Putin wird bei der Erörterung der Ukraine emotional und wirft der Kiewer Führung Nazi-Methoden vor.

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Mit zehn Minuten Verspätung trat Wladimir Putin am Donnerstag vor verhältnismäßig kleiner Kulisse – nur 507 dreimal getestete Journalisten wurden zugelassen – zu seiner Jahrespressekonferenz im Moskauer Ausstellungszentrum Manege an, der insgesamt 17. seit 2001.

Das wichtigste außenpolitische Thema, die Ukraine und Russlands Verhältnis zum Westen, kam erst nach einiger Anlaufzeit zur Sprache. Und doch war es der mit Abstand von Putin am emotionalsten erörterte Fragenkomplex auf der PK.

Bei Fragen nach der Folter in russischen Gefängnissen – in den letzten Monaten waren brutale Vergewaltigungsvideos veröffentlicht worden – zeigte der Kreml-Chef beispielsweise offenes Desinteresse, erklärte dies zu einem "weltweiten Problem" und sprach sich für eine ruhige Aufklärung der einzelnen Fälle aus. Auf die Frage nach der Zukunft der Ukraine und dem Umgang mit dem Westen hingegen reagierte Putin scharf und expressiv.

Keine Antwort auf Frage nach "Schießbefehl"

Zweimal schon habe die Kiewer Führung versucht, die Donbass-Frage militärisch zu lösen. "Es drängt sich der Eindruck auf, dass eine dritte Militäroperation vorbereitet wird und Russland von vornherein gewarnt wird, sich nicht einzumischen", beschrieb er die aktuelle Krise. Doch Russland müsse ungeachtet aller Sanktionen reagieren, wenn die ukrainische Führung die prorussische Bevölkerung im Osten des Landes unterdrücke.

"Die Zukunft des Donbass müssen die Bewohner der Region entscheiden" und Russland werde Vermittler sein, betonte Putin und ließ damit auch die Möglichkeit einer Abspaltung der Region zu. Die Frage, ob er bereit sei, den Schießbefehl zu geben, ließ er unbeantwortet, adressierte sie stattdessen in gewohnter Manier an Kiew weiter, die auf "die eigene Bevölkerung" schießen lasse.

Auch Garantien gegen einen russischen Einmarsch wollte der Kreml-Chef nicht geben. Stattdessen forderte er Sicherheitsgarantien vom Westen – "schnell und jetzt". Diese Garantien sollen Moskaus Ansicht nach auch dessen Recht auf die Krim verbriefen.

Verbitterung über den Westen

Gerade bei der Analyse der Beziehungen Russlands zum Westen offenbarte Putin seine tiefe Verbitterung und Entfremdung diesem gegenüber – sei es beim Vorwurf der "Cancel-Culture", dem Gesetz bezüglich "Auslandsagenten", das laut Putin in Russland "viel liberaler" ist als in den USA, oder dem Skandal um die Nawalny-Vergiftung.

Mehrfach sprach er davon, dass Russland "betrogen" worden sei. So habe der Westen, als Russland in den 90er-Jahren versucht habe, eine partnerschaftliche Beziehung aufzubauen, weiterhin alles getan, um Russland zu schwächen und zu zerstückeln – eine Anspielung auf den Tschetschenien-Krieg.

Bei der Nato-Osterweiterung habe die Allianz Russland belogen und entgegen anderslautenden Zusagen seither fünf Erweiterungsrunden durchgeführt. Daher werde sich Moskau nicht mehr mit mündlichen Versprechen abspeisen lassen. Zwar lobte der Kreml-Chef die Reaktion aus Washington auf das russische Ultimatum als positiv. Er zeigte sich zufrieden damit, dass Russland Verhandlungen zu Jahresbeginn zugesichert worden seien. Russlands weiteres Vorgehen hänge aber vom Ergebnis der Verhandlungen ab, setzte er drohend hinzu.

Gaskrise mit Europa

In der aktuellen Gaskrise schob Putin ebenso die alleinige Verantwortung Brüssel zu. Die hohen Preise seien auf die Abkehr der EU-Kommission von langfristigen Verträgen zurückzuführen. "Ihr wolltet Marktpreise, nun habt ihr sie", spottete der 69-Jährige.

Zugleich betonte er, dass Gazprom nicht nur seine Lieferbedingungen erfüllt, sondern Deutschland sogar zehn Prozent mehr geliefert habe, als vertraglich zugesichert war. Dann schob er die Verdächtigung nach, dass die Energieversorger den Reversebetrieb der Pipeline Jamal–Europa angeschaltet hätten, um an der Preisdifferenz zu verdienen, statt die Marktpreise zu stabilisieren. (André Ballin aus Moskau, 23.12.2021)