Fachlich trittsicher zu sein sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Eigentlich sollte das auch für das kommunikative Können gelten. Zumal sich erst aus der Versiertheit in beidem wirklich die Möglichkeit ergibt, überzeugend und auch gewinnend aufzutreten. Doch im Alltag zeigt sich: Das sichere Wissen um diese Zusammenhänge steht noch auf schwachen Beinen.

Am Arbeitsplatz wie auf privater Ebene nehmen Wortwechsel schnell Gefechtscharakter an. Da unterscheiden sich Frau und Mann wenig. Erstaunlich, mit beeindruckendem Wissen und Können legen Hervorstechende im Gespräch nicht gerade selten ein reziprok proportional zu ihren fachlichen Qualitäten stehendes Kommunikationsverhalten an den Tag. Es scheint schwerzufallen, zu beherzigen, wie selbst- und andere schädigend, wie abträglich es dem eigenen Ansehen und auch Wollen ist, unbeherrscht den Mund aufzumachen.

Das unbedachte Wort

1907 veröffentlichte Franz Freiherr von Lipperheide sein Spruchwörterbuch. Die mit über 30.000 Einträgen stattliche Sammlung von Aphorismen, Sinn- und Wahlsprüchen sowie Sprichwörtern aus allen Kulturkreisen ist eine Fundgrube. Den Begriff "Wort" nachzuschlagen offenbart: Seit Alters her ist die Brisanz des unbedacht gesprochenen Wortes wohl bekannt.
"Das Wort gleicht der Biene, es hat Honig und Stachel", mahnte im dritten Jahrhundert der Talmud. 1803 erinnerte Goethe daran: "Das Wort verwundert leichter, als es heilt." Und ein altes Sprichwort rät: "Es soll einer neunmal ein Wort im Mund umdrehen, ehe er es sagt." Und eine wie für Vorgesetzte geschaffene sprichwörtliche Weisheit erinnert daran: "Gutes Wort ist halbes Futter."

Liegt es womöglich an der Unkenntnis dessen, dass sich in so manchem Unternehmen die Belegschaft als Hungerleider empfindet? Ist doch die häufig offen zum Ausdruck gebrachte – wie auch die unterschwellig durchschimmernde – verbale Überheblichkeit in den Begegnungen zwischen oben und unten unangenehm nährstoffarm.

Nicht zuletzt auch, weil sie das Verlangen nach Achtung voreinander und nach Wertschätzung regelmäßig ins Leere laufen lässt. Von oben herab behandelt zu werden verstärkt den Hunger nach Anerkennung. Je stärker dieses Hungergefühl wird, desto mehr deprimiert und frustriert das, macht aggressiv, lähmt die Bereitschaft, willig mitzumachen. Leistungslust will nun mal mit mehr gefüttert werden als nur mit dem Salär.

Bedeutsam für den Gesprächsverlauf seien die innere Haltung der Sprechenden sowie die Bereitschaft, einander zuzuhören.
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Fingerzeig auf die anderen

Wenn auch zuallererst den Führungskräften angekreidet wird – den weiblichen wie männlichen sowie dem Vernehmen nach auch den ambitionierten Jungspunden –, in Sachen Feinsteuerung der Zunge dem Elefanten im Porzellanladen zu ähneln, der Vorwurf trifft sie nicht allein. Legen doch die sich deshalb Beklagenden mitunter selbst eine patzige Aggressivität an den Tag.

Desgleichen rutscht auch kollegial oft genug – oder ganz gezielt – so manches heraus, was vor den Kopf stößt. Und wer sich mit Kunden ins Benehmen setzen muss, kann im Gespräch schnell erfahren, welch enormen Wandel der Umgang durchlaufen hat. Nicht zuletzt befeuert durch eine beachtliche Anspruchshaltung. Umgekehrt wiederum beklagen Kunden die ihnen gegenüber zum Einsatz kommende Tonalität und Wortwahl. Reihum weisen die Finger auf die anderen. Der Splitter in fremden Augen wird gesehen, der Balken im eigenen Auge übersehen. Weshalb fällt es so schwer, überlegter, zurückhaltender mit der Zunge zu Werke zu gehen, aus diesem Hickhack auszusteigen?

