Dramen mit nicht so lustigem Ausgang: Tobias Pickers Oper "Thérèse Raquin".

Prammer

Wien – Was sich gerade in der Wiener Kammeroper abspielt, ist nichts für schwache Nerven: in einer muffigen Substandardwohnung wird gespielt und gesoffen. Es gibt Sex und Tote, dazwischen in Ton gesetzte menschliche Abgründe zwischen seelischem Missbrauch und körperlicher Gewalt, Einsamkeit und Abhängigkeit, Schuld und Sühne. 1998 stieß Komponist Tobias Picker auf Emile Zolas Roman "Thérèse Raquin".

In der kruden Geschichte rund um eine ehebrecherische Liebesaffäre, die schließlich zu einem Mord führt, fand er den Stoff für seine dritte Oper. Die Uraufführung fand 2001 an der Oper Dallas statt; später schuf Picker eine Kammerversion, die nun erstmals am Fleischmarkt aufgeführt wurde.

Emotionale Höllenfahrt

Die Bühne ist eine heruntergekommene Wohnküche (Ausstattung: Christoph Gehre) mit düsteren, dunkelgrünen Tapeten, ranzigem Sofa, Tisch und Stühlen. In diesem beengten Ambiente verwandelt Regisseur Christian Thausing das Kammerspiel in eine emotionale Höllenfahrt der Charaktere. Nach der Ermordung des unliebsamen Gatten Camille (abstoßend gut: Andrew Morstein) werden Thérèse und ihr Liebhaber Laurent (fulminant charakterstark: Timothy Connor) von Gewissensbissen, Albträumen und gegenseitige Schuldzuweisungen zerfressen.

Drama der Figuren

Zu Pickers üppig instrumentiertem und weitgehend tonalen Orchesterpart (im Klangrausch: das Wiener Kammerorchester unter Jonathan Palmer Lakeland), entspinnt sich ein Drama der geplagten Figuren, von Miriam Kutrowatz als einsame, kinderlose Frau und Ivan Zinoviev als deren lakonischen, dem Alkohol zugewandten Ehemann bis zu Hyunduk Kim als empathieloser Nachbar, der zum Dominospiel vorbeikommt.

Weil die Hauptdarstellerin erkrankt war, musste kurzfristig Julia Mintzer aus London eingeflogen werden. Fünf Tage hatte sie Zeit, die anspruchsvolle Mezzopartie mit ihren markerschütternden Höhen einzustudieren. Großartig, wie Mintzer mit wilden, schwarzen Locken und psychotischem Blick zwischen Depression und Obsession wandelt.

Horror vom Feinsten

Horror vom Feinsten liefert ihre Schwiegermutter Madame Raquin in Person der großartigen Juliette Mars als kalte, blasse und verhärmte Frau, die erst ihren Sohn verliert und nach einem Schlaganfall dazu verdammt ist, regungslos im Rollstuhl am Schrecken, der sie umgibt, teilzuhaben.

Wenig überraschend also, dass der Geschichte kein Happy End beschieden ist. Noch bevor Laurent Thérèse vergiften kann, ersticht sie ihn unter tosenden Klängen und den Augen ihrer gelähmten Schwiegermutter. "Therese, Therese, kiss me", röchelt Laurent noch blutüberströmt und stirbt. Der Vorhang fällt. Es gibt viel Applaus für alle Beteiligten, den der Komponist pandemiebedingt nicht persönlich in Empfang nehmen konnte. (Miriam Damev,18.12.2021)