Kein Grund für schlechte Stimmung: Derzeit ist es eh noch nicht möglich, das Potenzial der Next-Gen-Konsolen voll auszunutzen.

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Die Vorfreude war vielleicht groß – und die Enttäuschung ist umso größer, wenn am Heiligen Abend auch dieses Jahr nicht die erhoffte Next-Generation-Konsole unter dem Weihnachtsbaum liegt. Dabei haben Eltern gute Gründe, ihren Kindern diese Technikwunder vorzuenthalten.

Denn erstens sind die neuen Konsolen von Haus aus nicht gerade billig: Die Playstation 5 mit Laufwerk und die Xbox Series X kommen jeweils auf einen Listenpreis von 499 Euro, die Varianten ohne Laufwerk sind günstiger – bieten dann aber auch deutlich weniger Flexibilität in der Beschaffung der Spiele. Doch die Preise sind ohnehin Fantasiezahlen, was uns zu Punkt zwei bringt: Durch die schwächelnden globalen Lieferketten und das gezielte Leerkaufen der wenigen verfügbaren Konsolen (das sogenannte "Scalping") waren die Konsolen auch 2021 kaum verfügbar – es sei denn, man war bereit, auf diversen Gebrauchtplattformen noch ein paar Hunderter draufzulegen.

Und dann gibt es noch einen dritten Grund, der aber unter all den Marketingbotschaften und dem Gejammer über die miserable Verfügbarkeit oft übersehen wird: Wer zu Weihnachten 2021 noch keine Konsole der jüngsten Generation besitzt, der verpasst nicht sonderlich viel.

Auf Wolke sieben

Besonders deutlich wird das, wenn man sich die Entwicklungen bei Microsoft ansieht. Hier hat man das Gefühl, dass die Manager des Konzerns ihren potenziellen Kunden bei jeder Gelegenheit geradezu ein "Kauft auf gar keinen Fall unsere Konsolen!" entgegenbrüllen – denn der Fokus des Konzerns liegt derzeit augenscheinlich nicht auf der Hardware, sondern auf dem Aufbau eines Ökosystems rund um den Xbox-Gamepass.

Ganz im Sinne der Laufende-Umsätze-sind-besser-als-ein-einmaliger-Kauf-Philosophie zahlen Kunden beim Gamepass eine monatliche Gebühr und können dafür auf ein breites Sammelsurium von Spielen zugreifen – und zwar nicht nur auf der aktuellen High-End-Konsole. So sind aktuelle Blockbuster wie Forza Horizon 5 und Halo: Infinite auch auf dem PC verfügbar, und wer auf das Monatsabo ein paar Euro drauflegt, der kann mit dem "Gamepass Ultimate" auch Xbox-Spiele aus der Cloud auf sein Smartphone streamen.

Ich wiederhole das hier noch einmal, sicherheitshalber: Xbox-Spiele. Auf dem Handy spielen. Ohne 500-Euro-Anschaffung eines Klotzes, der Platz im Wohnzimmer wegnimmt. Und Gerüchten zufolge gehen Microsofts Gedanken noch weiter: Angeblich arbeitet man in Redmond an einem Streaming-Stick, der wie ein Google Chromecast oder Fire TV Stick in den Fernseher gesteckt wird und dann die Spiele aus der Cloud streamt – somit also die Konsole gänzlich ersetzt, zu einem Bruchteil der Anschaffungskosten.

Kaum Exklusivtitel

Für die Playstation gibt es mit PS Now und Playstation Plus vergleichbare Angebote, wenn auch nicht im selben Umfang. Doch stimmen die jüngsten Gerüchte, so könnte sich auch das bald ändern: Demnach arbeitet Sony unter dem Projektnamen "Spartacus" an einem Konkurrenten zum Xbox-Gamepass, der schon im Frühjahr 2022 starten könnte. Hier soll es auch eine Option im Stil des "Gamepass Ultimate" geben, die das Streamen der Spiele auf unterschiedlichen Geräte ermöglicht.

