Krankenwagen in London: Noch hat sich die Omikron-Welle mit ihren Rekordinzidenzen nicht auf die Belegung der Spitäler ausgewirkt.

TOLGA AKMEN AFP / APA

Mit eindringlichen Worten hat in Deutschland der neue wissenschaftliche Corona-Expertenrat in seiner ersten Stellungnahme vor der bevorstehenden Omikron-Welle gewarnt. Besonders besorgniserregend sei der extrem schnelle Anstieg der Infektionszahlen, der etwa in Dänemark und Großbritannien beobachtet werde. Dadurch könne es zu extremen Belastungen des Gesundheitssystems und der kritischen Infrastruktur kommen.

Tatsächlich haben Dänemark und Großbritannien in den letzten Tagen wegen Omikron neue Rekordinfektionszahlen erreicht. Doch anders als etwa in den Niederlanden denkt man in diesen beiden Ländern noch nicht an einen Lockdown. Bislang beschränkte man sich auf Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung und auf eine Beschleunigung der Boosterimpfungen.

Europas Versuchsstationen

Dänemark und Großbritannien sind so etwas wie die Versuchsstationen für die Omikron-Welle, nicht nur in Europa. Das liegt nicht zuletzt daran, dass dort besonders viel getestet und sequenziert wird – und daher auch die Datenlage am besten ist. Da in diesen Ländern die Maßnahmen fast vollständig zurückgefahren waren, kam es dort auch zu einem besonders schnellen Anstieg der Infektionsfälle. Aktuell weisen diese beiden Länder auch die höchsten Sieben-Tage-Inzidenzen weltweit auf.

In Dänemark haben bereits Ende vergangener Woche die Neuinfektionen mit Omikron jene mit Delta überflügelt. Am Montag lag man in dem 5,8-Millionen-Einwohner-Land wieder bei über 10.000 Fällen. 80 Prozent dürften auf Omikron zurückgehen, wie der Ökonometriker und Covid-Statistik-Experte Peter R. Hansen am Montag schätzte, der auch mit seinen bisherigen Prognosen ziemlich richtig lag:

In ganz Großbritannien kletterte die Fallzahl am Montag erstmals auf über 90.000, auch hier geht ein großer Teil der Neuinfektionen auf die neue Variante zurück. In London dürfte Omikron einen ähnlichen Anteil wie in Dänemark haben. Doch hier zeigt sich ganz aktuell auch ein erfreulicher Trend: Die Zahlen dürften nicht mehr weiter steigen – oder zumindest nicht so stark, wie der Mathematiker Alex Selby berichtet:

Die große Frage ist aber natürlich, ob und wie sehr die Zahlen bei den CoV-Patienten, die bis jetzt weder in dänischen noch in britischen Spitälern gestiegen sind, nachziehen werden. Die Rekordinzidenzen wurden erst in den vergangenen Tagen erreicht, und naturgemäß braucht es etwa eine Woche, bis sich die Infektionszahlen auf die Belegung der Krankenhäuser auswirken – wenn sie das denn tun.

Eine weitere, ganz neue Grafik macht nämlich ein wenig Hoffnung: Die neuesten Patientenzahlen in Londons Spitälern dürften nicht mehr parallel zu den Infektionszahlen vor einer Woche steigen, wie der Mathematiker James Ward am Montagabend twitterte:

Hier gilt es allerdings einen Faktor zu berücksichtigen, der eher für eine weitere zusätzliche Verzögerung spricht: Laut dem neuen Omikron-Bericht des Teams um Neil Ferguson (Imperial College London) vom vergangenen Freitag sind in England vor allem junge Erwachsene mit der neuen Virusvariante infiziert. Was das bedeutet, ist offensichtlich: "Wenn sich das neue Virus erst einmal in den älteren Gruppen ausbreitet, was nur eine Frage der Zeit ist, dann ist zu befürchten, dass auch die Zahlen bei den Krankenhauspatienten steigen werden", sagt der Genetiker Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Eher nicht milder als Delta

So wie Ferguson und sein Team sieht auch Elling bis jetzt keine stichhaltigen Hinweise darauf, dass Omikron bei Personen, die weder genesen noch geimpft sind, für mildere Verläufe sorgt als Delta. "Dass auch in Südafrika die Covid-Patientenzahlen zuletzt nicht so stark anstiegen, hängt meines Erachtens vor allem damit zusammen, dass fast alle Südafrikaner vermutlich schon eine Infektion hinter sich hatten und die Bevölkerung auch jünger ist", ergänzt Elling.

Auch neue Studiendaten aus Hongkong, die darauf hindeuten, dass sich Omikron vor allem in den Bronchien und weniger in der Lunge vermehrt, was die – hoffentlich – leichteren Verläufe erklären könnte, beurteilt Elling zurückhaltend: "Die Zahl der Viren in der Lunge sagt noch nicht allzu viel aus."

Aus England, das nicht nur eine sehr hohe Impf-, sondern auch Genesenenrate hat, weiß man mittlerweile aber auch, dass eine überstandene Infektion allein nur mehr sehr schlecht vor einer symptomatischen Infektion mit Omikron schützt: nämlich nur zu rund 19 Prozent, wie Ferguson und sein Team ermittelten. Ähnlich stark sinkt der Schutz nach nur zwei Impfungen, wie am Montag auch das Robert-Koch-Institut in Deutschland bestätigte – auch wenn vermutlich die T-Zellen noch vor schweren Verläufen bewahren.

Hoffnungsvolle Boosterdaten

Umso besser sind die neuen Zahlen zu den Boosterimpfungen, die am Montag von Moderna vorgelegt wurden: Die Firma berichtete davon, dass der dritte Stich mit Spikevax, der im Vergleich zu den ersten beiden mit der halben Dosis mRNA auskommt, den Antikörpertiter gegen Omikron vier Wochen nach der "Boosterung" um das 37-Fache erhöht. Diese Daten sind sogar noch ein bisschen besser als die von Biontech/Pfizer. Und in einer weiteren unabhängigen Studie, die bislang nur als Preprint vorliegt, wurde sogar die Überlegung angestellt, dass aufgrund dieser guten Boosterwirkung womöglich eine adaptierte Impfung gegen Omikron gar nicht nötig sei.

In gewisser Weise ist das auch eine gute Nachricht für Österreich: Denn mittlerweile haben hierzulande mehr als 37 Prozent ihren dritten Stich erhalten. Das ist zwar ein etwas geringerer Anteil als in Großbritannien (42 Prozent), aber ein deutlich höherer als in Dänemark (27 Prozent) und in jedem anderen EU-Land. (Klaus Taschwer 21.12.2021)