Das Hotel Sacher spielte einst eine Hauptrolle in ORF-Filmen. Zum Interview im Haus bittet Matthias Winkler, einst Kabinettschef von Finanzminister Karl-Heinz Grasser, in eine Suite.

STANDARD: Es wird wieder geöffnet. Womit sind Sie hier im Haus mit seinen 152 Zimmern gerade beschäftigt?

Winkler: Aktuell sind wir für Geschäftsreisende geöffnet und haben fünf Gäste im Haus. Wir freuen uns, dass wir endlich wieder ganz aufsperren dürfen. Aber selbst wenn ein Hotel komplett geschlossen ist – wie wir teilweise im Lockdown I und II –, sind Blumen zu gießen, ist aus Versicherungsgründen alle 48 Stunden jedes Zimmer zu begehen, müssen ungenützte Wasserleitungen gespült werden, muss gelüftet, staubgewischt und gesaugt werden.

STANDARD: Viel zu tun auch ohne Gäste?

Winkler: Wir hatten im Lockdown I jeden Tag zwischen zehn und 14 Personen hier. Jetzt ist auch die Küche durchgehend besetzt. Wir kochen Take-away und für unsere Hotelgäste, die die Speisen auf die Zimmer serviert bekommen. Aktuell wird das Weihnachtsmenü vorbereitet, und die Heizungen müssen wir wieder in vollen Betrieb hochfahren. Maler sind im Haus unterwegs, kitten Risse und pinseln, es werden viele Möbelstücke renoviert. Marketing und Sales-Abteilung sind durchgehend da, Anrufe kommen: zuerst buchen, dann stornieren, jetzt wieder buchen. Wir haben sehr viel Aufwand für letztlich kaum Ergebnis.

Matthias Winkler führt mit seiner Frau Alexandra und ihrem Bruder Georg Gürtler die Betriebe. "Wie viele Gäste am 20. Dezember im Hotel sein werden, wissen wir nicht einmal am Tag davor."
Andreas Urban

STANDARD: Buchen die Gäste jetzt?

Winkler: Weihnachten ist üblicherweise die stärkste Zeit im Jahr. Im Normalfall haben wir im Oktober schon 40 bis 50 Prozent des Geschäfts in den Büchern, und wir gehen immer von voller Auslastung aus. Heuer hatten wir ganz grob 50 Prozent eines normalen Dezembers, ca. die Hälfte davon haben wir durch die Diskussion über den Lockdown und dann durch den Lockdown selbst verloren. Ganz grob sind wir jetzt bei rund 30 Prozent des normalen Dezembers. Wie viele Gäste am 20. Dezember im Hotel sein werden, wissen wir nicht einmal am 19. Wir haben aktuell Stornofristen von wenigen Stunden. Diese Flexibilität müssen wir haben, sonst bekommen wir gar keine Buchungen.

STANDARD: Alles ist möglich?

Winkler: Es ist ähnlich einer gaußschen Glockenkurve und in der Mitte wird wahrscheinlich die Wahrheit liegen. Wieviele Gäste wir am Heiligen Abend haben werden, hätte ich Ihnen 2019 plus-minus drei sagen können. Heute kann ich es nicht einmal plus-minus 30 sagen.

STANDARD: Wir beenden eben den vierten Lockdown, die Schweiz hatte bisher einen. Welche Note geben Sie dem Krisenmanagement der Politik?

Winkler: Gar keine, weil ich weiß, wie schwierig es ist, letztlich ein System über alle Branchen – vom stahlverarbeitenden Industrieunternehmen bis zum Kaffeehaus – und über alle Menschen – vom Schüler bis zum Pensionisten – zu ziehen. Ich würde andersrum sagen: Was können wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen?

STANDARD: Nämlich?

Winkler: Dass wir wissenschaftlich basiert konkret Öffnungs- und Schließungsschritte monitoren, weit über die Bewegungsdaten hinaus, um daraus richtige Schlüsse zu ziehen. Ich habe bis heute noch niemanden getroffen, der mir präzise sagen konnte, warum ein Kaffeehausbetrieb, ein Restaurantbetrieb, ein Hotelbetrieb geschlossen bleiben muss, und gleichzeitig andere Betriebe öffnen dürfen. Ich glaube, faktenbasierte Entscheidungen sind teilweise gar nicht möglich, weil wir nicht gemessen haben, was passiert, wenn ich ein Kaffeehaus schließe. Wir wären bereit, in jeder Studie mitzuwirken, weil ich glaube, die nächste Welle wird kommen, und ich befürchte, wir werden mangels Daten wieder umfassend schließen.

