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Weihnachten für Weihnachtsmuffel. Selbst für sie gibt es Weihnachtslieder. Und gar nicht wenige.

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Schnee oder nicht, es jinglebellt da draußen. Die Märkte sind auf Christkind gestimmt, Shoppingmalls auf Ho! Ho! Ho!

Das Musik-Business hat Weihnachten früh als Markt erkannt. Das erste Lied, das sich christlich gefärbt der Wintersonnenwende gewidmet haben soll, wird im Jahr 129 nach Christi Geburt verortet, Pi mal Daumen. Damals dürfte der Publikumszuspruch überschaubar gewesen sein, erst 1928 wurden Weihnachtsgesänge übers Radio ausgestrahlt, nämlich jene des britischen Choir of King’s College. Man kann diese Übertragung als mögliche Geburtsstunde des modernen Weihnachtslieds betrachten.

Seit damals ist viel Weihrauch verpufft, der Markt für Weihnachtslieder hingegen immens gewachsen. Kaum ein Star, der sich nicht einmal hat hinreißen lassen, sich daran zu versuchen. Den meisten ist gemein, dass sie Stimmung machen sollen. White Christmas von Bing Crosby, die Swinging Christmas-Grüße der Ella Fitzgerald, natürlich Mariah Carrey und Wham! Und, und, und.

Leeres Versprechen

Doch gibt es auch solche, denen das ewig wiederkehrende Last Christmas nur ein leeres Versprechen ist. Jene, die in Weihnachten bloß einen religiös motivierten Drei-Tages-Lockdown sehen. Auch für sie gibt es Weihnachtslieder.

Es sind Lieder für selbstbestimmte Einsame, für Misanthropen, Agnostiker – für alle, die nicht in Weihnachtsstimmung sind und es nicht sein wollen. Für sie folgt hier eine Playlist, quasi Off-Broadway-Weihnachtslieder ohne verklärten Blick, hin zu einem Weihnachtsfest im Zeichen aufbegehrender Magensäure: Sodbrand for Christmas.

Weihnachten bei unfreiwillig Entliebten – Mit gebrochenem, aber abgebrühtem Herzen stellt sich Brenda Lee dem Weihnachtsfest: Christmas Will Be Just Another Lonely Day. Verlassen ergibt sie sich ihrem Schicksal, in der Hoffnung, ausgerechnet Weihnachten könnte ihren Geliebten zurückbringen. Das fällt auch nur jemandem ein, der noch ans Christkind glaubt.

bricomaligno

Frohes Fest bei Satanisten – Was den einen ein Familienfest ist, ist anderen die Vorhölle: Der New Yorker Saxofonist James White hat darüber ein Lied geschrieben. Es heißt Christmas With Satan: "Christmas with the devil, it’s gotta be one hell of a party!", singt er, während sein Saxofonspiel auf das christliche Prinzip der Erlösung hoffen lässt. Doch der Teufel kennt kein Erbarmen: Tröt. Quietsch. Blechsalat.

santasboot

Weihnachten ohne Papa – "Nicht alle meine Lieder sind traurig, manche sind auch hoffnungslos." Das hat der Songwriter Townes van Zandt einmal gesagt. Aus diesem Fach stammte ein Downer, den Country-Lady Loretta Lynn ihren Kindern unter den Weihnachtsbaum legt: Christmas Without Daddy. Weit entfernt von fröhlichen Weihnachten gestaltet sich dieses Fest "blue and all alone".

Vietnam War Song Project

Falsche Idylle – Der Songwriter Sufjan Stevens thematisiert in That Was The Worst Christmas Ever! die falschen Fassaden, die zu Weihnachten von Familien gern hochgehalten werden: Versöhnung mit allen Mitteln. Funktioniert nur nicht. Die Erkenntnis lautet "silent night, holy night, silent night, nothing feels right". All jenen zugedacht, die ihren Familien nicht viel mehr schenken als eine SMS.

