"Wir wollen kein Notprogramm machen": Belvedere-Chefin Stella Rollig mit Geschäftsführer Wolfgang Bergmann.

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Die vielen Touristen finanzierten das ambitionierte Ausstellungsprogramm – das war das Geschäftsmodell der Museumstanker Belvedere, Albertina und Kunsthistorisches Museum vor der Pandemie. Mit kräftigen Finanzspritzen von öffentlicher Seite werden die Häuser derzeit über Wasser gehalten. Doch wie lang kann das noch so weitergehen? Wir haben das Belvedere-Leitungsduo Stella Rollig und Wolfgang Bergmann zum Gespräch getroffen. Beide wurden erst im Oktober für fünf weitere Jahre im Amt bestätigt.

STANDARD: Vor eineinhalb Jahren ist Ihr Geschäftsmodell von einem Tag auf den nächsten zusammengebrochen. Nachdem die Besucher weiterhin rar sein werden: Welches neue Geschäftsmodell haben Sie?

Bergmann: Einspruch. Zusammengebrochen ist das Geschäftsmodell nur temporär. Aufgrund der Erfahrungen in der Pandemie gehen wir davon aus, dass die Besucher wiederkommen. Im Frühherbst waren die europäischen Besucherzahlen fast schon wieder auf Vor-Corona-Niveau. Natürlich fehlen uns weiterhin die Gäste aus Amerika und Asien, aber sobald die Reisemöglichkeiten wieder gegeben sind, kommen auch sie wieder. Das wird wohl zwei bis drei Jahre dauern.

STANDARD: Und dann wird es wieder Blockbusterausstellungen für die Massen geben? Ist das erstrebenswert?

Rollig: Im Zentrum unseres Geschäftsmodells sind ja nicht teure Ausstellungen – waren sie nie. Was in der Debatte über die Zukunft unserer Museen viel zu kurz kommt, ist die Identität und Praxis der unterschiedlichen Häuser. Im Belvedere kam es in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einer unglaublichen Steigerung der Besucherzahlen, wir wissen, dass wir das dem Tourismus zu verdanken haben – aber auch der Identität des Belvedere mit seiner barocken Anlage als Sehenswürdigkeit und seiner einzigartigen Sammlung mit dem Kuss von Gustav Klimt. Wir werden auch in Zukunft so frei sein, keine Blockbusterausstellungen machen zu müssen. Durch die Attraktivität des Hauses konnten wir immer auch Nebenwege gehen, Neues bringen.

STANDARD: Nach der Pandemie wollen Sie wieder bei den 1,7 Millionen Besuchern, die Sie zuletzt 2019 hatten, anschließen. Ist das realistisch?

Bergmann: Wir können auch mit 1,5 Millionen unser Programm finanzieren. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass in Zukunft wieder Kunst und Kultur aus dem Tourismus mitfinanziert werden können.

STANDARD: Im Jänner wird das Untere Belvedere mit einer Ausstellung zu Dalí und Freud wiedereröffnet. Sie kostet nach unseren Informationen 700.000 Euro und wurde nicht an Ihrem Haus konzipiert. Wie rechtfertigen Sie eine solch hohe Summe?

Rollig: Die Ausstellung ist nicht zugekauft, sie wurde an unserem Haus entwickelt, allerdings mit einem Gastkurator. Bei Dalí fallen immer hohe Kosten an, die Leihgaben kommen aus ganz Europa und Übersee, die Transportkosten sind sehr hoch.

STANDARD: Gerade erst hat Ihnen der Staat wieder eine Finanzspritze von drei Millionen Euro gewährt. Ist eine solch teure Ausstellung vor diesem Hintergrund argumentierbar?

Rollig: Im internationalen Vergleich handelt es sich um eine erstaunlich preisgünstige Ausstellung. Die Dalí-Freud-Ausstellung kostet für unsere Verhältnisse zwar deutlich mehr als andere Projekte, sie wurde aber nicht für Pandemiezeiten konzipiert. Wir arbeiten seit Jahren daran, haben sie bereits von 2020 auf 2022 geschoben, waren zuletzt guten Mutes, dass sie rechtzeitig zum Aufschwung nach der Pandemie kommt. Jetzt bringt Omikron alles durcheinander. Eine Absage hätte hunderttausende Euro gekostet.

STANDARD: Sie werden nicht davon ausgehen können, dass Sie der Steuerzahler in den kommenden Jahren komplett durchfinanziert. Wo liegen realistische Einsparungspotenziale?

