Wolfgang Rademann kannte sein Publikum. Der "Traumschiff"-Erfinder beschrieb das Erfolgsgeheimnis seines Produkts einmal folgendermaßen: "Der Zuschauer hat die schlechten Nachrichten gesehen, den miesen Wetterbericht, und hat jetzt 90 unterhaltsame Minuten mit uns auf dem Schiff. Darauf verlässt er sich."

Mitte der 80er, vor der Einführung des Privatfernsehens, schaltete fast jeder dritte Deutsche das "Traumschiff" ein. Heute sind es pro Folge immer noch mehr als sechs Millionen Zuschauer, in ORF 2 noch einmal um die 700.000. Traditionell laufen die neuen Folgen am Stefanitag, zu Neujahr und zu Ostern. Weil das Traumschiff im November seinen 40. Geburtstag feierte, gibt es diesmal am 26. Dezember zwei Folgen (Schweden und Toskana) und ein "40 Jahre auf See"-Spezial.

Unterwegs nach Schweden:
Florian Silbereisen, Daniel Morgenroth, Collien Ulmen-Fernandes, Harald Schmidt und Barbara Wussow.
Foto: ORF/ZDF/Dirk Bartlin

40 Jahre auf See heißt: Fünf "Kapitäne" steuerten fünf Schiffe durch 93 Folgen (inklusive der kommenden). Es gab Besetzungswechsel und viele, viele Gastauftritte. Manch ein Prominenter spielte sich selbst, andere eine Gastrolle oder über die Jahre sogar mehrere. Harald Schmidt war erst der "Gentleman-Host" und spielt mittlerweile den Kreuzfahrtdirektor.

Wie "Wetten, dass…" erfüllt das "Traumschiff" die klassische Aufgabe einer Samstagabendshow: seichte Unterhaltung für alle Altersklassen. Anders als der "Tatort" darf das "Traumschiff" die Zuschauer nicht verstören. Deshalb ist der Ablauf immer derselbe. "Das Schiff legt ab, Kapitänsdinner am Ende, in der Mitte kommt das Land, Happy End, Liebe, Herzschmerz, keine Gewalt, kein Sex" – wieder Wolfgang Rademann.

Und weil das Rezept für eine Folge "Traumschiff" immer dasselbe ist, enthält dieser Text nicht nur zahlreiche Seefahrtsmetaphern, sondern auch eine Anleitung, wie man sich eine perfekte Folge backt – in sieben einfachen Schritten.

Rollen Sie als Basis der Handlung einen exotischen Ort dünn aus

Der Deutsche und die Kreuzfahrt, es ist eine perfekte Kombination. Vor der Pandemie war Deutschland der drittgrößte Markt für diese Urlaubsform weltweit. Deutsche und Österreicher lieben exotische Orte, solange dort alles ein bisschen ist wie zu Hause. Eine Kreuzfahrt ist im Grunde so etwas wie eine verdünnte Landreise: Man sieht viel in kurzer Zeit und landet am Abend immer wieder auf dem Schiff, wo die eigene Kabine und das nichtexotische Buffet warten. Das "Traumschiff" führt dieses Prinzip nochmals auf die Spitze: Es ist eine verdünnte Version einer verdünnten Reise, die man in seinem eigenen Wohnzimmer machen kann. Liefern Sie also schöne Bilder aus Japan, Hawaii oder Uruguay. Aber vergessen Sie nicht: Der Star ist das Schiff.

Foto: ZDF

Fügen Sie einen Plot hinzu

Der Plot muss gleichzeitig kompliziert und einfach sein. Er darf zwar eine verrückte Prämisse haben und scheinbar verworren sein (sehr beliebt: Dreiecksbeziehungen), muss aber immer nachvollziehbar bleiben. Die Nachfolge für die Leitung einer Gepardenfarm zu finden ist im Kern auch nichts anderes als bei einer Bäckerei. Achten Sie darauf, dass die Konflikte immer mit einer einfachen Einsicht zu lösen sind: Der Vater erkennt, dass er seinen Sohn doch liebt; die zwei einander heimlich Liebenden geben ihr altes Leben auf; die Gepardenfarm wird letztlich reibungslos übergeben.