Sufjan Stevens

Weihnachten bei heiteren Agnostikern – Der bei Monty Python hauptgemeldete Eric Idle braucht kaum zwei Minuten, um das fromme Fest nachhaltig zu dekonstruieren, wie der Kurator sagt. Sein Christmas-Carol heißt Fuck Christmas und zerlegt das Fest in die Zutaten Konsumrausch und Kapitalismus. Disney kriegt sein Fett ab, das Rentier Rudolph, die Wichtel sowieso. Am Ende liegt man da in Tränen: Har! Har! Har! statt Ho! Ho! Ho! (Das scheinheilige Youtube verlangt für das Video manchmal einen Altersnachweis)

Chile Pepper

Stille Nacht bei Schlitzohren – Weihnachtsshopping mit einer Liste, auf der kein Name steht. Schwerenöter Dean Martin schlenzt durch den Christmas Blues: "You know the way I’m feeling when you love and you lose / I guess I’ve got the Christmas Blues." Man glaubt ihm kein Wort. Als Erfrischung dazu empfiehlt sich im Sinne des Interpreten eine Flasche Bourbon – als Geschenk gibt’s dafür am Morgen ein Hammerwerfen in der Gedächtnishalle. Immerhin.

MDA Telethon

Weihnachten bei Rednecks – Der Hinterwäldler Hasil Adkins erlag in den 1960ern dem Irrtum, dass die im Radio genannten Interpreten alle Instrumente selber spielen würden. Dass da jeweils eine ganze Band zugange war, da kam er nicht drauf. Also versuchte er als One-Man-Show alles auf einmal zu spielen. Meist sang er über tote Hühner, sexuelles Verlangen und die Freuden von Strafen auf Bewährung. Sein Santa Claus Boogie ist demnach ein würdevoll unwürdiges Stück Psychobilly, bevor es zum Dynamitfischen geht. Irgendwie muss der Weihnachtskarpfen ja auf den Teller kommen.

cringevision

Weihnacht bei Zynikern – Alex Chilton glaubte eher an Horoskope denn an Gott, und sein Wesen war von einem Zynismus grundiert, der es schwermacht, den Song Jesus Christ als offenherzige Ode an Jesu Geburt ernst zu nehmen. Zudem entstammt der Song einem schwer depressiven Album, dem dritten von Big Star. Da ist der Wurm im Holzkreuz drinnen; ein Rätsel so groß wie jenes der Unbefleckten Empfängnis.

Big Star - Topic

Jingle Balls bei Bauarbeitern, Cops, Cowboys und Indianern, Bikern und Matrosen – Ebenfalls nicht direkt im traditionell christlichen Sinne widmen sich die Village People dem Thema: Ihr Go Santa Go erotisiert den Weihnachtsmann auf sehr profane Weise und ist dabei so schlüpfrig wie eine Pole-Dance-Stange nach einer langen Nacht. (Um das Video anzusehen, müssen Sie möglicherweise zu Youtube klicken – aber es lohnt sich!)

Ceres Music Group

Laute stille Nacht für geföhnte Rocker – Jesus-negativ ist auch die Haltung von Spinal Tap, die Metal-Parodie erwartet genregemäß die Ankunft des Gehörnten. Ihr Christmas with the Devil erfreut jene, die die Bescherung zwischen dem Föhnen der Pudelfrisur und dem Stopfen der Latexhose erledigen.

liveclassictunes

Weihnachten bei Familie Jack-Ass – Für diese Zielgruppe hat Bob Rivers 2002 das Album White Trash Christmas veröffentlicht. Da kommt jede Menge Stimmung auf, nur keine weihnachtliche. Stellvertretend für viele Perlen, die er da vor die Tiere in der Krippe wirft, sei dieses erwähnt: What if Eminem did Jingle Bells? Unnötig zu erwähnen, dass der pädagogische Wert dieses Auswurfs irgendwo zwischen Drogenhandel und Autodiebstahl liegt.

Bob Rivers Twisted Tunes

So oder so: Schöne Feiertage an alle! (Karl Fluch, 23.12.2021)