Der Master Chief ist der Chef der Spartaner – oder so ähnlich.

Foto: Microsoft

Liebe Community, es ist Zeit für ein Geständnis: Ich bin vermutlich der einzige passionierte Gamer in diesem Universum, der noch nie ein Halo-Spiel gespielt hat. Das liegt nicht daran, dass ich keine SciFi-Shooter mag, ganz im Gegenteil: Ich betrachte die Mass Effect-Spiele als ein Kulturgut, das in seiner Komplexität zahlreiche Filme und Serien in den Schatten stellt. Mit den Battlefront-Spielen habe ich zahlreiche Stunden verbracht. Und auch in Bungies anderem großen Franchise, Destiny, habe ich viel Zeit verloren. Aber Halo? Irgendwie hat es sich einfach nie ergeben. Zuerst waren die Spiele exklusiv für die Xbox verfügbar, während ich nur auf dem PC zockte – und als sie dann doch auf den Computer wanderten, stahlen längt andere Dinge (Gamepass, du gottverdammter Zeitdieb!) meine Aufmerksamkeit.

Drei Mal so erfolgreich wie "Avatar"

In all den Jahren wurde ich aber niemals das Gefühl los, dass mir etwas entgeht. Und dabei spreche ich nicht von der üblichen FOMO ("Fear of Missing Out"), sondern von den nackten Zahlen und Fakten – immerhin haben sich in Pre-Lockdown-Zeiten Menschen vor Geschäften angestellt, um erste Exemplare der Spiele zu ergattern. Die Halo-Games galten mit ihrer Xbox-Exklusivität stets auch als Argument, sich eine derartige Konsole zuzulegen. Und insgesamt hat Microsoft mit den Spielen bis dato mehr als zehn Milliarden Dollar Umsatz generiert – das ist drei Mal so viel wie das Einspielergebnis von Avatar, der erfolgreichste Film aller Zeiten.

Nachdem der jüngste Teil der Serie, Halo Infinite, auch im STANDARD-Test recht positiv bewertet wurde, beschloss ich, nun endlich Nägel mit Köpfen zu machen und dem Franchise eine Chance zu geben. Verstanden habe ich dabei noch nicht viel, aber Spaß hat es trotzdem gemacht.

Die verdammten Verbannten

Als ich das Spiel zum ersten Mal starte, ist auf den ersten Blick alles wie bei anderen Spielen: Ich kann Tutorials absolvieren und mich zwischen einer Singleplayer-Kampagne oder einem Multiplayer-Match entscheiden. Und der Multiplayer unterscheidet tatsächlich nicht groß von dem, was man von anderen Player-versus-Player-Shootern kennt: Gemeinsam mit Freunden oder fremden Menschen aus dem Internet muss ich auf andere Spieler schießen oder diverse Aufgaben – wie etwa das Erobern der feindlichen Flagge – erfüllen. So weit, so gut. Anders schaut es aus, wenn ich in der Singleplayer-Kampagne versuche, einen Sinn in der Storyline und dem Franchise zu erkennen.

HALO

Denn offensichtlich bin ich irgendwann mal gestorben. Also, natürlich nicht ich – sondern der Master Chief, die kultige Hauptfigur der Spiele mit dem ikonischen grünen Helm. Das wird mir zumindest gleich zu Beginn des Spiels in einer Videosequenz demonstriert. Ganz so tot bin ich dann aber doch nicht, weil ich kurz darauf aufgesammelt werde und auf andere Wesen (Außerirdische?) schießen muss, die sich die "Verbannten" nennen. Ich weiß nicht, wer diese verdammten Verbannten sind und was ihre Beweggründe sind. Aber sie schießen auf mich, und deshalb schieße ich zurück.

Cortana ist an allem schuld

Ein möglicher Beweggrund der Verbannten: Es könnte irgendwas mit den Ringen zu tun haben. "Jeder Ring ist anders", erfahre ich relativ zu Beginn der Kampagne. Was die Ringe aber wirklich sind, das weiß ich nicht. Und damit diese Kolumne möglichst authentisch ist, habe ich weder gegoogelt noch einen Kollegen gefragt. Meine Theorie: Es handelt sich dabei um sich drehende Weltraumstationen, die Leben beherbergen können – ähnlich wie die mystischen Objekte in Arthur C. Clarkes Rama-Romanen.

Xbox

Was mir hingegen sehr wohl klar ist, beziehungsweise vorher schon klar war: Halo spielt offensichtlich in einer weit entfernten Zukunft, in der es Elitesoldaten – der Master Chief ist einer von ihnen, und sie nennen sich "Spartaner" – ebenso gibt wie künstliche Intelligenzen. Die künstlichen Intelligenzen treten als Hologramme auf und sind in den meisten Fällen attraktive (wenn auch virtuelle) Frauen.

Eine dieser Frauen ist Cortana. Das kommt Ihnen bekannt vor? Kein Wunder, denn der Erfolg der Halo-Spiele veranlasste Microsoft schon vor vielen Jahren, die ins eigene Windows-Betriebssystem integrierte digitale Assistentin ebenfalls so zu nennen. In unserer Welt ist Cortana Konkurrentinnen wie Alexa und dem Google Assistant deutlich unterlegen, und auch in der Halo-Welt dürfte sie Mist gebaut haben – zumindest kommt mir das immer mehr so vor. "Cortana sollte doch gelöscht werden, sie ist an allem schuld", sagen die Menschen irgendwann in ihrer Abwesenheit. Woran ist sie schuld? Und warum? Das weiß ich nicht – aber allmählich möchte ich es herausfinden.

Es knallt ordentlich

Denn das bleibt mir nach ein paar Abenden mit dem Master Chief im Kopf hängen: Das Bedürfnis, dieses Franchise besser zu verstehen, die Fragen zu beantworten, tiefer in die Materie einzutauchen. Ich könnte mir vorstellen, dass mein aktuelles Verhältnis zu Halo mit jenem Gefühl vergleichbar ist, wenn man die ersten Staffel von The Witcher auf Netflix sieht, ohne die Bücher gelesen zu haben. Oder wenn man beim Zappen durchs Free TV bei einer x-beliebigen Folge von Game of Thrones hängen bleibt, ohne die einzelnen Königshäuser und ihre jeweiligen Befindlichkeiten zu kennen.

Im ungünstigsten Fall schreckt sowas ab, im besten Fall will man sich weiter damit beschäftigen – und letzteres trifft eher zu, wenn die Geschichte zwar anfangs unverständlich, aber gut erzählt ist, und wenn es dabei ordentlich knallt. Genau das trifft auf Halo Infinite zu: Gleich im ersten Kapitel muss ich etwas – ein Raumschiff? Eine Raumstation? – in die Luft jagen, um mich herum explodiert Zeugs, ich darf wild in der Gegend herum ballern.

Das macht Spaß, es bringt Bewegung in den sonst so tristen, grauen Winteralltag. Und ist Grund genug für mich, tiefer in das Franchise einzutauchen, so wie ich es auch mit anderen, gut erzählten Fantasy- und SciFi-Universen tun würde. Nur vor einem Geschäft in der Schlange stehen würde ich deshalb nicht. Dafür ist es derzeit einfach zu kalt. (Stefan Mey, 18.12.2021)