Keine Kritik erlaubt bei Büchern von Xi Jinping in Amazons chinesischem Store.

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Wertungen und Rezensionen von Käufern sind ein essenzieller Bestandteil von Amazons Onlineshopping-Angebot. Die Meinungen anderer können Nutzern Orientierung geben und sind, trotz ihrer Manipulationsanfälligkeit, oft ein wichtiges Kriterium, anhand dessen Kunden sich für oder gegen den Kauf eines Produkts entscheiden.

Auch im chinesischen Store von Amazon lässt sich Feedback zu Produkten geben, das öffentlich angezeigt wird. Allerdings gibt es auffällige Ausnahmen. Wer nach Büchern von oder über den Staatschef Xi Jinping sucht, findet in Sachen Rezensionen nur Schweigen im Walde. Vor rund zwei Jahren entfernte der Konzern sämtliche Feedbackfunktionen für Werke wie "China regieren". Es gibt nun weder Sternewertungen noch Kommentare in irgendeiner Form. Es ist, so berichtet Reuters, ein Beispiel dafür, wie Amazon mit dem Propagandaarm der regierenden Kommunistischen Partei kooperiert.

Reuters hat mit über zwei Dutzend Personen gesprochen, die mit den Operationen des von Jeff Bezos gegründeten Konzerns in China zu tun haben, und konnte auch Einblick in interne Dokumente nehmen.

Keine Illusionen

Dabei zeigte sich, dass Amazon über viele Jahre hinweg versucht hat, einen guten Eindruck bei der Führung in Peking zu hinterlassen. Des Preises dafür ist man sich freilich bewusst, wie etwa ein Memo aus dem Jahr 2018 belegt. Darin werden von Amazon China mehrere "Kernanliegen" definiert. Eines davon ist ein wertungsfreier Zugang zum autoritären Regime. "Ideologische Kontrolle und Propaganda sind das wesentliche Werkzeug der Kommunistischen Partei, um erfolgreich zu sein und zu bleiben", heißt es in dem Dokument. "Wir urteilen nicht darüber, ob das gut oder schlecht ist."

Der Konzern hat sich teilweise auch gegen Einflussnahme und Begehrlichkeiten gewehrt, an anderer Stelle aber wieder Peking beim Ausbau seiner Sphäre unterstützt. Für das Projekt "China Books" verpartnerte man sich einer in Staatseigentum stehenden Firma des Propagandaarms der Partei, China International Book Trading Corporation (CIBTC), um ein eigenes Verkaufsportal im US-Store von Amazon einzurichten. Darüber wird ein Sortiment von rund 90.000 von Chinas Regierung zugelassenen Werken vertrieben. Gestartet wurde das Projekt 2011, im Jahr darauf erhielt es von verschiedenen Regierungsinstitutionen den Titel eines "kulturellen Schlüsselexports".

Große Umsätze spülte "China Books" nicht herein, doch darum dürfte es auch nie gegangen sein. Die Partnerschaft sorgte schlicht für Wohlwollen und Aufmerksamkeit bei chinesischen Politikern und Regulatoren in einer Zeit, in der der Konzern seine Aktivitäten im E-Book-Bereich ausbaute. Zwei Monate nach der Auszeichnung begann Amazon mit dem Vertrieb seiner Kindle-Schiene in China.

"Nur einer von vielen" Partnern

Das US-Verkaufsportal für chinesische Bücher bietet viele unpolitische Inhalte an, etwa Märchen- und Kochbücher – aber auch eine Reihe von Werken, die die Positionen der Staatspartei vermarkten. Reuters berichtet etwa von einem Buch, das die Situation der Uiguren schönfärbt. China wird von vielen Beobachtern vorgeworfen, Mitglieder der muslimischen, primär in der Provinz Xinjiang heimischen Minderheit zu unterdrücken. Über eine Million von ihnen sollen in Camps interniert worden sein, wobei auch über Umerziehungsprogramme berichtet wird. Peking dementiert diese Darstellungen seit je her.

