Die Madihá Deni leben im Amazonas-Regenwald und haben nur selten Kontakt zur brasilianischen Mehrheitsbevölkerung.

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Jussara Góes engagiert sich für die Rechte der Indigenen Brasiliens.

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Vertreterinnen und Vertreter von rund 170 indigenen Völkern demonstrierten im Sommer in der Hauptstadt Brasília.

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Zu Beginn war es überhaupt schwer zu erklären, was ein Virus ist. Geschweige denn ein Coronavirus. Wie man sich damit ansteckt und warum es deshalb besser ist, wenn man sich nicht mit anderen Menschen trifft. Was für weite Teile der Weltbevölkerung bereits ein komplexes Thema war und ist, war für die indigenen Völker Brasiliens zum Teil wie die Entdeckung einer neuen Galaxie.

Jene Indigenen, die nahe an den Städten oder in den urbanen Zentren leben, haben die Pandemie im vergangenen Jahr recht zeitnah via TV, Radio oder Internet mitbekommen. Doch jene Stämme, die tief im Regenwald leben und erst seit kurzem Kontakt zur Mehrheitsbevölkerung Brasiliens haben, erfuhren die Katastrophe erst später.

Über Funk oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde oder der Indianerbehörde FUNAI mussten die Nachrichten erst überbracht werden. "Viele sind erschrocken", erinnert sich Jussara Góes, die für den Indigenenmissionsrat CIMI (Conselho Indigenista Missionário) der Brasilianischen Bischofskonferenz arbeitet.

Hohe Dunkelziffer

Etwa die Madihá-Deni – ein Volk, das seit den 1930er-Jahren losen Kontakt zur Außenwelt hat – waren "angsterfüllt", wie Góes erzählt. Zwar half es, dass FUNAI den Besuch der indigenen Dörfer unterbunden hat, doch kam das Coronavirus doch zu ihnen. Über die Indigenen selbst. Nach einem Besuch in einem Gesundheitshaus in der Stadt Lábrea – im Süden des Bundesstaats Amazonas – schleppte ein Mann das Virus ein. Im Sommer 2020 kam es zum ersten Fall.

Offizielle Zahlen zeigten Ende Oktober, dass mehr als 800 Indigene mit Covid-19 gestorben sind. Dabei wurden allerdings nur Tote in den Reservationen und nicht in den urbanen Zentren gezählt, wo ein Drittel der rund 900.000 Indigenen Brasiliens lebt. Góes glaubt aber an eine hohe Dunkelziffer. Bereits Ende April hatte die Vereinigung der indigenen Völker Brasiliens (APIB) mehr als 1.100 Tote registriert.

Fake-News in Sachen Impfung

So schlecht das Datenmaterial im Zusammenhang mit den Infektionen bzw. Todesfällen ist, so schlecht war auch die Impfkampagne für die Indigenen vorbereitet, sagt Góes. Weil sie zu den vulnerablen Gruppen gehören, waren sie mit die Ersten, die gegen das Virus geimpft werden sollten. Doch die Aufklärung – wie es sonst in Brasilien der Fall ist – war gleich null. "Das hat Misstrauen geschürt", sagt die CIMI-Mitarbeiterin: "Die Menschen haben oft nur von einer Notfallzulassung gehört und von Fake-News." Und Letztere kamen in Brasilien von höchster Stelle.

Präsident Jair Bolsonaro spielte bereits zu Beginn der Pandemie das Virus als kleine Grippe herunter. Ende 2020 schimpfte er auf den Impfstoffhersteller Pfizer und darüber, dass man nichts über die Nebenwirkungen des Vakzins wisse: "Sollten Sie sich in ein Krokodil verwandeln, ist das Ihr Problem", sagte Bolsonaro. Die sarkastische Aussage erreichte die Menschen aber via Facebook und Whatsapp – zwei Seiten, die oft in brasilianischen Handyverträgen kostenlos enthalten sind – und befeuerte die Unsicherheiten. Viele Indigene ließen sich zudem von evangelikalen Predigern einschüchtern, wie Góes erzählt. Die warnten davor, dass nicht das Virus, sondern der Impfstoff todbringend sei.

Mittlerweile konnten staatliche Behörden und Hilfsorganisationen wie CIMI die Falschinformationen zum Teil aufklären. Indigene, die in den Städten ihre Behördengänge oder Einkäufe erledigen, begeben sich zudem oft schon in Quarantäne, bevor sie in ihre Dörfer zurückkehren, erzählt Góes.

Ansteigende Gewalt

Doch nicht nur das Coronavirus war während der Pandemie eine Herausforderung für die Menschen. Im jährlichen Bericht über die Gewalt gegen Indigene verzeichnete CIMI für das Jahr 2020 einen großen Anstieg der Übergriffe. 182 Ureinwohnerinnen und Ureinwohner wurden in diesem Jahr ermordet. 2019 waren es noch 113. Außerdem drangen mehr Bergleute, Holzfäller oder Goldschürfer in die indigenen Gebiete ein. 263 Fälle dokumentierte CIMI, 111 waren es im Jahr 2019.

Und auch rechtlich steht für die Indigenen Brasiliens einiges auf dem Spiel: "Der Staat versucht, so gut es geht, ihre Rechte auszuhebeln", sagt Góes: "Nämlich so gut wie alle." In den Sommermonaten protestierten tausende Vertreterinnen und Vertreter von rund 170 Völkern vor dem Kongress in der Hauptstadt Brasília.

Der Oberste Gerichtshof beschäftigt sich mit einer möglichen Aufhebung des Schutzstatus ihrer Gebiete. Laut Agrarlobby sind nur jene Gebiete geschützt, die bei Inkrafttreten der Verfassung am 5. Oktober 1988 von Indigenen bewohnt wurden. Doch durch gewaltsame Vertreibungen waren viele Völker nicht auf ihren Ländereien. Die Ureinwohner argumentieren, dass sie bereits vor 1988 in Brasilien waren und es sich um ihr Land handelt. Eine Entscheidung wird heuer erwartet. (Bianca Blei, 7.1.2022)