Die Totenmaske des Pharao Amenophis I. wurde seit ihrer Wiederentdeckung 1881 nie abgenommen. Mittels digitaler Scanmethoden warf ein Forschungsteam trotzdem einen Blick darunter.
Bild: S. Saleem, Z. Hawass

Folgt man populären literarischen Erzählungen, so sollte die Menschheit von ägyptischen Mumien möglichst die Finger lassen. Wer die jahrtausendelang verschlossene Grabkammer betritt, Schätze entwendet oder direkt an die sterblichen Überreste Hand anlegt, muss mit einem grausamen Fluch rechnen, der womöglich nicht nur die Störenfriede, sondern auch deren Verwandtschaft heimsucht.

Berühmt wurde diese Legende durch die Berichterstattung rund um die Entdeckung des Grabs des Tutanchamun 1922. Dabei entstanden und verbreiteten sich diverse Unwahrheiten, die noch bis vor wenigen Jahren in Studien widerlegt wurden.

Seit damals ist viel Wasser den Nil hinabgeflossen. Royale Leichen, die im 19. und 20. Jahrhundert gefunden wurden, holte man immer wieder aus ihren lang haltenden Verpackungen, um sie zu untersuchen, in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt durch Computertomografien (CTs). Zumindest Letzteres geschah nun auch mit der Mumie des Pharao Amenophis I. aus dem Ägyptischen Museum von Kairo – der einzigen königlichen Mumie, die in der Neuzeit bisher noch nicht ausgewickelt wurde, wie das Forschungsteam im Fachmagazin "Frontiers in Medicine" berichtet.

Restauration und Ehrfurcht

Vor etwa 3.500 Jahren wurde der Herrscher mumifiziert und bestattet, und etwa vier Jahrhunderte danach öffnete man die Mumie schon einmal. Damals wurden königliche Mumien aus vorangegangenen Dynastien restauriert und erneut bestattet, denn Grabräuber hatten Schäden angerichtet.

CT-Aufnahme des von Bandagen umhüllten Schädels unter der Maske. Ägyptische Mumien sind – wie hier – üblicherweise von Kartonagen umgeben, die aus einem Materialienmix (zum Beispiel Leinen, Papyrus, Gips) bestehen.
Bild: S. Saleem, Z. Hawass

Dass sich seitdem aber offenbar niemand an diese Mumie herantraute, die im Jahr 1881 mit weiteren umgebetteten königlichen Mumien entdeckt wurde, liege nicht an der Angst vor etwaigen Flüchen, so das Forschungsteam. Vielmehr sei es der gute Erhaltungszustand und die komplizierte Bandagierung der Mumie, die für ehrfurchtsvolle Zurückhaltung sorgten. Dekoriert ist der bestattete Herrscher mit lebensnah gestalteter Gesichtsmaske, Schmuck aus bunten Steinen und Blumengirlanden. Durch die dreidimensionalen CT-Scans, die das Team durchführte, konnte aber das eine oder andere Geheimnis gelüftet und bisherige Annahmen umgeworfen werden.

Digitale Ent-Wicklung

Amenophis I., der auch als Amenhotep I. bezeichnet wird, regierte von 1525 bis 1504 v. Chr. Sein Vater Ahmose I. hatte die 18. ägyptische Dynastie begründet, und auch seine eigene Amtszeit fiel in eine Blütezeit des alten Ägyptens, sodass er sich mehrere neue Tempelbauten leistete. Bald verstarb seine Ehefrau, die gleichzeitig eine seiner Schwestern war, und seine Mutter Ahmose-Nefertari wurde erneut zur Königsgemahlin. Die Angaben über weibliche Nachkommen sind nicht eindeutig, fest steht aber, dass Amenophis keinen Sohn hatte und daher mit seinem Ableben und dem Ende seiner Regentschaft nach 20 Jahren ein Dynastiewechsel einherging.

Der Tod ereilte den Pharao mit etwa 35 Jahren, wie die neuen Analysen feststellten. Soweit erkennbar, war Amenophis generell noch bei guter Gesundheit. Entgegen der Röntgenuntersuchungen aus dem Jahr 1966 hatte der Herrscher jedoch keine hünenhafte Körperhöhe von 1,80 Metern: "Er war ungefähr 169 Zentimeter groß, beschnitten und hatte gute Zähne", fasst die Radiologin Sahar Saleem von der Medizinischen Fakultät der Universität Kairo zusammen.

Väterliche Ähnlichkeiten

Weshalb der Herrscher verstarb, bleibt ungeklärt – Wunden oder Anzeichen für Krankheiten wurden nicht entdeckt, nur etliche Verstümmelungen, die wohl Grabräuber der Leiche post mortem nach ihrer ersten Bestattung zufügten. Bei der Balsamierung hatte man seine Eingeweide entfernt, nicht aber Gehirn und Herz.

Der Scan verrät: Der Pharao hatte gute Zähne, wenngleich die obere Reihe etwas vorstand.
Bild: S. Saleem, Z. Hawass

Die Wissenschafterin erkennt gewisse körperliche Parallelen zu seinem Vater und Vorgänger: "Amenhotep I. scheint seinem Vater optisch geähnelt zu haben: Er hatte ein schmales Kinn, eine klein schmale Nase, lockiges Haar und leicht vorstehende Zähne im Oberkiefer."

Kein Recycling

Der Ägyptologe und Co-Autor der Studie, Zahi Hawass, hatte bisher angenommen, dass Restauratoren aus dem 11. Jahrhundert v. Chr. die alten Grabausstattungen für die Begräbnisse späterer Herrscher "recyceln" wollten. Nun widerlegen er und seine Kollegin diese Annahme selbst: Zumindest bei diesem Pharaonen reparierten die Priester "die von Grabräubern zugefügten Verletzungen liebevoll, stellten seine Mumie in ihrer früheren Pracht wieder her und bewahrten die großartigen Schmuckstücke und Amulette an Ort und Stelle", sagt Saleem.

In den Bandagen befinden sich 30 Amulette und ein einzigartiger goldener Gürtel mit Goldperlen, wie die Fachleute feststellten. Amenophis I. und seine Mutter wurden nach dem Tod wie Götter verehrt – und dieser Respekt war dem Pharao wohl noch Jahrhunderte später bei der Restauration seiner Überreste gewiss. (Julia Sica, 28.12.2021)