Hannah (Maresi Riegner) will sich aus dem bürgerlichen Korsett lösen.

Foto: Grischa Schmitz

Wahrheit und Freiheit sind derzeit wieder umstrittene Begriffe. Beides in eins zu setzen, also (gefühlte) Wahrheit in der Freiheit zu finden, das haben sich die Freiheitsbewegungen auf die Fahnen geschrieben. Eine davon war das Kommunenwesen Mitteleuropas um 1900. An naturschönen Orten versammelten sich Freigeister und Künstlerinnen, um eine neue Art des Zusammenlebens zu erproben. So auch in der Lebens- und Therapiegemeinschaft am Monte Verità in der Südschweiz.

Dorthin verschlägt es 1906 die bürgerliche Wienerin und Mutter zweier Töchter Hannah Leitner (Maresi Riegner). Hannah leidet an Asthma und unter ihrem Ehemann, der sich einen Sohn wünscht. Da sie nicht schwanger wird, wird sie vom unkonventionellen und attraktiven Arzt Otto Gross (Max Hubacher) behandelt.

Ihm folgt sie auch in einer Fluchtaktion auf den Monte Verità. Im Gegensatz zu Hannah basiert Otto Gross – wie auch andere Kommunarden – auf einer realen Person: Gross ist die tragische Figur der Psychoanalyse – seine anarchischen Methoden wurden von Freud abgelehnt, weshalb sein Ruf nicht sehr weit schallte. Doch hier spielt er nur eine Nebenrolle (wie auch in David Cronenbergs Eine dunkle Begierde), denn Monte Verità erzählt von Hannahs schrittweiser, aber nicht naiver Loslösung vom "bürgerlichen Korsett".

Bald wird sie zur Kommunenfotografin ernannt, und es gelingen ihr Porträts, die von Atem und Natur bewegt und durchdrungen sind. Dieses Fotomotiv durchzieht die Kameraarbeit Daniela Knapps auf kreative Weise, und auch durch den (sonnenverbrannten) Cast der österreichisch-deutsch-schweizerischen Produktion unter der Regie Stefan Jägers wird Monte Verità zum sehenswerten Historienfilm, dessen kontroverse Themen in die Aktualität hineinreichen. (Valerie Dirk, 23.12.2021)