Es gibt immer zu tun: Helmut und Johanna Kandl verbringen die Hälfte ihrer Zeit im Atelier, die andere Hälfte ihrer Zeit widmen sie Büchern und Forschungen.

Foto: Lehner

Wie die Welt aussieht, hängt davon ab, was ich habe, um sie zu gestalten", sagt Johanna Kandl und berührt beinahe den roten Lack auf ihrem eigenen Bild, "beißt ja nicht". Dieses eiserne Rot hat die Welt sehr oft gesehen. Als Rostschutz wurde es unzählige Male auf Metall gepinselt. Auf Kandls Farbhandlung hinterlässt es Tropfspuren und Ränder – wie auch ein sattes Grün, das man von tausenden Tür- und Fensterrahmen kennt. Das Geschäft in der Bildmitte gehörte den Eltern der Künstlerin in Wien-Floridsdorf.

Der Titel Farbhandlung ist wohl ein Wink in Richtung Action-Painting, der ersten internationalen Avantgarde-Kunstströmung aus den USA. Wenn sich das Große im Kleinen spiegelt; wenn sich das Leben mit materieller und immaterieller Geschichte verzahnt – ihr eigenes und vor allem jenes anderer: So arbeitet Johanna Kandl, 1954 in Wien geboren, vielleicht am liebsten.

Boulevardblatt und "Sexskandal"

1980 studiert sie in Belgrad, weil niemand sonst dorthin will. Ihre Faszination für Ost- und Südosteuropa schlägt somit erste Wurzeln. Drei Jahre später landet die Malerin auf der Titelseite eines Schweizer Boulevardblatts, das einen Sexskandal rund um eine zahme Märchenillustration ortet. Und Mitte der 1990er-Jahre zeigt das deutsche Nachrichtenmagazin Spiegel Johanna Kandl auf einem Foto nackt neben einer Konzeptarbeit im Waldviertler Wald. Ihren Mann Helmut kennt sie damals bereits. Auch er hatte beruflich mit Jugoslawien zu tun, 1991 wird Helmut Kandl erster Geschäftsführer der Kunsthalle Krems.

Heute sind beide im deutschen Kunstsprachraum eine große Nummer, Arbeiten entstehen immer öfters gemeinsam. Man reist, recherchiert, man fotografiert und filmt. Beim Interview in der Landesgalerie in Krems werfen sich beide die Stichworte nur so zu. "Das ist eigentlich Helmuts Idee", sagt Johanna Kandl einmal über ein zentrales Gestaltungselemente ihrer Malerei, über die Maschinenschrift, die ihre Figuren oft mit Slogans konterkariert. "Competing Globally" steht auf einem Bild, "Work hard, dream big" auf einem anderen oder einfach "Laboratoire".

Ihr Mann hat schon mit Schlagzeilen experimentiert, um mit tausenden Schwarz-Weiß-Fotos, die er in einem anonymen Archiv gefunden hatte, neue Geschichten zu erzählen. Johanna Kandl perfektioniert die Technik. Nicht selten diskutiert das Paar über den Text für ein neues Bild weit länger, als das Malen dauert.

Baustelle nahe Moskau

Dutzende Varianten können sich dann auf Transparentpapier stapeln, bis schließlich eine umgesetzt wird oder besser, umgesetzt werden muss. Die Motive ihrer Malereien fotografiert Johanna Kandl zumeist auf Reisen zu Ockerminen, zum steirischen Erzberg, zu den Marmorsteinbrüchen auf Milos oder auf einer Baustelle nahe Moskau. "Es geht schon um Erinnerung und Präsenz", sagt Johanna Kandl über ihren Stil. Die Hälfte ihrer Zeit verbringen beide im Atelier, die andere Hälfte mit Büchern und Forschungen.

Oft stoßen die Kandls auf blinde Flecken oder Schwarze Löcher. Denn sie stellen Fragen, die ihnen manchmal niemand beantworten kann, da sie Wissen berühren, das oft komplex und hermetisch ist. Bis heute haben sie etwa keine Antwort darauf, woher das sogenannte Kremser Weiß seinen Namen hat oder wie die grünen Aufschläge der Steireranzüge gefärbt wurden. Denn dafür brauchte man eigentlich Blau, das jahrhundertelang äußerst kostbar war. 1706 gelang es erstmals, Berliner Blau synthetisch herzustellen. Preußen wurde damit angeblich so reich, dass es eine Armee und eine chemische Industrie aufbauen konnte.

Dafür leben sie

Mit solchen unsichtbaren Warenströmen und Geschichten beschäftigen sich die Kandls, dafür leben, dafür arbeiten sie. Womit gemalt wird und warum hieß im Herbst 2019 eine Ausstellung im unteren Belvedere, die beide nun für das Kunsthaus Graz weiterentwickelt haben. "Edle Einfalt, stille Größe, so ein Blödsinn", sagt Johanna Kandl über die antiken Griechen. Man sei einfach auf irrsinnig viel Mineralien gesessen. Wenn das Künstlerpaar die Bedingungen hinterfragt, unter denen wir uns die Welt einrichten, landet es nicht selten beim Bergbau. In Eisenerz haben sie etwa das größte unabhängige Metal-Label der Welt – Napalm Records – besucht und eigene T-Shirts entwerfen lassen.

Orte in Ex-Jugoslawien

Johanna und Helmut Kandl produzieren im besten Sinn rhizomatisches Wissen, das sich organisch verzweigt. Dabei haben sie keine Angst, verstanden zu werden oder – huch! – schöne Bilder zu produzieren. In der Landesgalerie in Krems kamen sie deshalb schnell mit dem Aufsichtspersonal ins Gespräch, das einzelne Orte in Ex-Jugoslawien auf Fotos erkannte. Unbedingt wolle man sie einbinden, auch wenn das durch Subunternehmerverträge nicht einfach sei. Die Verzahnung von Leben und Geschichte, sie ist real. (Stefan Niederwieser, 27.12.2021)