Wie schlimm wird die Situation auf der Insel wegen der Coronavirus-Variante Omikron? Mit dieser bangen Frage gehen die Briten in die Feiertage. Drei Studien aus Südafrika, England und Schottland geben jedenfalls ein wenig Hoffnung: Der Krankheitsverlauf unter jungen Menschen werde weniger schlimm ausfallen als bei der Delta-Variante.

Das britische Gesundheitssystem (Bild: King's College Hospital in London) ist an der Grenze der Belastbarkeit. Aber vielleicht gibt es gute Nachrichten ...
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Andererseits, und das ist die schlechte Nachricht, befand sich das Nationale Gesundheitssystem NHS am Donnerstag bereits kurz vor der Auslastung, es waren kaum noch Intensivbetten frei. Schon haben Nordirland, Schottland und Wales neue Restriktionen erlassen oder angekündigt; Premierminister Boris Johnson hingegen schickt die Menschen im weitaus größten Landesteil England lediglich mit Mahnungen sowie dem üblichen Impfappell in die Weihnachtsferien.

"Extrem schwierige Situation"

Wer sich mit Freunden und Verwandten treffe, solle zuvor einen der kostenlos erhältlichen Antigen-Tests machen, hat der Regierungschef den Bürgern ans Herz gelegt. Das schönste Weihnachtsgeschenk, das man sich selbst machen könne, sei "die Booster-Impfung". Was das Infektionsgeschehen angeht, so behalte die Regierung die "extrem schwierige Situation" genau im Auge, beteuerte der durch allerlei Skandale geschwächte Premierminister: "Sollte sie sich verschlechtern, werden wir handeln."

Vieles deutet darauf hin, dass die Bevölkerung vielerorts selbst die Initiative ergreift. Reihenweise sagten Betriebe und Familien ihre vorweihnachtlichen Feiern ab. Beim Adventsgottesdienst mit deutscher Musik und Bibellesungen auf Deutsch, sonst stets bis auf den letzten Platz ausgebucht, blieb Londons älteste Pfarrkirche St. Bartholomäus diese Woche halbleer.

Im normalerweise hochfrequentierten Restaurant Cote gegenüber dem Barbican-Zentrum im Herzen der City wirkten die wenigen Dinner-Gäste vereinsamt. Das traditionsreiche Singen am Weihnachtsbaum auf dem Trafalgar Square zugunsten wohltätiger Zwecke wurde, wiewohl im Freien, abgesagt.

Wales und Schottland weiter vorsichtig

Die fürs Gesundheitswesen in den kleineren Regionen Verantwortlichen halten ebenfalls nichts vom Abwarten. Der Ministerpräsident von Wales, Mark Drakeford (Labour), beschuldigte die Londoner Zentralregierung sogar der "Lähmung". Die Waliser sollen sich über die Weihnachtstage möglichst nur im Freien treffen oder ihre Wohnzimmer kräftig lüften; zudem soll zwischen privaten Feiern "ein Testtag" eingelegt werden. Von Montag an bleiben alle Nachtclubs geschlossen, in Geschäften und Büros gilt wieder die Zwei-Meter-Abstandsregel.

Ähnliches gilt für Schottland. Dort hat Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon die zentrale Silvesterfeier Hogmanay in Edinburgh abgesagt. Die traditionellen Fußballspiele am zweiten Feiertag müssen vor leeren Stadien ausgetragen werden.

Trotz allem erfreuliche Studien

Während die Besorgnis vorherrscht, legen mehrere Analysen den erfreulichen Schluss nahe, die Mutation B.1.1.529 könne zu weniger Corona-Erkrankungen führen, die einen Krankenhausaufenthalt notwendig machen, als die bisher vorherrschende Delta-Variante. Einer südafrikanischen Studie von 160.000 Patienten zufolge lag die Wahrscheinlichkeit einer schweren Erkrankung um 80 Prozent niedriger; in Schottland lag dieser Prozentsatz bei 65, in England bei 40 Prozent. Die beiden britischen Studien basieren auf winzigen Personengruppen, sind aber statistisch so korrigiert, dass die deutlich ältere und gesundheitlich vorbelastete Bevölkerung berücksichtigt wird.

Alle Autoren der diversen Analysen warnen allerdings vor voreiligen Schlüssen. Es handle sich aber "um tendenziell gute Nachrichten", urteilte Professor Neil Ferguson vom Londoner Imperial College. Wissenschafter derselben weltberühmten Universität hatten noch zu Monatsbeginn vor einer gewaltigen Omikron-Welle mit Tausenden von Toten täglich gewarnt.

Impfprogramm läuft auf Hochtouren

Unterdessen läuft das Impfprogramm auf Hochtouren weiter. Seit Samstag wurden auf der Insel täglich mehr als eine Million Dosen verabreicht, die überwiegende Mehrzahl davon waren Drittimpfungen. Bis Dienstag hatten der Zählung des Gesundheitsministeriums zufolge 53,6 Prozent der Bevölkerung über zwölf Jahren ihren Booster erhalten.

Premier Johnsons Versprechen, bis Jahresende werde jedem Erwachsenen die dritte Dosis angeboten werden, dürfte zwar nicht einzuhalten sein. Doch haben die langen Schlangen vor den Impfzentren in den vergangenen Tagen bewiesen, dass der Appetit auf die medizinische Immunisierung ungebrochen ist. Zudem stößt das Virus mittlerweile vielerorts auf Genesene mit reichlich Antikörpern gegen Sars-CoV-2.

Weicht die Omikron-Variante vor dieser Herdenimmunität zurück? Für die Verantwortlichen in der Politik und im Gesundheitswesen dürfte dies der wichtigste Weihnachtswunsch 2021 sein. (Sebastian Borger aus London, 23.12.2021)