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Im Juni 2009, am 20. Jahrestag des Tian’anmen-Massakers, wurde die Säule der Schande noch mit Blumen geschmückt.

Foto: Reuters / Bobby Yip

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Vorige Woche wurde sie abgebaut.

Foto: Reuters / Tyrone Siu

Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft; wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit", heißt es in George Orwells berühmtem Roman 1984. Die Kommunistische Partei Chinas hat sich dieses Motto schon lange zu eigen gemacht. Auf dem Festland hat das Regime jede Erinnerung an die Studentenproteste vom 4. Juni 1989 mittlerweile getilgt. Sogar Anspielungen auf das damalige Massaker wie etwa die Zahlenkombination des Datums, also "46", werden im chinesischen Internet zensiert.

Nun geht die Kommunistische Partei auch gegen Denkmäler in der Sonderverwaltungszone Hongkong vor. Noch vor Weihnachten wurde die sogenannte "Säule der Schande" an der Universität Hongkong abgebaut. An der Chinesischen Universität verschwand kurz darauf, am 24. Dezember, die Statue der Göttin der Demokratie.

Die Universitätsleitung gab als Begründung "Sicherheitsrisiken" an. Wer genau die Anordnung gegeben hatte, ob Behörden vom Festland oder direkt aus Hongkong, ist unklar. Einige wenige Studenten protestierten, indem sie Zettel verteilten, auf denen stand: "Wo ist sie?" Und: "Hast du sie gesehen?" Im Jahr 2010 hatten die Studenten die 6,5 Meter hohe Bronzeskulptur des Künstlers Chen Weiming dort aufgestellt, um an die tausenden Opfer des Tian’anmen-Massakers zu erinnern.

Unerwünschter "Tank Man"

Der Künstler, der sich gerade in den USA aufhält, bedauerte das Vorgehen: "Indem die Kommunisten das Nationale Sicherheitsgesetz verhängt haben, haben sie Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit ausgelöscht", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. "Sie wollen die wahre Geschichte der brutalen Niederschlagung tilgen und andere Perspektiven in Hongkong auslöschen." Chen denke über rechtliche Schritte nach. Diese allerdings dürften nur geringe Erfolgsaussichten haben.

An der Lingnan-Universität verschwand zudem das Relief des sogenannten "Tank Man". Das Kunstwerk beruht auf einer mittlerweile ikonischen Aufnahme vom 5. Juni 1989: Ein unbekannter Mann weigerte sich, einer Panzerkolonne auszuweichen.

Dieses Jahr war auch zum ersten Mal die Mahnwache zum Andenken an die Opfer der Proteste von 1989 verboten worden. Damals waren hunderttausende Studentinnen und Studenten in die Hauptstadt Peking gezogen, um für mehr Demokratie und Menschenrechte zu demonstrieren. Nachdem die Partei sie zunächst einige Tage lang hatte gewähren lassen, fällte der damalige KP-Chef Deng Xiaoping die Entscheidung, die Armee gegen die Demonstranten einzusetzen. Die genaue Zahl der Toten ist nicht bekannt. Laut Schätzungen des Roten Kreuzes kamen dabei aber mindestens 2600 Menschen ums Leben, 7000 wurden verletzt.

Schlüsseljahr 1997

Die chinesische Demokratiebewegung war nach dem 4. Juni 1989 zerschlagen. Zahlreiche Aktivistinnen und Aktivisten flohen ins Ausland oder nach Hongkong, das damals noch unter britischer Verwaltung stand. Die Kronkolonie wurde allerdings 1997 an Peking zurückgegeben, die KP verpflichtete sich unter dem Slogan "Ein Land, zwei Systeme", die Autonomie der Sonderverwaltungszone 50 Jahre lange nicht anzutasten.

Die Hochschulen und Universitäten in Hongkong waren stets ein Zentrum der Erinnerungskultur. Ab 2014 kam es in Hongkong dann immer wieder zu Studentenprotesten, die teils gewaltsam niedergeschlagen wurden.

Im Sommer 2020 beschloss Peking dann das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz, mit dem die Autonomie der Metropole faktisch beendet wurde. Aufgrund dessen und der Pandemiemaßnahmen ist die Hongkonger Protestbewegung inzwischen zerschlagen. Ihre Protagonisten sitzen entweder im Gefängnis oder wurden ins Exil gezwungen.

Die Volksrepublik hatte nach dem Tian’anmen-Massaker zwar den Weg der Öffnung fortgesetzt, dies aber rein auf die Wirtschaft des Landes beschränkt. Die Zensur sowie ein rigoroses Vorgehen gegen Kritiker haben vor allem in den vergangenen Jahren wieder stark zugenommen. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 27.12.2021)