswerten schwedischen Serie Bonusfamiljen ("Bonusfamilie"). Der Plot ist fiktiv, aber die Probleme durchaus real. Es geht um eine Frau und einen Mann, ihre drei Kinder aus erster Ehe und die zwei, die sie im Laufe der Serie zusammen bekommen. Kurzum: um das Experiment Patchwork, das sie wagen.

Vorteile und Herausforderungen

Mit allen Vorteilen, die das System so mit sich bringt: eine große bunte Familie, immer Action, immer jemand da, vier Erwachsene, die fünf Kinder liebevoll betüdeln. Thematisiert werden aber – mit viel schwarzem Humor – auch die Herausforderungen: die harte Arbeit an den eigenen Gefühlen, das Jonglieren zwischen Bedürfnissen, die Loyalitätskonflikte, der Streit und das Versöhnen, die anfängliche Distanz und das zaghafte Annähern aneinander. An den Feiertagen werden die großen Problemthemen besonders deutlich. Sie sind für Patchworkfamilien meist ein Drahtseilakt, logistisch wie emotional.

Das wissen wenige so gut wie Claudia Starke und Thomas Hess. Die Familientherapeuten leben selbst im Patchwork, haben Das Patchwork-Buch. Wie zwei Familien zusammenwachsen geschrieben und in ihrer Praxis schon viele Familien beraten. Sie sagen: "Das Komplexe ist, dass man gerade an den Feiertagen sehr viel mehr und sehr viel komplexere Entscheidungen treffen muss."

Können und wollen die Eltern der Kinder zusammen feiern? Falls nein: Wer gehört jetzt alles zur Familie? Auch die Eltern und Geschwister der neuen Partner? Soll es mehrere Feiern geben? Wer kommt wann zu wem? Und wer bekommt den Heiligabend und wer den Christtag? Besonders komplex werde es, wenn beide Partner Kinder in die Beziehung mitbringen.

Reduzieren, Ruhe einplanen

Abwechseln – also den Heiligabend beim Papa feiern und den 25. bei der Mama, und im nächsten Jahr andersrum – halten die Experten für eine gute Idee. "Wir kennen auch Familien, bei denen die Kinder die gesamten Feiertage bei einem Elternteil verbringen und im nächsten Jahr dann beim anderen." Eltern könnten bei ihren Kindern vorfühlen, wie sie sich das wünschen. Trotzdem sollten sie die große Entscheidung, wo gefeiert wird, selbst treffen. "Das könnte Kinder überfordern."

Aus diesem Grund sei es auch nicht ratsam, viele einzelne Feiern abzuhalten, also in jeder Konstellation separat. "Die Kinder sind dann fix und fertig." Die Devise sollte eher sein, die Tage nicht zu straff zu takten. Zwischendurch sind Pausen angesagt, in denen alle hoffentlich zur Ruhe kommen können.

Eltern sollten auch stets im Kopf behalten, dass die Kinder beim Wechsel von der einen in die andere Familie "eine Wahnsinns-Anpassungsleistung erbringen". Beim Papa läuft vielleicht vieles anders als bei der Mama, und bei Oma und Opa wieder anders. Darauf müssen sich Kinder innerhalb kürzester Zeit einstellen. Das könne auch dafür sorgen, dass sie beim Ankommen schlecht gelaunt sind, was Eltern keinesfalls als Abweisung verstehen sollten.

"Sie sollten ihre Kinder auch nicht sofort mit Liebeserklärungen oder organisatorischen Dingen überhäufen", sagen die Familientherapeuten. Sondern ihnen besser einfach eine halbe Stunde Ruhe gönnen. Diese Verschnaufpause zwischen den Stationen sei wichtig. "Wir kennen eine Mutter, die mit ihrem Kind den ganzen Weg vom Vater zurück in die Patchworkfamilie mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, damit mehr Zeit für den Übergang ist." Rituale, wie etwa eine Geschichte, können beim Abschied vom anderen Elternteil helfen.

Die Feier mit allen

So viel also dazu, wie sich Familien die Feiertage aufteilen können, ohne dass es zu stressig wird. Das von den meisten Kindern präferierte Szenario wäre jedoch ein anderes, sagen die Experten: "Das Höchste der Gefühle für sie ist meist, mit beiden leiblichen Eltern zu feiern."

Die Zeitung Washington Post porträtiert eine Familie, der es offenbar gut gelungen ist, sich darauf einzulassen: Eine Frau feiert mit ihrer vierjährigen Tochter, ihrem neuen Partner, ihrem Ex-Mann und dessen Neuer – die kurzerhand den gleichen Weihnachtspulli für die gesamte Gruppe bestellt.

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Geschenke, Geschenke, Geschenke: Hier braucht es eine Absprache. Damit nicht das eine Kind drei Packerln bekommt und das andere zehn.
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Aber es muss nicht gleich ein Team-Outfit sein – wenn man es schafft, typische Streitereien für einige Stunden beizulegen, ist schon viel gewonnen, sagen Starke und Hess. Sie empfehlen Eltern, die zum ersten Mal eine gemeinsame Feier wagen, "sich vorab darauf zu einigen, welche Themen sie an diesem Tag besser nicht ansprechen wollen". Selbst zwischen Eltern, die trotz Scheidung gut aufeinander zu sprechen sind, gebe es gewisse Konfliktzonen. "Dass sie sich getrennt haben, hat ja seinen Grund." Tiefsitzende Kränkungen und alte Verletzungen hätten am Heiligabend nichts zu suchen.