Mit Seelischem Vertraute verweisen auf die bestehenden Umstände. Das Gewohnte und Sicherheit Vermittelnde zerbröckele überall. Das treibe um, lege die Nerven blank, mache nervös, befördere unwirsches, ungeduldiges Verhalten. Außerdem, so geben sie zu bedenken, sei Selbstzucht als Voraussetzung für beherrschtes Auftreten halt etwas aus der Mode gekommen.

Veränderte Konventionen

Darum sei so manches, was als unangenehm berührende kommunikative Unart empfunden werde, Ausdruck der hoch im Kurs stehenden Spontanität. Gesellschaftliche Konventionen durchliefen derzeit einen tiefgreifenden Wandel. Das wirke sich natürlich auch auf das Verständnis von der lebenspraktischen Bedeutung der Arbeit an sich selbst aus.
Das erklärt einiges, doch nicht alles. In Betracht zu ziehen ist ebenfalls, dass miteinander zu kommunizieren eine komplexe, vielschichtige zwischenmenschliche Interaktion ist. Kommunikationspsychologisch erklärt: eine assoziative und psychoenergetische Einheit von Bildern und Vorstellungen, Gefühlen und Gedanken. Das ist eine Menge von gesprächswirksamen Zutaten.

Wer sich nicht darüber im Klaren ist, was alles hintergründig und unterschwellig auf den Gesprächsverlauf einwirken kann, tappt kommunikativ im Dunkeln. Unvereinbare Zielvorstellungen? Überzogene Zumutungen? Unerfüllte Erwartungen? Missachtete Empfindlichkeiten? Aufgestanden mit dem falschen Bein? Häusliche Gewitterwolken? All das kann im Handumdrehen im führenden wie kollegialen Umgang, in Verkauf, Beratung, Service und in den eigenen vier Wänden Wortwechsel zu verbalen Schusswechseln werden lassen.

Bereitschaft zuzuhören

So gesehen erweist sich missglückende Kommunikation nur zu oft auch als Ausdruck eines nicht vorhandenen Problembewusstseins. Wer sich der Fallstricke einer Sache nicht bewusst ist, kann sie auch nicht beherzigen. Ungeachtet der vielfältigen Hintergrundeinflüsse des Miteinanderredens zu kommunizieren ist für den Psychologieprofessor und Kommunikationsforscher Friedemann Schulz von Thun stets ein absturzgefährdeter zwischenmenschlicher Hochseilakt.

Um der emotionalen Gesprächsdynamik eine positive Richtung geben zu können, brauche es das Wissen, was – und weshalb – alles schiefgehen kann, wenn wir miteinander reden. Bedeutsam für den Gesprächsverlauf seien die innere Haltung der Sprechenden sowie die Bereitschaft, einander zuzuhören. Schulz von Thun verdeutlich das an zwei Fragen: Lasse ich den anderen auch gelten oder nur mich? Werde ich geachtet und respektiert oder in meinen Anliegen und Bedürfnissen missachtet?

Zu- oder Abneigung sowie auch die Tageslaune spielen in jeder zwischenmenschlichen Begegnung eine Rolle. Gerade in Gesprächen zeigt sich das sehr schnell. Wie sich aber letztlich die emotionale Gesprächsdynamik entwickelt, hängt maßgeblich vom grundsätzlichen Wissen und Beherzigen der Fallstricke ab. Schulz von Thun ist jedenfalls überzeugt, dass das persönlichkeitsbildend wirke und zum Aufbau der Wohlfühlarchitektur beitrage. (Hartmut Volk, 28.12.2021)