Als elfjähriges Mädchen reiste Mido Kawamura nach Japan und betrat zum ersten Mal einen Zen-Garten. "Diese Harmonie brachte mich wie von selbst in die Ruhe. Ich verspürte gar keine Lust mehr auf Aufregung", erinnert sie sich. Seit damals fühlt sich Kawamura zur Zen-Tradition hingezogen.

Was bei der Meditation vor sich geht, ist wissenschaftlich nicht leicht zu fassen. Neurowissenschafter versuchen, konkrete Effekte der Praxis nachzuweisen.
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Mittlerweile, vier Jahrzehnte später, leitet die Halbjapanerin selbst Meditationen an und hat ein Studium des Buddhismus in Hamburg aufgenommen. Ihre innere Heimat ist ein besonderer geistiger Zustand geworden, in den sie während ihrer Meditationen gelangt: "eine gefüllte Leere, oder besser, eine Weite, in der es keinen Impuls gibt, etwas zu denken oder zu tun. Einen Ort, an dem ich mich verbunden mit allem fühle." Dieser Zustand wird als Eins-Sein in der buddhistischen Lehre beschrieben.

Bodyscan

Für den äußeren Betrachter scheint in diesem Moment rein gar nichts zu passieren. Sie sitzt im Lotussitz, ganz still und sehr lange, die Augen geschlossen. Ihr Körper ist ganz weich, sagt sie. "Es strengt mich nicht an."

Die Neurowissenschafterin und wissenschaftliche Leiterin der Forschungsgruppe Soziale Neurowissenschaften der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin, Tania Singer, hat sich wissenschaftlich mit der Frage befasst, was beim Meditieren im Kopf passiert. "Das kommt ganz auf die Art der Meditation an", sagt Singer. 2008 stieß sie das Resource-Projekt an, kein anderes Forschungsprojekt hat verschiedene Meditationsformen an so vielen Personen, in Summe 300, untersucht.

Ein Grundprinzip von Meditationen veranschaulicht der sogenannte Bodyscan. Dabei durchwandert man den Körper und versucht Körperstellen immer feiner zu spüren, ohne die Eindrücke zu bewerten. "Es ist eine Methode, die den Geist dazu bringt, sich ganz auf den jetzigen Moment und den eigenen Körper zu fokussieren." Sich nicht ablenken zu lassen, sich ganz auf eine geistige Übung im Hier und Jetzt einzulassen und dies mit Freude zu tun ist allen Meditationsformen gemeinsam.

Gefühl der Verbundenheit

Die geistige Übung kann aber je nach Meditationsform variieren. In einer Mitgefühlsmeditation etwa wünscht man verschiedenen Menschen im Geiste Glück, Gesundheit und andere positive Dinge – und zwar sogar auch Personen, die man nicht ausstehen kann. "Diese Meditationsform öffnet das Herz. Wissenschaftlich konnten wir mithilfe von Standardisierten Befragungen und Hirnscans nach dreimonatiger intensiver Praxis nachweisen: Das Mitgefühl, der Altruismus und das Gefühl, sich mit anderen verbunden zu fühlen, nimmt zu", schildert Singer. Die Effekte sind folglich sehr spezifisch für die praktizierte Meditation. "Es ist wie beim Sport: Wenn wir gezielt den Rücken trainieren, passiert nicht automatisch etwas in den Beinen."

Eine Meditation für alles gibt es nicht, betont auch Ruth Gizewski, Neuroradiologin an der Medizinischen Universität Innsbruck. Sie leitete eine der ersten Längsschnittstudien in Österreich mit 27 Probanden, die noch nie meditiert hatten. Gizewski wählte bewusst eine Meditationsform, die die Teilnehmer rasch erlernen können. Die Meditierenden konzentrieren sich über sieben Wochen für je fünfzehn Minuten täglich ganz auf ihren Atem.

Veränderungen nach kurzer Zeit

"Wir waren erstaunt, dass man in dieser kurzen Zeit doch Veränderungen sieht", sagt Gizewski. Der Energieumsatz im Gehirn stellt sich um. In den Basalganglien, die im Hirninneren liegen, nimmt er zu. In Arealen hinter der Stirn und der Schläfe kehrt dagegen mehr Ruhe ein. Diese Regionen koordinieren Bewegung und verarbeiten Bild und Ton. "Man kann es so interpretieren, dass das Gehirn in einen höheren energetischen Zustand kommt", sagt Gizewski.

