An der Frage der Impfung spalten sich die Ansichten in Österreich.

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Linz – Seit Monaten wird die Spaltung der Gesellschaft als große Gefahr heraufbeschworen. "Das geht von einem Idealbild einer geschlossenen Gesellschaft aus, die einheitlich in eine Richtung marschiert und dabei auch noch von innerer Harmonie geprägt ist", analysiert David Pfarrhofer, Leiter des Linzer Market-Instituts. Dabei werde nicht bedacht, wie wenig realistisch so eine Harmonie ist – und dass Einheitlichkeit einer offenen Gesellschaft widerspricht.

Im Auftrag des STANDARD erforschte Pfarrhofer Anfang Dezember, wie es um die Spaltung der österreichischen Gesellschaft aus der Perspektive der Bevölkerung aussieht. Market stellte dazu zunächst die Frage: "In letzter Zeit hört man ja immer wieder, dass die österreichische Gesellschaft gespalten sei. Wie sehen Sie das: Ist die österreichische Gesellschaft stark gespalten, etwas gespalten, kaum gespalten, gar nicht gespalten?"

50 Prozent der 800 befragten, repräsentativ ausgewählten Wahlberechtigten, sagten, dass unsere Gesellschaft stark gespalten sei, weitere 45 Prozent sagten, sie sei etwas gespalten. Eine geringe Spaltung sehen vier Prozent, völlige Einigkeit weniger als ein Prozent. Die erste Antwort ("stark gespalten") wählten vor allem die erklärten Wählerinnen und Wähler der MFG und der FPÖ. Ansonsten gibt es kaum Auffälligkeiten im Antwortverhalten der einzelnen demographischen Untergruppen.

Wo die Bruchlinien liegen

In einer zweiten und dritten Frage wurde erhoben, entlang welcher Bruchlinien die Gesellschaft gespalten sein könnte – und auf welcher Seite einer möglichen Spaltung sich die Befragten jeweils selbst sehen.

  •  Die stärkste – und wegen der aktuellen politischen Diskussionen am deutlichsten wahrgenommene – Bruchlinie wird zwischen jenen, die gegen Covid 19 geimpft sind (dazu bekennen sich 71 Prozent der Wahlberechtigten) und den Ungeimpften (zu diesem Status bekennen sich zwölf Prozent) wahrgenommen. 90 Prozent sagen, dass der Impfstatus die Bevölkerung spalte – wobei die (nach eigenen Angaben) nicht komplett Geimpften die Spaltung weniger stark einschätzen als die komplett Geimpften. Die Wahrnehmung einer Bruchlinie steigt mit dem Alter der Befragten an und wird im ländlichen Bereich stärker gespürt als im städtischen.
  • Apropos Stadt/Land: Eine generelle Spaltung zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung sehen nur zwölf Prozent, die Städter mehr als die Landbewohner.
  • Sehr stark wahrgenommen wird dagegen die Spaltung zwischen politisch links und politisch rechts stehenden Menschen. Dabei fällt auf, dass sich eine 60 Prozent starke Mehrheit der Bevölkerung selbst weder der einen noch der anderen politischen Richtung zuordnen will. Auf Nachfrage bekennen sich 27 Prozent als politisch links orientiert – von den erklärten Wählerinnen und Wählern der SPÖ und der Grünen ordnet sich jeweils die Hälfte so ein. Umgekehrt sehen sich nur 13 Prozent im rechten politischen Spektrum, etwa jeder zweite Freiheitliche und jeder fünfte Wähler der ÖVP.
    Pfarrhofer spricht von einem vergifteten Begriff: "Der Orientierung ‚rechts‘ haftet ein negatives Image an – dass die ÖVP klassisch als Partei der rechten Mitte gesehen wurde, entspricht nicht mehr dem Bild ihrer Wähler.

Toxischer Begriff "rechts"

  • Dass "rechts" ein toxischer Begriff geworden ist, zeigt sich auch daran, dass das Gegensatzpaar Rechtsextremisten versus Rest der Bevölkerung mit 51 Prozent als ähnlich spaltend wie das vorher erwähnte Paar links bzw. rechts stehender Menschen eingeschätzt wird.
  • Eine Spaltung zwischen Linksextremisten und dem Rest der Bevölkerung sehen dagegen nur 28 Prozent.
  • Migrationshintergrund gilt 45 Prozent als etwas, was die Bevölkerung spaltet – jene, die selber Migrationshintergrund haben, und ältere Befragte spüren das stärker.
  •  41 Prozent der Befragten sehen eine Spaltung zwischen den Anhängern der Regierungsparteien und den Gegnern der Regierungsparteien. Diese Polarisierung lässt sich allerdings nicht mit der bekundeten Einstellung zur Regierung erklären, vielmehr wird sie vor allem von erklärten Wählern der MFG, der FPÖ und der ÖVP überdurchschnittlich stark, von Anhängern der Neos, der SPÖ und der Grünen etwas schwächer erlebt.
  •  Auch der Klimawandel hat für 38 Prozent Spaltungspotenzial – unter den (wenigen) Befragten, die den Klimawandel nach eigenem Bekunden weniger ernst nehmen, wird der Bruch verstärkt wahrgenommen.
  •  Jeder Vierte sieht eine Spaltung zwischen Menschen mit hohem Einkommen und jenen, die das nicht haben. Eine Spaltung zwischen Menschen mit Ersparnissen oder Finanzvermögen und jenen, die das nicht haben, nehmen nur 17 Prozent wahr, eine zwischen Menschen mit Eigenheim oder Wohneigentum und Mietern gar nur vier Prozent.
  • Immerhin 21 Prozent sehen die Gesellschaft in Raucher und Nichtraucher gespalten. (Conrad Seidl, 27.12.2021)