Der Weihnachtsbaum wächst heuer aus Autodächern heraus. Er steht, wo er jedes Jahr steht, auf dem Platz vor der Geburtskirche in Bethlehem, behängt mit roten und silbernen Kugeln. Nur die Menschen, die ihn bestaunen, fehlen. Der Platz, auf dem sonst zur Adventzeit die Massen zur Kirche drängen und die Kinder zum Zuckerwattestand, dieser Platz gehört jetzt den Autos.

Die Milchgrottenstraße, die in Bethlehem zur Geburtskirche führt, ist um die Weihnachtszeit normalerweise brechend voll mit Touristen.
Foto: Maria Sterkl

Rostige Felgen, mit Tesastreifen geklebte Karosserien. Westliche Marken mit abgesplitterten Markenzeichen. Ein Volkswagen, der wohl älter ist als sein auch nicht mehr jugendlicher Besitzer. Auf dem Heck klebt ein vergilbter Nürburgring-Aufkleber. Vielleicht ein Mitbringsel eines der vielen nach Deutschland ausgewanderten Angehörigen, die hin und wieder auf Heimatbesuch kommen. Wenn sie denn dürfen.

Aufstockung umsonst

Wer aus Europa oder Übersee nach Bethlehem reist, landet am Flughafen Tel Aviv. Den hat die israelische Regierung im März 2020 für Touristen geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Hotels in Bethlehem schon bis ins Jahr 2021 fast ausgebucht. Ausländische Reiseveranstalter hatten die Bethlehemer Hoteliers gedrängt, doch bitte noch zuzubauen, man könne noch mehr Betten auf den Markt bringen, die Nachfrage dafür sei da. Manche beherzigten das, sie liehen sich Geld aus und stockten auf. Es hätte ein Rekordjahr werden sollen für Bethlehems Wirtschaft. Das war es dann auch. Ein Rekordverlust.

Ostern 2020 fiel aus, auch Weihnachten 2020 wurde totalstorniert, dann auch Ostern 2021. Am 1. November sperrte Israel die Grenzen endlich wieder auf. Aber nur vier Wochen später kamen die Meldungen über Omikron, seither herrscht wieder Einreisesperre. Wer sich heute nach Bethlehem verirrt, ist Christ aus Israel oder aus Palästina. Ausländische Pilger dürfen nicht ins Land.

Im Advent glauben die Christen in der Welt, dass das Licht aus Bethlehem ihnen Hoffnung bringt. Nun, in Zeiten der Pandemie, ist es umgekehrt: Bethlehems Hoffnung sind die Gläubigen im Ausland. Noch am 27. November hatte Bürgermeister Anton Salman zur feierlichen Saisoneröffnung geladen. Am selben Tag beschloss die israelische Regierung das neue Grenzregime. Für viele Familien in Bethlehem, die darauf gewartet hatten, nach dieser Weihnachtssaison finanziell endlich wieder Luft holen zu können, war das ein harter Schlag.

Fast alle hier sind direkt oder indirekt vom Geld abhängig, das die Touristen hierlassen. "Es geht ja nicht nur um die Hotels, die Tourguides und die Restaurants", sagt Salman. "Die Hotels kaufen ihr Gemüse, ihren Zucker am lokalen Markt. Die Markthändler wiederum beziehen viele ihrer Lebensmittel von lokalen Produzenten. Wenn die Hotels zumachen, dann spüren das alle." Die Taxifahrer, die Zusteller, die Reinigungsleute, die Handwerker.

Ziel zahlreicher Christen aus aller Welt: die Geburtskirche.
Foto: MAFP / Abbas Momani

George*, ein 31-jähriger Händler, hat seinen Shop nahe der Geburtskirche, in der Milchgrottenstraße, die dorthin führen soll, wo Maria Jesus gestillt haben soll. Wenn die Pilgergruppen sich dem Ort des gebenedeiten Brustnuckelns nähern, gehen sie auch an dutzenden Souvenirshops vorbei. Sie heißen "Holy Land Souvenirs" und "Saint Patrick’s – open daily". Alle Läden sind nun geschlossen. Nur George sperrt auf. Er bietet Halstücher, Taschen, Rosenkranzketten und Weihnachtskrippen aus Olivenholz für Kunden, die es nicht gibt. Wie viele Menschen pro Tag seinen Laden betreten? "Null", sagt George. Warum er dann hier wartet? "Ich kann nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen, mit meinem Laptop auf dem Sofa. Davon wird man krank", sagt George, "und das meine ich wirklich so: Man wird krank."