Während weder von der chinesischen Medienbehörde noch von CIBTC eine Stellungnahme übermittelt wurde, erklärte Amazon gegenüber Reuters, dass man als Buchhändler den "Zugang zum geschriebenen Wort und vielfältigen Perspektiven" für wichtig erachte, was auch für Bücher gelte, "die manche als fragwürdig einstufen". CIBTC sei nur "einer von weltweit Millionen Handelspartnern" und "China Books" nur ein "zusätzlicher Kanal" für chinesische Leser in den USA und in anderen Ländern.

Steigender Druck

Wenngleich sich Amazon um Wohlwollen bemühte, machte die in den vergangenen Jahren zunehmende Einschränkung von und Kontrolle über die öffentliche Meinung durch die Regierung von Präsident Xi auch vor dem Unternehmen nicht halt. Ein Briefing für Jay Carney, den Vizechef von Amazons Corporate-Affairs-Abteilung, aus dem Jahr 2018 dokumentiert zunehmende Begehrlichkeiten, aber auch, dass "China Books" immer noch als eine Art Absicherung dafür gesehen wird, weiter mit E-Books handeln zu können.

Die Cyberspace Administration (CAC) verlangte die Löschung des Eintrags für den Propagandafilm Amazing China von der zu Amazon gehörenden Filmdatenbank IMDb. Es sei "schwierig", dem nachzukommen, antwortete man und leitete das Anliegen an die Zentrale in den USA weiter. Eine Reihe negativer Rezensionen verschwand daraufhin von der Seite zum Film. Den Eintrag gibt es aber noch, inklusive zahlreicher kritischer Kommentare. Der Wertungsschnitt liegt bei 2,3 von zehn Punkten. Man habe manche Rezensionen gelöscht, so Amazons Kommentar zu den Vorgängen, hauptsächlich weil diese "off-topic" gewesen seien, sich also gar nicht mit dem Film auseinandergesetzt hätten.

Die IP-Adresse des Dissidenten

Auch auf Amazons Cloudsparte AWS, die 2013 in China startete, übten die Behörden Druck aus. 2016 änderte die Regierung das Lizenzmodell und erlaubte künftig nur noch chinesischen Unternehmen den Betrieb von Cloudinfrastruktur. Amazon beschloss daraufhin, seine Technologie chinesischen Firmen zur Verfügung zu stellen, die den Dienst für den Konzern weiterführten und gleichzeitig die Überwachung und Entfernung von illegalen Inhalten übernahmen.

Das hinderte die Regierung aber nicht daran, Amazon mit Vergeltungsmaßnahmen zu drohen, sollte man nicht die Webseite des in den USA lebenden Dissidenten Guo Wengui löschen und Inhalte von ihm sperren. Amazon lehnte das ab, ersuchte Wengui aber, nicht näher genannte Maßnahmen zu setzen, die dazu führten, dass der Konzern seine IP-Adresse an die chinesischen Behörden weiterleiten konnte. Dieser Darstellung entgegnet Amazon, dass man keinerlei Kundendaten oder andere nichtöffentliche Informationen weitergegeben habe.

Während andere Unternehmen über die Jahre und auch in der jüngeren Vergangenheit – etwa Google und Microsoft – ihre Geschäftsaktivitäten in China aufgrund des regulatorischen Umfelds und der Begehrlichkeiten der Regierung zurückgefahren haben, baut Amazon weiter aus. Mit dem Tiktok-Eigentümer Bytedance und dem Überwachungstechnologie-Riesen Hikvision konnte AWS seit 2018 zwei chinesische Großkunden an Land ziehen. Im Juni kündigte man eine weitere Expansion des Angebots an, "um die Ansprüche unserer wachsende Kundenbasis in China" zu erfüllen. (gpi, 21.12.2021)