Der Vulkan der Insel Santorin sorgte in der Bronzezeit für ein schicksalhaftes Ereignis.
Foto: Thanos Rivios/ANE Edition/imago images

Zu den größten Katastrophen der Bronzezeit gehört der Ausbruch des Vulkans von Santorin (oder Santorini). Das Ereignis spielte sich vor ungefähr 3600 Jahren ab: Bei der sogenannten Minoischen Eruption wurden immense Mengen vulkanischen Materials ausgeworfen. Die Auswirkungen waren verheerend und betrafen den gesamten östlichen Mittelmeerraum.

Ein Forschungsteam zeichnet nun ein genaueres Bild dieses Unglücks. Dafür arbeiteten unter anderem Fachleute der Universität Ankara (Türkei), der Universität Haifa (Israel) und der Technischen Universität (TU) Wien zusammen. Im heute türkischen Küstenort Çeşme – nahe der griechischen Insel Chios, die seit 3000 vor Christus bewohnt ist – befindet sich die Grabungsstätte, an der das Forschungsteam Ascheschichten und Geröll sammelte. Sie liegt 227 Kilometer von Santorin entfernt.

Chaotische Ablagerungen

Der Schwerpunkt des Wiener Teils des Teams war, die Proben mit seiner Datenbank zur chemischen Zusammensetzung vulkanischen Materials aus der Ägäis zu vergleichen. Das Ergebnis: Sie ließen sich dem Ausbruch von Santorin zuordnen. Während frühere Studien Unsicherheiten in Bezug auf die Datierung aufbrachten, zeigte die aktuelle Analyse in der Fachzeitschrift "PNAS", dass die Katastrophe nicht früher als 1612 v. Chr. stattfand.

Mehr als 200 Kilometer nordöstlich von Santorin befindet sich Çeşme. Hier stieß ein Forschungsteam auf die Überreste eines Mannes, der durch eine Flutwelle infolge des Vulkanausbruchs getötet wurde.

Im Laufe der Ausgrabungen wurde deutlich, "dass man es hier mit einer relativ komplexen Abfolge von Aschelagen und Mischhorizonten zu tun hat", sagt Johannes Sterba vom TRIGA Center am Atominstitut der TU Wien. Chaotische Ablagerungen erwiesen sich als Folgen der Tsunamis. Und dann stieß man auch auf die Überreste eines jungen Mannes und eines Hundes – die ersten Opfer, die Forschende dem damaligen Vulkanausbruch und seinen Konsequenzen zuordnen konnten.

Mögliche Flucht

Wieso finden sich auf der Insel Santorin selbst keine Opfer? Immerhin gab es die bronzezeitliche Siedlung Akrotiri, die von einer Ascheschicht bedeckt wurde – vergleichbar mit der römischen Stadt Pompeji. Die Vermutung der Experten: Durch mehrere Eruptionsphasen konnten die Menschen rechtzeitig fliehen.

Die Siedlung Akrotiri auf Santorin wurde durch den Vulkanausbruch zerstört. Verstorbene findet man hier aber keine – wahrscheinlich war ihnen eine Flucht möglich.
Foto: AFP/Latsis Foundation

"Das Opfer, das wir jetzt gefunden haben, dürfte wirklich der primäre Tsunami erwischt haben", sagt Sterba. Die Flutwelle zerstörte Steinmauern und machte Gebäude instabil. Auch jenes Haus brach zusammen, in dem sich der "Çeşme-Mann" befand. Danach setzte sich etwas vulkanisches Material ab, aber schon wenige Stunden darauf traf eine zweite riesige Welle den damals direkt an der Küstenlinie gelegenen Ort. Dann setzte sich Vulkanasche ab. Mittlerweile brannten auch zahlreiche Feuer, brennendes Material schwamm sogar im Meer. Einen Teil dieses Materials brachte ein kleinerer dritter Tsunami mit Meeressedimenten an Land.

Versuchte Rettung

"Dann dürfte ein paar Tage Ruhe gewesen sein, und die Leute haben angefangen, nach Vermissten zu suchen", sagt Sterba. Besonders dramatisch und anschaulich ist, dass das archäologische Team sogar Versuche der Bevölkerung nachwies, den jungen Mann in den Trümmern zu finden: "Da gibt es wirklich Gruben, an denen man sieht, dass relativ wild hinuntergegraben wurde. Das Opfer war aber einen Meter tiefer verschüttet." So blieb es begraben.

Der verschüttete Mann von Çeşme.
Foto: Vasıf Şahoğlu, Universität Ankara

Die beginnenden Wiederaufbauarbeiten wurden in der Folge sogar noch von einer vierten Welle mit ähnlicher Größe wie der ersten zunichtegemacht. Dies passe also stimmig ins Bild, dass die gewaltige Eruption tatsächlich in Etappen erfolgte, mehrere Riesenwellen durch die Region jagten und immer wieder Opfer forderten.

Wiedergeburt aus der Asche

Solch präzise Folgerungen archäologischer und geologischer Spuren waren bisher nicht möglich und sind es auch jetzt erst durch das Zusammenbringen diverser Fachrichtungen und Methoden. Und während Ascheschichten oft abgetragen wurden, wenn ein Ort wieder aufgebaut wurde, bleibt der massive Schutt, den eine Flutwelle zurücklässt, meist am Ort des Geschehens und wird einfach überbaut. Im Zusammenhang mit dem Vulkanausbruch von Santorin suchte man bisher aber nur dort nach Tsunamispuren, wo auch Asche lag. Das bedeutet, dass in Zukunft noch weitere der nur spärlich dokumentierten Hinweise auf Tsunamis finden lassen könnten.

Während die Ortsansässigen von Santorin wohl großteils flüchten konnten, war dies dem "Çeşme-Mann" und vielen anderen Menschen nicht möglich. Die Katastrophe hatte langfristige Auswirkungen auf die Region, wie das Forschungsteam schreibt. Allerdings zeige die bald darauf folgende Epoche der Antike, wie sich aus der Asche auch "eine der größten Wiedergeburten der Menschheitsgeschichte" ereignete. (red, APA, 28.12.2021)