Helfen könne, "sich darauf einzustellen, dass einen mit Sicherheit etwas ärgern wird", sagen die Therapeuten. "Die Gründe, die zur Trennung geführt haben, sind ja wahrscheinlich immer noch da." Der Ex-Partner verändere sich nicht urplötzlich in einen Menschen, mit dem man gut klarkommt. Womöglich zahlt es sich auch aus, die Perspektive zu ändern: Anstatt ihn als "Ex" zu sehen, könne man ihm als dem anderen Elternteil seines Kindes entgegentreten.

Bloß keine Gehässigkeit

Der neuen Flamme des Ex-Partners oder der Ex-Partnerin solle man möglichst neutral begegnen. "Sie müssen ja keine Freunde werden, nur miteinander umgehen können." Wenn Ärger oder Wut in einem aufsteigen, könne es dienlich sein, kurz innezuhalten, tief durchzuatmen und sich zu fragen: "Warum ärgert mich das jetzt so?"

Letztenendes haben neue Partner auch keine leichte Rolle in der ganzen Konstellation. Sie sind bei Weihnachtsplanungen häufig außen vor, wissen die Experten. Denn Weihnachten ist traditionell das Fest der Kernfamilie und der glänzenden Kinderaugen. "Und die neuen Partner stehen dann oftmals mit einer großen Zwei auf dem Rücken da."

Gefragt sind also Sensibilität und ein Ausgleich, also dass das Paar für sich einen Zeitpunkt findet, um nachzufeiern. Ob das jetzt bedeutet, dass man sich im Anschluss an die Familienfeier trifft oder einander am nächsten Tag sieht, ist Geschmackssache.

Die Omi dazu einladen

Die Contenance beim Patchwork-Weihnachten zu bewahren, falle übrigens leichter, wenn alle Erwachsenen auf das Wohl der Kinder fokussieren. "Daraus kann man ein kleines inneres Mantra machen." Wer die Situation entschärfen möchte, kann weitere Gäste einladen – etwa die Omas, die einsame Tante oder eine befreundete Familie. "Dann ist man einander nicht so ausgeliefert."

Bleibt noch die Frage, wo so ein Gemeinschaftsfest abgehalten werden soll. Und die kann mitunter heikel sein. Denn vielleicht tut es noch zu weh, in das Haus der Ex-Frau zu gehen, das einmal das gemeinsame war und wo sie jetzt mit ihrem neuen Partner und den Kindern wohnt. "Manche machen es dann so, dass sie bei Verwandten, den Großeltern oder bei Freunden feiern, wenn es das Ganze neutralisiert."

Was ebenfalls gut überlegt und besprochen gehöre, ist der Ablauf der Festivität – sonst gibt es an Weihnachten Differenzen. "Gibt es ein Dreigangmenü mit Truthahn oder vegane Kürbissuppe? Fangen wir mit dem Essen an? Fangen wir mit den Geschenken an? Solche Dinge sollten vorher geklärt sein."

Auch bei den Geschenken müsse eine Absprache her. Denn die Meinungen darüber, was angemessen ist, gehen oft weit auseinander. "Manche sagen: Der große Kasten Lego muss es unbedingt sein, andere finden, dass ein kleines Plastikauto reicht." Eine Möglichkeit sei, im Vorfeld zu wichteln. "Damit nicht das eine Kind mit einem Paar Socken dasitzt und das andere 15 Geschenke unter dem Baum liegen hat." Das stifte nur Unmut.

Zwei Feiern sind auch gut

Wer sich nicht in der Lage sieht, mit seiner oder ihrem Ex den Heiligabend zu verbringen, ist damit aber nicht allein. Starke und Hess sagen: "Ehrlicherweise schaffen es die meisten der Familien nicht, zusammen unterm Christbaum zu sitzen." Sie machen zwei Feiern. "Und das ist auch okay." Wer so zerstritten ist, dass er sich nicht mehr sehen kann, müsse sich nicht um jeden Preis zusammenraufen. "Es gibt eine Eskalationsstufe, die das verunmöglicht. Dann ist es für Kinder auch nicht schön, sondern nur ein Leiden." Sie hätten nämlich gute Sensoren für Spannungen.

Wie es bei der schwedischen Serien-Bonusfamilie weitergegangen ist? Am Ende können Lisa und Patrik tatsächlich mit allen Kindern Weihnachten feiern. Als Lisas Ex die Kinder abliefert, bleibt er jedoch gleich da – er ist frustriert, weil seine Neue mit ihm Schluss gemacht hat. Die Ex-Frau von Patrik geht indessen mit Arbeitskolleginnen auf einen Drink und hat Spaß. Das war in Staffel eins. In der vierten Staffel läuft es schon anders ab: Alle feiern zusammen. Ein nicht ganz friktionsfreier, aber dennoch vergnüglicher Abend. Zumindest für die Zuseher. (Lisa Breit, 18.12.2021)