(Fußgängerzone in einer österreichischen Landeshauptstadt. Kundgebung von Impfskeptikern. Die ganze Szene über ist entfernt, durch Wind und die Lautsprecherübertragung so verzerrt, dass der Wortlaut nicht zu verstehen ist, die Rede einer Aktivistin der Partei "Menschen Freiheit Grundrechte" zu hören.

Licht auf eine Frau um die fünfzig und einen etwa dreißigjährigen Mann in der Menge. Sie stehen, den Sicherheitsabstand einhaltend, zwei Armlängen voneinander entfernt und tragen FFP2-Masken. Dann und wann applaudieren sie.

Nach einiger Zeit bezieht unweit von ihnen eine Gruppe jüngerer Menschen Aufstellung, die auf ihre Jacken gelbe Sterne mit der Aufschrift "Ungeimpft" aufgenäht haben. Sie tragen keine Masken und halten ein Transparent hoch mit der Aufschrift "Wir sind die neuen Juden".)

Die neuen Juden?
Foto: APA/dpa/Boris Roessler

DIE FRAU (zum Mann, auf das Transparent zeigend): Ich kann mich so ärgern über die! Keine Ahnung von Geschichte, aber wichtigmachen!

DER MANN: Da bin ich ganz bei Ihnen.

DIE FRAU: Ich mein’, hier geht’s schließlich um unsere Freiheit und unsere Demokratie und um unser Recht auf Wahrheit, da muss man in der derzeitigen Situation einfach diszipliniert sein und sich an die Regeln halten, sonst heißt’s morgen in der Presse wieder, wir sind Fanatiker, und die Pharmaindustrie reibt sich die Händ’.

DER MANN (nickt): Sie haben völlig recht. "Wir sind die neuen Juden", lächerlich! Weil wenn wir wirklich die neuen Juden wären, was wär’ denn dann? Dann täten wir nicht da jetzt demonstrieren, sondern in unseren Villen an der Ostküste sitzen und die Milliarden zählen, die wir mit dieser Impfschweinerei verdient haben, oder?

DIE FRAU (starrt ihn entsetzt an)

DER MANN (lacht und legt ihr die Hand auf die Schulter): Nein nein, keine Sorge! Scherz. Ich weiß schon, dass der Bill Gates kein Jud’ ist.

(Vorhang)

(Antonio Fian, 26.12.2021)