Das Nördliche Breitmaulnashorn ist so gut wie ausgestorben: In Kenia leben die letzten zwei Exemplare der Welt. Hoffnung besteht auf Basis moderner Reproduktionstechnik, die bisher fünf lebensfähige Embryos hervorbrachte. Forschenden gelten sie als mögliche Rettung einer besonderen Unterart der Dickhäuter.

Fünf Arten von Nashörnern gibt es weltweit: das Java-, das Sumatra- und das Panzer-Nashorn in Asien, das Spitzmaul- und das Breitmaulnashorn in Afrika. Letzteres hat sich vor etwa einer Million Jahren in zwei Unterarten aufgespaltet: das Nördliche Breitmaulnashorn in Zentralafrika und das Südliche im Süden des Kontinents.

Die beiden letzten Nördlichen Breitmaulnashörner: Mutter Najin (links) und Tochter Fatu in einem Reservat in Kenia.
Foto: Boku/Viktoria Köck

Ausrottung durch Bejagung und Lebensraumverlust

Während es von der südlichen Unterart dank intensiver Schutzbemühungen heute wieder rund 20.000 Tiere gibt, ist die nördliche in freier Wildbahn ausgestorben. Der Rückgang erfolgte durch Bejagung, Lebensraumverlust und vor allem in den letzten Jahren durch Wilderei.

Noch im 19. Jahrhundert war diese (Unter-)Art in zahlreichen ost- und zentralafrikanischen Ländern anzutreffen. 1960 gab es laut IUCN noch mehr als 2300 Exemplare in freier Wildbahn. Im Garamba-Nationalpark in der Demokratischen Republik Kongo lebte ab 1984 eine letzte Population von 20 bis 30 Tieren, die heute als ausgestorben gilt. Auch in Zoos wurden die Tiere kaum gehalten, sodass eine Nachzucht aus diesen Quellen nicht ohne weiteres möglich war.

Dennoch setzte man einige Hoffnung auf vier Individuen im Dvůr-Králové-Zoo in Tschechien, die 2009 nach Kenia gebracht wurden. Die natürliche Umgebung und das Klima sollten sie dort zur Fortpflanzung anregen. Daraus wurde jedoch nichts. 2014 beziehungsweise 2018 verstarben die Männchen Suni und Sudan, ohne neue Nachkommen gezeugt zu haben. Übrig blieben das mittlerweile 32 Jahre alte Weibchen Najin und seine 21-jährige Tochter Fatu, buchstäblich die Letzten ihrer Art.

Persönliche Bodyguards

Sie leben – ebenso wie 150 Spitzmaul- und 39 Südliche Breitmaulnashörner – auf dem Grasland des privaten Schutzgebietes Ol Pejeta am Fuße des Mount Kenya. Das mehr als 360 Quadratkilometer große Reservat, das zahlreiche Wildtiere beherbergt, ist eingezäunt, ermöglicht aber wandernden Arten an mehreren Stellen den Durchgang. Dort besteht der Zaun aus kurzen, relativ eng beisammenstehenden Pfählen. Für Wildhunde oder Elefanten stellen diese kein Hindernis dar, wohl aber für die Nashörner. Sie sind zu breit und zu nah am Boden gebaut, um sich zwischen den Pfählen durchzwängen oder einfach darübersteigen zu können. Für Nashörner ist die Welt außerhalb des Reservats einfach zu gefährlich.

Ihrem Horn werden die abenteuerlichsten medizinischen Wirkungen zugeschrieben, obwohl es zum größten Teil aus Keratin besteht, also demselben Stoff, aus dem auch unsere Haare und Fingernägel sind. Ein Kilo davon erzielt auf dem südostasiatischen Markt bis zu 60.000 US-Dollar – da wundert es nicht, dass Wilderer vor wenig zurückschrecken, um an das Material zu kommen.

Die beiden Nördliche-Breitmaulnashorn-Damen, von den Rangern liebevoll "Royal Girls" genannt, werden rund um die Uhr von bewaffneten Wildhütern bewacht.

Die Nördliche-Breitmaulnashorn-Damen müssen rund um die Uhr von bewaffneten Wildhütern bewacht werden.
Foto: Viktoria Köck

Nashorn-Tracking

Die Österreicherin Viktoria Köck lernte das Reservat und dessen Bewohner vergangenen September kennen. Die 29-jährige ausgebildete Krankenschwester hängte ihren Beruf an den Nagel, um an der Universität für Bodenkultur Wien Umwelt- und Bioressourcenmanagement zu studieren.