In Fragebögen vor und nach dem siebenwöchigen Experiment fiel der Forscherin zudem auf, dass die Teilnehmenden hinterher weniger ängstlich waren. Das dürfte ein spezifischer Effekt der Fokussierung auf den Atem sein, vermutet sie. In einer weiteren Studie gemeinsam mit ihrem Kollegen Nicolas Singewald will sie nun erstmals prüfen, ob Meditation Angstpatienten helfen kann.

Bei allen Unterschieden haben die verschiedenen Meditationstechniken einen kleinsten gemeinsamen Nenner, was die Wirkungen anbelangt: Alle tragen der Neurowissenschafterin Tania Singer zufolge dazu bei, dass die Übenden nach wenigstens drei Monaten intensiver Praxis eine Spur aufmerksamer werden und sich besser konzentrieren können. Sie lassen sich in Tests weniger leicht ablenken, und das Wandern der Gedanken lässt nach. Die Probanden erklärten in Befragungen, ihre Gefühle seien eine Nuance positiver gefärbt und sie fühlten sich kraftvoller.

Inneres Dauerradio

"Es ist aber ein Trugschluss, dass Meditation in eine komplette Leere führt. Es passiert immer etwas in unserem Gehirn", sagt Singer. "Es wird nur leerer, in dem Sinne, dass Meditierende das innere Dauerradio nicht mehr hören, das uns dauernd sagt, 'du musst noch dieses oder jenes machen‘." Die Teilnehmer des Ressource-Projekts bemerkten diese Beruhigung des Geistes auch selbst. Sie gaben an, nach der dreimonatigen regelmäßigen Meditation weniger gedacht zu haben.

Was aber ist jener für Laien mysteriös anmutende Zustand, den die erfahrene Meditierende Mido Kawamura als "Eins-Sein mit allem" umschreibt? Der Gesundheitswissenschafter Tobias Esch von der Universität Witten-Herdecke setzt sich seit 35 Jahren jeden Morgen selbst auf ein Meditationskissen. Er erforscht aber auch die Auswirkungen der mentalen Praxis auf den Menschen und hat das Buch "Mehr nichts" geschrieben. "Das offene Gewahrsein", sagt er, "ist nichts Mysteriöses; seine Existenz ist wissenschaftlich gut belegt."

Fokussierung auf den Atem

Bei den meisten Meditationen fokussiert man den Geist auf ein Objekt, etwa den Atem. Beim offenen Gewahrsein gibt es keinen Fokus auf ein bestimmtes Objekt, sondern einen Aufmerksamkeitskegel, der wie der Lichtstrahl einer Taschenlampe in die Nacht leuchtet. "Dieser Aufmerksamkeitskegel kann sich ganz weit öffnen, sodass wir alles um und in uns wahrnehmen, ohne es zu bewerten oder Gedankenketten aufkommen zu lassen", erklärt Esch. "Diesen Zustand nennt die buddhistische Lehre Eins-Sein. Im Hirnscanner erkennen wir ihn daran, dass vor allem Areale außen auf dem Cortex zum Scheitel und zur Stirn hin aktiviert sind."

Viele erwarten allerdings einen Rieseneffekt, wenn sie einmal meditieren, weiß Singer. "Aber wenn man ein, zwei Tage lang einen Kurs besucht, passiert erst einmal wenig. Die Kunst liegt, wie bei allem, was wir neu lernen, in der Dauer des Übens und in der Wiederholung."

Der Weg zu dem, was Laien "Nichts im Kopf" nennen, ist folglich das eigentliche Abenteuer. Wenn Meditierende das erste Mal in einen Moment geistiger Stille eintauchen, fühlen sie sich oft regelrecht euphorisch, erzählt Kawamura. Das ist Anfängerglück. Später sei das Eintauchen in den mentalen Zustand ruhiger und nicht mehr so überschwänglich. Aber umso tiefer. (Susanne Donner, 30.12.2021)