In "Storytelling"-Kursen lernt man, dass eine Story im Kern immer aus Protagonisten besteht und einem Problem, das diese lösen müssen. Die Plots des "Traumschiffs" sind diese Lektion, auf einfachste Schritte heruntergebrochen. Die Probleme müssen außerdem familienfreundlich sein und in 90 Minuten zu lösen sein, da wartet das Kapitänsdinner.

Mischen Sie einen zweiten Plot unter

Eine Folge "Traumschiff" erzählt nicht nur eine Geschichte, sondern fast immer drei, die parallel erzählt werden. Pro Folge schreiben die Autoren bis zu acht Episoden, die passendsten werden dann ausgewählt.

Der zweite Plot unterliegt denselben Regeln wie der erste, muss sich aber von ihm unterscheiden: Laut Rademann ist es immer eine komische Geschichte, eine mit Herzschmerz und eine dramatische. An Bord passt so neben der Studentin, die heimlich in den schüchternen Bibliothekar verliebt ist, und dem Ehepaar, bei dem die Frau eine Affäre mit dem Chef des Mannes hat, auch noch der traumatisierte Chirurg, der nie wieder operieren will. Das geht sich am Ende alles aus, man muss es nur schreiben können.

Herzschmerz mit Barbara Prakopenka und Joshua Grothe.
Foto: ORF/ZDF/Dirk Bartling

Addieren Sie die Kerncrew, bis es eine stabile Masse ergibt

Die Crew des Traumschiffs ist der Kitt. Sie haben meistens einen eigenen Subplot (in einer Folge drohen Chefsteward und Sous-Chef das Essen an Bord zu vergiften, sofern man ihnen nicht 10.000 Euro zahlt), vor allem unterstützen sie aber die beiden anderen Geschichten. Sie geraten dabei in die Verwicklungen der Kreuzfahrtgäste, helfen bei der Problemlösung und verbessern meist auch ihr Leben.

Die Figuren der Kerncrew sollen die Zuschauer für ein paar Jahre begleiten. Sie müssen nicht perfekt sein, ihre Fehler aber nicht so gravierend, dass man sich von ihnen abwenden könnte. Sie sind zugänglich, freundlich, professionell und vertrauenswürdig. Menschen, denen man sein Schicksal gern in die Hände legt. In den Nullerjahren gab es Umfragen, in denen sich 20 Prozent der Deutschen Günther Jauch als Kanzler wünschten. Nach einer komplett gefühlten Statistik wäre der aktuelle Kapitän des Traumschiffs wahrscheinlich auf ähnliche Werte gekommen.

Seit 1981 schippert das "Traumschiff" durchs TV, damals mit Erstcrew Günter König und Sascha Hehn. Heide Keller (Mitte) gehörte mit "Kapitän" Siegfried Rauch (links) und "Schiffsarzt" Nick Wilder zu den längstdienenden Darstellern des Serienhits.
Foto: imago images/Eventpress

Heben Sie vorsichtig die Schauspieler unter

Dieser Schritt ist pikant. Die Schauspieler müssen die Eigenschaften ihrer Figuren (wir erinnern uns: zugänglich, freundlich, professionell, vertrauenswürdig) glaubwürdig verkörpern. Am besten gelingt das, wenn sie ein bisschen glamourös wirken, aber gleichzeitig auch ein Haus eine Straße weiter besitzen könnten. Sie sind stets "öffentlich-rechtlich attraktiv" – also ansehnlich, aber nicht bedrohlich schön. Mit Barbara Wussow oder Nick Wilder könnte man seinen Partner wahrscheinlich beruhigt einen Abend an der Bar verbringen lassen, mehr als Flirten würde da nicht passieren. Für prominente Gaststars gelten andere Regeln, die dürfen gerne ein bisschen Freak-Faktor haben.