Außerdem wandern immer mehr einst exklusiv für die Playstation-Konsolen verfügbare Blockbuster auch auf andere Plattformen – ab Jänner soll etwa auch das durchaus empfehlenswerte God of War auf PC erscheinen. Um das mit Spannung erwartete, Playstation-exklusive Horizon: Forbidden West Anfang 2022 zu zocken, braucht es wiederum ebenfalls keine Playstation 5: Das Spiel ist auch für die Vorgängerkonsole, die Playstation 4, erhältlich.

Das soll freilich nicht heißen, dass sich aus gewissen Spielen mit der neuen Technologie nicht mehr herauskitzeln lässt. Spider-Man: Miles Morales zum Beispiel ist zwar ein viel zu kurzes, aber formidables Spiel, in dem wir als Spinnenmann durch die Häuserschluchten New Yorks schwingen konnten – und das ist selbstverständlich grafisch beeindruckender, wenn sich dank Ray-Tracing-Technologie das Licht der untergehenden Sonne naturgetreu in den Glasfassaden der Hochhäuser spiegelt. Aber müssen Kinder am Heiligen Abend weinen, weil ihnen Ray Tracing verwehrt bleibt? Wenn ja, dann empfiehlt sich eine erzieherische Diskussion zum Begriff der "First World Problems".

Den VR-Spatz wieder fliegen gelassen

Und dann gibt es noch die Tatsache, dass es mit der Peripherie rund um die neuen Konsolen etwas mau aussieht – weil man hier entweder noch nie etwas gemacht hat oder auf veraltete Systeme setzt. Ein gutes Beispiel dafür sind die VR-Ambitionen, die im Xbox-Ökosystem schlichtweg inexistent sind: Wer also eine Xbox Series X besitzt, der muss für die Nutzung von VR-Content auf andere Systeme – etwa Standalone-Brillen wie die Quest 2 oder welche, die man an den PC anschließt – zurückgreifen.

Für die Playstation-Welt gibt es zwar eine Lösung, aber die Sache ist etwas kompliziert. Die für die Nutzung der eigentlich kommerziell sehr erfolgreichen VR-Brille PSVR notwendige Playstation-Kamera hat nämlich einen Stecker, für den es in der Playstation 5 keinen Anschluss mehr gibt. Zu diesem Zweck wurde zwar ein Adapter entwickelt, der aber nicht im regulären Handel erhältlich ist, sondern bei Sony direkt bestellt wird. Dieser ist zwar kostenlos, die Lieferung dauert aber ein paar Wochen – und dann hantiert man erst recht mit etlichen Kabeln und veralteten Controllern herum, während Konkurrenzprodukte längst moderner aufgestellt sind. Sony hatte hier den sprichwörtlichen Spatz in der Hand – und dann hat man ihn einfach fliegen lassen.

Die gute Nachricht ist: Auch hier steht an und für sich eine rosige Zukunft bevor. Denn das Nachfolgeprodukt der PSVR soll nicht nur jetzigen Konkurrenzprodukten in diversen technischen Merkmalen überlegen sein, sondern außerdem über deutlich handlichere Controller verfügen – am Markt ist es aber eben noch nicht, ein Release ist für 2022 geplant.

Fazit: Was nicht ist, das kann noch werden

Sie ahnen also schon, worauf ich hinausmöchte: Die Next-Gen-Konsolen sind technisch sicher ordentliche Brummer, die viel Potenzial haben – in Wahrheit ist es aber noch zu früh für eine Anschaffung und somit alles andere als ein Drama, wenn sie dieses Jahr nicht unter dem Weihnachtsbaum liegen.

Dafür sieht das kommende Jahr äußerst rosig aus, wenn Sony erstens die eigene Contentstrategie überarbeitet und zweitens in puncto VR wieder aufholt. Bei Microsoft wiederum stellt sich die Frage, ob sich die Gerüchte rund um einen Streamingstick bewahrheiten und sich somit für Xbox-Fans ohnehin gänzlich neue Möglichkeiten ergeben.

Bis all diese Fragen geklärt sind, schreiben wir bereits Dezember 2022 – und können uns dann erneut überlegen, was wir zu Weihnachten einander schenken. (Stefan Mey, 24.12.2021)