Reserven aufgebraucht

Dabei sei er ja noch in einer privilegierten Lage, erzählt der groß gewachsene Unternehmer, der einer der ältesten christlichen Familien Bethlehems angehört. Das Haus, in dem sich sein Laden befindet, ist in Familienbesitz, er zahlt keine Miete. Die laufenden Betriebskosten begleicht er mit Erspartem, auch seine Eltern und Geschwister ernährt er davon. Jetzt, nach 20 Monaten Pandemie, sind die Reserven fast aufgebraucht.

Andere Familien, die weniger Geld angespart hatten, sind in die Armut gerutscht. "Einige von ihnen arbeiten jetzt illegal in Israel", sagt George. Ihnen droht Ausbeutung, sie können keine Löhne einklagen, sind nicht unfallversichert und müssen bangen, von den israelischen Behörden erwischt zu werden. In diesem Fall drohen Strafen und Einreiseverbot. All das nähmen sie auf sich, "weil ihnen einfach nichts anderes übrigbleibt", sagt George. Zwar suchen israelische Betriebe nach Arbeitskräften, doch die Regierung geizt mit Bewilligungen für Palästinenser.

Unter der Tourismusflaute leiden auch israelische Städte wie Tel Aviv und Jerusalem, die Hotels am Toten Meer und am See Genezareth. Anders als palästinensische Unternehmer erhalten israelische Hoteliers aber immerhin Entschädigungen vom Staat, Beschäftigte sind arbeitslosenversichert. Die Palästinenserbehörde leistet das nicht, sie ist schwer verschuldet. Die Ära Trump hinterließ Spuren. Der US-Präsident hatte Ramallah dringend benötigte Zahlungen gestrichen. Das Geld, das noch floss, versickerte in Korruption und einem aufgeblähten Apparat. Zu spüren bekommen das Menschen wie George.

Der Souvenirverkäufer kennt 45 christliche Familien, die schon seit längerem ihre Koffer gepackt haben. "Sie warten noch auf ein Visum in Europa oder in den USA."

Ein wenig Geld

Damit beschleunigt die Pandemie aber nur, was schon davor merkbar war: Die christliche Bevölkerung Bethlehems schrumpft stetig, die muslimische wächst. Vor hundert Jahren waren 84 Prozent der Stadtbewohner christlichen Glaubens, heute sind es 22 Prozent. Längerfristig wird die christliche Abwanderung aber auch für die muslimische Mehrheit zum Problem: Wer hält die Tourismusinfrastruktur am Laufen, wenn die Christen weggehen? Wer schenkt das Bier für die Urlauber aus, wer führt sie zu den Pilgerstätten?

"Als Palästinenser sind wir geübt darin, die Hoffnung nicht aufzugeben", sagt Bürgermeister Salman. Seit 1967 hält Israel das Westjordanland besetzt, ein Betonwall schneidet Jesu Geburtsstadt von seinem Sterbeort Jerusalem ab. Dass die Palästinenser bald in Freiheit und Selbstbestimmung leben dürfen, damit rechnet niemand. "Wir glauben trotzdem daran", sagt Salman. Diese Zuversicht helfe auch über Krisen wie die gegenwärtige.

Trost kommt auch von den israelischen Arabern. Christen aus Haifa, Nazareth und Galiläa sind nun die einzigen Gäste in Bethlehem. Sie kommen aber nur fürs Wochenende, selten für mehr als zwei Nächte, sagt der Bürgermeister. "Das löst unsere Probleme nicht, aber wenigstens bringt es den Kleinbetrieben ein wenig Geld."

Auf Auslandsgäste wird Bethlehem weiter warten müssen. Am Mittwoch wurde die Grenzsperre bis 29. Dezember verlängert. Weiterhin offen sind die Grenzen hingegen für jüdische Reisende, die über das Birthright-Programm nach Israel kommen. Die Initiative, die junge Diasporajuden mit Israel vertraut machen will, führt sie zu verschiedenen Orten in Israel und im Westjordanland. Das palästinensische Bethlehem steht nicht auf ihrem Plan. (Maria Sterkl aus Bethlehem, 24.12.2021)