STANDARD: Sie kommen mir zuvor. Ich wollte wetten.

Winkler: Also ich wette, dass es wieder einen Lockdown geben wird. Ich verstehe es: Spitalsbetten sind voll, Intensivbetten sind voll, Medizin- und Gesundheitssystem an der Grenze oder weit darüber. Was fehlt, ist die wissenschaftliche Begleitung der Effektivität aller Maßnahmen und Hilfen. Wenn wir das nicht haben, werden wir mit den alten Rezepten auch den nächsten Lockdown begleiten.

STANDARD: Wien hat mit dem Aufsperren von Hotels und Gastronomie noch eine Woche länger gewartet. Leuchtet das ein?

Winkler: Ich habe bis jetzt keine faktenbasierende Begründung bekommen. Ich versuche mich aber nicht zu viel darüber zu ärgern. Ein Unternehmen können Sie nicht mit dem Blick in den Rückspiegel steuern, Sie müssen bei aller Tristesse versuchen, konsequent nach vorne zu schauen.

Er kenne keinen, der mit Staatshilfen Gewinne gemacht habe, sagt der Sacher-CEO.
Andreas Urban

STANDARD: Dort wartet auch die Impfpflicht. Haben Sie Signale, dass Gäste das als sicherer empfinden?

Winkler: Unsere Gäste sind zu über 90 Prozent geimpft und erwarten das auch von uns. Sicherheit steht nach wie vor ganz oben bei ihrer Kaufentscheidung. Nach wissenschaftlichem Stand heute wird diese bestmöglich mit einer ganz hohen Impfquote erreicht. Die Impfpflicht ist absolut fürchterlich, ich habe sie mir nicht gewünscht. Die kann sich auch niemand gewünscht haben. Aber diese Pandemie muss in die Schranken gewiesen werden.

STANDARD: Ihr Haus empfängt normalerweise über 90 Prozent internationale Gäste, viele aus dem arabischen Raum. Wie lief es im Sommer?

Winkler: Er war deutlich besser, als wir dachten. Es waren mehr Menschen aus mehr Ländern bei uns zu Gast. Menschen aus Nachbarländern von West bis Ost haben Städteurlaub gemacht – eher untypisch. Die große Zahl an Amerikanerinnen und Amerikanern, Asiaten, genauso wie aus dem Mittleren Osten ist nicht gekommen.

STANDARD: Wie hat sich das auf das Geschäft ausgewirkt?

Winkler: Der Schnitt ist grob bei der Hälfte eines normalen Geschäftsjahres – über wenige Monate. Es hat Spitzen gegeben, wo wir kein Zimmer mehr frei hatten – das waren aber Ausnahmesituationen. Dann hat es wieder Tage in der Hochsaison im Sommer gegeben, wo wir nicht einmal zwanzig Zimmer belegt hatten. Es war extrem volatil.

STANDARD: Sie hatten vor der Krise 800 Mitarbeiter. 140 wurden dann gekündigt. Wie sieht es jetzt aus?

Winkler: Wir sind wieder deutlich über 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und bauen kräftig auf. Die operativen Abteilungen, in der Küche, wir suchen überall und stellen auch laufend ein. Wir haben zum Ziel – mit einigem Optimismus im Bauch und im Hirn –, zumindest hundert Leute 2022 einzustellen.

STANDARD: Einerseits muss die Branche schauen, die Mitarbeiter beschäftigen zu können, andererseits ist es so schwierig wie lange nicht, welche zu finden. Trifft das auch Ihr Haus?

Winkler: Recruiting ist derzeit besonders schwierig. Das Tröstliche ist: Es ist fast auf der ganzen Welt gleich. Auch unser Mitbewerb in Wien, Graz oder Salzburg steht vor derselben Situation. Wir müssen das Vertrauen in den Tourismus als Arbeitgeber erst wieder aufbauen.

STANDARD: Stichwort Mitbewerb. Die längste Zeit ist von einer Pleitewelle die Rede, die nicht und nicht kommt. Halten die Hilfen einen notwendigen Strukturwandel auf?

Winkler: Es gibt ihn schleichend, still, und das ist schlecht. Aber Sie werden ihn in der Luxushotellerie in der Stadt schwer finden. Wir sind in Wien das einzige familiengeführte Fünfsternhaus. Alle anderen werden von internationalen Hotelketten betrieben und gehören großen Eigentümern. Die sind ganz anders finanziell aufgestellt.