Ihre Leidenschaft für den Artenschutz brachte sie 2015 für zwei Monate in eine Auffangstation für verletzte Wildtiere in Namibia. Im vergangenen Sommer bewarb sie sich erfolgreich um einen Platz im Immersive Conservation Program in Ol Pejeta. Dabei begleitete sie unter anderem die Ranger bei deren ausgedehnten Kontrollgängen im Reservat, in dem noch 189 andere Nashörner leben.

Vorreiterrolle beim Nashornschutz

Jedes dieser Tiere muss zumindest alle vier Tage einmal gesichtet und beobachtet werden, um etwaige Beeinträchtigungen zu bemerken und im Bedarfsfall melden zu können. Zur Identifikation hat jedes Exemplar individuell angeordnete Löcher in den Ohren, die mit einer Nummer und einem Namen verknüpft sind. Die Ranger, die einen großen Teil ihrer Zeit mit dem Tracking der Tiere verbringen, können fast jedes Individuum auch ohne diese Hilfsmittel erkennen.

Zeigt ein Nashorn Anzeichen von Krankheit oder Altersschwäche, verständigt das Reservat den staatlichen Kenyan Wildlife Service, der sich der Sache annimmt. "Kenia spielt eine Vorreiterrolle beim Nashornschutz", betont Köck, "seit mehr als einem Jahr wurde in dem Staat kein Nashorn mehr gewildert und in Ol Pejeta seit vier Jahren nicht mehr." Prinzipiell sind Nashörner keine Kuscheltiere. Sie sehen zwar schlecht, hören und riechen aber ausgezeichnet. Bei gutem Wind können sie Gefahren oder Artgenossen über hunderte Meter entfernt wittern. Da sie auch bis zu 40 km/h laufen können, ist bei einer Begegnung in freier Wildbahn Vorsicht geboten.

Viktoria Köck verbrachte zwei Monate in einer Auffangstation für verletzte Wildtiere in Namibia.
Foto: privat

Leihmutterschaft

In einem solchen Fall sei es das Beste, dem herangaloppierenden Nashorn ein Kleidungsstück vor die Füße zu werfen, erklärt Köck, "Da riecht es dann zuerst einmal daran, und in der Zwischenzeit hat man bessere Chancen, wegzulaufen." Bei Najin und Fatu war das allerdings nicht nötig. Als ehemalige Zootiere sind sie an Menschen gewöhnt und sehr friedfertig. Sie ließen sich sogar bereitwillig von Köck streicheln.

Neben den Nashörnern war Köck während ihres Aufenthalts von den Wildhütern sehr beeindruckt: "Das sind Menschen, die sich ganz in den Dienst der Natur stellen. Sie sehen durch die Arbeit oft ihre Familien zwei Monate lang nicht." Dennoch stößt ihre Arbeit nicht bei allen Leuten auf Begeisterung: "Es gibt auch viele Kenianer, die Wildtiere nicht als schützenswert sehen, sondern als Bedrohung."

Modernste Reproduktionstechnologie

Das kennt man auch aus Gegenden ohne Großtierfauna: "Das ist wie bei uns mit dem Wolf." Während dieser in Europa in Ausbreitung begriffen ist, scheint das Schicksal des Nördlichen Breitmaulnashorns besiegelt.

Nicht nur sind beide überlebende Tiere weiblich, sie können auch keine Jungen gebären: Najin ist mittlerweile zu alt, und Fatu hat eine Fehlbildung des Uterus, wodurch sie nicht trächtig werden kann. Trotz allem arbeitet eine internationale Forschungsgruppe im Projekt Bio-Rescue seit 2015 daran, die Art mithilfe modernster Reproduktionstechnologien vor dem Aussterben zu bewahren.

Möglich soll das durch entnommene unreife Eizellen des Mutter-Tochter-Duos und tiefgefrorenes Sperma verstorbener Bullen des Nördlichen Breitmaulnashorns werden. Außerdem sollen in der Vergangenheit entnommene Hautproben in induzierte pluripotente Stammzellen und in der Folge in Ei- und Spermienzellen umgewandelt werden.

Als Leihmütter für aus diesen Ausgangsmaterialien erzeugte Embryos würden dann Südliche Breitmaulnashörner zum Einsatz kommen. Ob die Royal Girls noch erleben werden, nicht mehr die Einzigen ihrer Art zu sein, bleibt abzuwarten. (Susanne Strnadl, 1.1.2022)