Für den Kerncast ist das Traumschiff ein sicherer, langlebiger Gig. Schiffsarzt Horst Naumann stach 27 Jahre mit dem Traumschiff in See. Sascha Hehn begann 1981 als Chefsteward und arbeitete sich bis zum Kapitän hoch. Als die immer elegante Chefhostess Heide Keller nach 36 Jahren das "Traumschiff" verließ, gab sie gegenüber einer Klatschzeitschrift als Grund an, sie wolle von Bord gehen, solange sie "die Gangway noch auf Stöckelschuhe verlassen" könne. Florian Silbereisens Vertrag läuft bis 2024. Sein Kapitän hieß übrigens zuerst "Max Prager", bis die "FAZ" darauf hinwies, dass es einen deutschen Kolonialseefahrer gleichen Namens gab. Jetzt heißt er "Parger".

Sascha Hehn (Mitte) arbeitete sich vom Chefsteward bis zum Kapitän hoch.
Foto: ORF/ZDF/Dirk Bartling

Streuen Sie einfache Dialoge ein

Die neuen Folgen des "Traumschiffs" laufen traditionell zu den Feiertagen. Bedenken Sie also: Das sind keine Tage, an denen man sich anstrengen will, Kopf und Bauch sind ohnehin noch voll. Man sollte den Dialogen leicht folgen können. Bei einem Satz wie "Du bist die Frau meiner Träume, ich will dich nie wieder gehen lassen" bleiben wenig Fragen offen. Ignorieren Sie die Zurufe aus dem Feuilleton, das schaut die Sendung eh nur ironisch. Lassen Sie stattdessen Joko Winterscheidt auftreten und Sätze wie "Die Shampoo-Mafia ist hinter mir her!" sagen.

Am Ende, beim Kapitänsdinner, dürfen dann die großen Wahrheiten ausgepackt werden. "Den größten Schatz tragen wir in uns, und er wird im Laufe des Lebens immer größer: unsere Erinnerungen." Wer kann dagegen schon was sagen?

Verändern Sie das Rezept nur vorsichtig

TV-Zuschauer, insbesondere ältere, sind konservativ. Im Grunde mögen Menschen keine neuen Geschichten sehen, sondern wollen alte Geschichten neu erzählt haben. Trotzdem existiert das Traumschiff nicht in einem komplett luftleeren Raum. Auch hier verändern sich Dinge, nur halt sehr langsam. 2019 gab es den ersten schwulen Kuss an Bord, da durften Homosexuelle in Deutschland schon seit zwei Jahren heiraten. Das Mantra konservativer Politiker, wonach man die Leute nicht überfordern solle und mitnehmen müsse, auf dem "Traumschiff" wird es gelebt.

Anders als auf dem fiktionalen läuft auf dem realen Traumschiff nicht mehr alles rosig. Wolfgang Rademann starb 2016, es folgten Veränderungen in hoher Schlagzahl, zumindest für "Traumschiff"-Verhältnisse. Die Nachfolgerin des langjährigen Schiffsarztes wurde nach zwei Folgen durch Collien Ulmen-Fernandes ersetzt. Im Internet rumorte es nach einigen Folgen ob der Drehbücher so sehr, dass Silbereisen in der "Bild" dazu Stellung nehmen musste ("Ich wünsche mir überraschendere und witzigere Geschichten"). Und von der Diskussion über die katastrophale Umweltbilanz der Kreuzfahrtindustrie bleibt auch die Serie nicht verschont.

Barbara Wussow legt wieder ab.
Foto: ORF/ZDF/Michael Petsch

Doch auch wenn am Horizont die Wolken dunkler werden: Noch schippert das Traumschiff über die Meere, jetzt eben nach Schweden, in die Toskana und nach Namibia. Und bringt auch im 41. Dienstjahr verdünnte Exotik und Unterhaltung in Millionen Haushalte im deutschsprachigen Raum. Mit einem Konzept, das im Grunde seit den 80ern dasselbe ist. Produzent Rademann sagte einmal, dass sein "Traumschiff" nur im öffentlich-rechtlichen Fernsehen möglich sei. "Ein Privatsender hätte es längst zerstückelt und an den Zeitgeist angepasst." (Jonas Vogt, 25.12.2021)