Rollig: Wir wollen kein Notprogramm machen, wollen weiterhin attraktive Ausstellungen anbieten. Schauen des kommenden Jahres wie etwa "Viva Venezia!", jene über realistische Malerei oder "Grow" über den Baum in der Kunst wurden allerdings aus den Sammlungen heraus entwickelt, da sparen wir viel Geld. Darüber hinaus wurde das Ankaufsbudget beinahe ganz gestrichen, wir sparen stark beim Marketing, besetzen Stellen nicht nach.

STANDARD: Bis Jahresende verlassen neun Mitarbeiter das Haus, fünf davon gehen zum neuen Museum von Heidi Horten, darunter die Leiterin der Kunstvermittlung und der Kurator für Kunst des 19. Jahrhunderts. Haben Mitarbeiter bei Ihnen keine Perspektive, oder ist das Teil eines Sparpakets?

Rollig: Dass Mitarbeiter in andere Häuser wechseln, ist nicht ungewöhnlich. Die Leiterin des Horten-Museums, Agnes Husslein, stand zehn Jahre an der Spitze des Belvedere und holt sich jetzt Leute, mit denen sie gut zusammengearbeitet hat. Richtig viel sparen kann man, wenn man eine große Ausstellung aus dem Programm nimmt, aber kaum über Personalabbau.

Bergmann: Wir werden nicht alle Positionen nachbesetzen, da und dort umorganisieren. Wenn jemand unser Museum als Personalreserve nutzt, ist das ein Kompliment für das Haus. Wir arbeiten allerdings unter der These, dass unser Geschäftsmodell zeitversetzt zurückkehrt, da wäre es nicht sinnvoll, das Haus personell kurz und klein zu sparen, weder betriebs- noch volkswirtschaftlich. Der Sinn der Covid-Hilfen ist, die Häuser durch die schwierige Zeit zu bringen, damit sie nachher wieder aus eigener Kraft durchstarten können.

STANDARD: 2023 feiern Sie 300-Jahr-Jubiläum, arbeiten dafür seit Jahren an einer großen Barockausstellung. Diese sparen Sie ein. Ist das sinnvoll?

Rollig: Irgendetwas muss geopfert werden. Man verlangt von uns zu sparen, schreit aber auf, wenn es konkret wird. Bei dieser geplanten Ausstellung war noch kein einziger Leihvertrag unterschrieben, sie war noch rein im Forschungsstadium. Forschung halte ich nie für verloren und im Unterschied zur Dalí-Ausstellung sind erst wenige Kosten angefallen.

STANDARD: Vor der Pandemie wurde eine Salzburg-Dependance des Belvedere beschlossen. Das Bauprojekt in der Neuen Residenz ist in der Zwischenzeit recht weit gediehen, öffentlich wird darüber aber kaum diskutiert. Will man kein Aufsehen erregen?

Rollig: Wir finanzieren das Projekt nicht, die Finanzierungsbeschlüsse sind in Salzburg gefasst worden. Es läuft alles nach angekündigtem Zeitplan. Mittlerweile ist der Architekturwettbewerb im Laufen, für April ist die Entscheidung des Preisgerichts zu erwarten. Anfang 2026 ist der Bezug geplant.

STANDARD: Ist ein solches Projekt in einer ungewissen Zeit wie jetzt klug?

Rollig: Natürlich. Wir müssen in die Zukunft denken, ich kann mich doch nicht vor der aktuellen Pandemie wie das Kaninchen vor der Schlange ducken. Diese Pandemie wird irgendwann vorüber sein, da muss man früh genug Weitsicht beweisen. Abgesehen davon, dass gerade die öffentliche Hand antizyklisch in Infrastruktur investieren soll, damit man das Ergebnis dann hat, wenn man es braucht.

STANDARD: Dasselbe ließe sich auch über das geplante Besucherzentrum in Ihrem Haus sagen. Das Projekt haben Sie aber auf Eis gelegt. Warum?

Bergmann: Zum einen wegen der Planungsunsicherheit, zum anderen wegen finanzieller Unwägbarkeiten. Wir haben aber vor, im nächsten Jahr den Architekturwettbewerb zu starten, weil das Belvedere infrastrukturell nicht auf hohe Besucherzahlen ausgelegt ist. Und diese wird es wieder geben.

STANDARD: Sie wollten selbst zwei Drittel der Finanzierung stemmen, da hat Ihnen die Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht. Woher kommt das Geld?

Bergmann: Wir werden zur Finanzkraft zurückkehren, die wir vor der Pandemie hatten. Wie immer aber der genaue Aufteilungsschlüssel ausschauen wird: Ich gehe davon aus, dass wir das Besucherzentrum erheblich aus eigener Kraft finanzieren werden. (Olga Kronsteiner, Stephan Hilpold, 23.12.2021)