STANDARD: Und die familiengeführten Hotels?

Winkler: Die haben jetzt viel Geld aufgenommen. Die Krise wird länger dauern, als alle geglaubt haben, und die Notwendigkeit von Investitionen ist ja deswegen nicht weg. Und beides zur selben Zeit werden viele Unternehmen nicht schaffen. Wir gehen ja nicht nur von einem hinkenden Geschäft aus, sondern auch von großen Investitionsvolumina, die notwendig sein werden. Wir haben zum Beispiel in Schulungen investiert. Im nächsten Jahr haben wir ein so intensives Schulungsprogramm wie überhaupt noch nie bei uns. Doch viele andere Hotels mussten die Finanzierungsmöglichkeiten zur Krisenbewältigung bis knapp unter den Plafond des Möglichen ausnützen. Wie soll der jetzt noch investieren – in ein neues Spa oder ein neues Restaurant?

Derzeit werde viel investiert sagt Winkler – und man suche wieder Personal.
Andreas Urban

STANDARD: Dabei wurde vielfach gemutmaßt, dass die Hotelbranche durch die Hilfen überfördert wurde.

Winkler: Die Diskussion ist beim 80-prozentigem Umsatzersatz im letzten November losgebrochen, wo es hieß, 80 Prozent des Umsatzes kann niemand vorher jemals verdient haben. Was die meisten vergessen: Es gab Monate vorher wenig bis nichts. Ich kenne keinen, der mit den Staatshilfen Gewinne gemacht hat, auch wir nicht. Im Gegenteil, wir haben hohe Millionenverluste gemacht. Trotz vieler Förderungen und drastischer Sparmaßnahmen machen wir nach wie vor Verluste. Ein Fünfsternhaus kommt vielleicht mit 45 Prozent Belegung auf die schwarze Null. Vielleicht.

STANDARD: Stichwort Investitionen. Was erlebe ich heute als Gast anders als vor fünf Jahren?

Winkler: Sie werden ein viel digitalisiertes Sacher erleben. Vor fünf Jahren haben Sie mit Schlüssel oder Chipkarte geöffnet, heute können Sie mit Schlüssel, Chipkarte und Smartphone Ihr Zimmer öffnen. Wir haben sehr viel in Digitalisierung investiert – für Gäste genau wie für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir haben den gesamten Ablauf von Reinigen, Instandhalten, Reparieren digitalisiert. Jede Stubenfrau hat ein Smartphone, auf diesem ist der Zimmerplan und was dort zu tun ist. Wenn ein Riss im Lampenschirm ist, fotografiert ihn die Stubenfrau, übermittelt das Foto digital an die Reparaturabteilung und vergibt dabei eine Priorität. Wird es innerhalb einer gewissen Zeitspanne nicht repariert, wird der Auftrag automatisch an die Abteilungsleiter weitergeleitet, die dann sehen, "das ist dringend", das muss noch gemacht werden.

Wir sind gerade in einem Pilotprojekt dabei, ein Zimmer mit Voice zu digitalisieren, sodass Sie es auch mit Sprache steuern können. Derzeit können sich Gäste das Kopfpolstermenü aussuchen – hart oder weich – irgendwann werden sie sich die Raumtemperatur aussuchen können. Einer der nächsten Schritte wird sein, die Minibar zu personalisieren. Wenn Sie kein Mineralwasser mit Gas trinken, warum sollte dann bei Ihnen in der Minibar eines drinnen sein? An diesen Themen arbeiten wir ganz intensiv. Ich glaube dass die Pandemie jetzt – wenn man kann – die Zeit für Investitionen und Qualität ist.

STANDARD: Manche werden versuchen, mit Schleuderpreisen zu agieren.

Winkler: Das ist immer das Ende. Es ist immer eine Verzweiflungstat und führt nie zum Erfolg.

STANDARD: Wären dynamische Preise eine Idee?

Winkler: Wir pricen schon mehrmals täglich. Innerhalb eines Tages geht das schon um ein paar Euro hinauf und hinunter. Das kann auch mal 20 bis 30 Euro sein

STANDARD: Wann werden Sie wieder Gewinne schreiben?

Winkler: Ich hoffe, dass wir 2023 unsere Abschreibungen wieder verdienen können und folglich 2024 wieder Gewinne schreiben können. (Regina Bruckner)