Stahlbeton unterliegt im Laufe der Zeit Verformungen. Gerade bei Brücken oder anderen Bauwerken kann das fatale Folgen haben. Im Bild: die stählerne Ben Franklin Bridge in Philadelphia.

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Ältere Semester erinnern sich vielleicht noch an den Einsturz der Wiener Reichsbrücke im Jahr 1976. Eine vergleichsweise frische Erinnerung dürfte hingegen der Einsturz des Polcevera-Viadukts in Genua im Sommer 2019 hervorrufen. Solche Unglücksfälle passieren heute nur noch sehr selten. Das liegt nicht nur an immer besseren Bautechniken, sondern auch daran, dass Brücken und andere sogenannte Ingenieurbauwerke regelmäßig auf eine intakte Struktur geprüft werden müssen.

Kriechen und Schwinden

Das betrifft unter anderem Stahlbeton, der ein viskoses Material ist. Aus diesem Grund unterliegt er im Lauf der Zeit Verformungen, die in der Fachsprache als Kriechen und Schwinden bekannt sind. Übersteigen diese Verformungen ein kritisches Maß, kann es zu Rissen und in der Folge zu Materialversagen kommen.

Um Verformungen zu messen, werden oft Dehnungsmessstreifen verwendet, die an der Betonoberfläche angebracht werden. Auch die visuelle Überwachung mittels Kameras ist eine gebräuchliche Methode. "Das Problem bei Messungen an der Oberfläche ist, dass man die Vorgänge im Inneren des Betons mit komplexen Modellen extrapolieren muss", erklärt Pascal Nicolay, Stiftungsprofessor für Smart Materials/Industrie 4.0 an der Fachhochschule Kärnten. "Man erkennt dabei nie so gut, was im Inneren passiert, wie bei direkten Messungen."

Überwachung per Funk

Im vierjährigen Forschungsprojekt "Future Sensor Techniques for in-situ Structural Health Monitoring of Concrete Structur" (i-MON) will Nicolay die Idee umsetzen, Sensoren ins Innere von Beton einzugießen und so direkte Messungen zu ermöglichen. Parameter wie Temperatur, Zug und Dehnung könnten dann per Funk von außen mit einem Lesegerät erfasst und dokumentiert werden. Das Projekt hat ein Budget von 1,2 Millionen Euro und wird von der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG gefördert.

Bei den eingesetzten Sensoren handelt es sich um akustische Oberflächenwellen-Sensoren. Das sind Bauteile, die keine elektronischen Komponenten enthalten. Dadurch sind sie sehr robust und langlebig. Ihr Funktionsprinzip ist simpel: Für die Messung wird ein Funksignal zum Sensor gesendet. Dessen Antenne wandelt das Signal in eine Schallwelle um, die sich dann um die Oberfläche des Sensors herumbewegt und dabei mehrfach reflektiert wird. Schließlich gelangt die Schallwelle zurück zur Antenne, wird wieder in ein Funksignal umgewandelt und zur Empfangseinheit (Reader) zurückgeschickt.

Relevantes Echo

Abhängig von der Temperatur und den Druck- und Zugverhältnissen im Beton ändert sich das Reflexionsverhalten der Oberflächenwellen auf charakteristische Weise, sodass diese geringfügig zeitversetzt zur Antenne und damit auch zum Reader gelangen. Diese zeitliche Abweichung (das sogenannte Echo) ist der messtechnisch relevante Wert. "Die Information, die wir brauchen, ist im Echo", erklärt Nicolay. Die Reichweite des Sensors beträgt bis zu einem Meter. Die Messung von Temperatur und das Auslesen seiner Identifikationsnummer funktionieren bereits problemlos. An der zuverlässigen Erfassung der Verformung wird hingegen noch getüftelt. "Wir arbeiten an einer geeigneten Schnittstelle", sagt Nicolay.

Führt man die Messungen in regelmäßigen Abständen durch, erhält man einen Datensatz darüber, wie sich der Beton in unmittelbarer Umgebung des Sensors im Lauf der Zeit verformt. Dadurch erhalten die Eigentümer von Bauwerken wie beispielsweise Brücken, Tunneln oder Kraftwerken die nötigen Informationen, um allfällige Wartungsarbeiten rechtzeitig durchzuführen.

Drohne statt Techniker

Noch ist nicht klar, ob die fertige Lösung einen Reader für viele Sensoren vorsehen wird – oder ob es für jeden Sensor genau einen Reader geben wird. Gegen letztere Variante sprechen die hohen Kosten von mehr als 3000 Euro pro Reader. Ein Teil des Forschungsprojekts ist daher auch der Entwicklung eines kostengünstigen Readers gewidmet, der weniger als 400 Euro kosten soll. Setzt man hingegen nur einen einzigen Reader ein, ist zu klären, wie das Auslesen der Sensoren erfolgen soll. Denkbar wäre, dass ein Techniker zu jedem Sensor geht und die Daten manuell erfasst. Eine andere Idee sieht vor, diese Aufgabe mittels einer Drohne zu erledigen.

Ein grundsätzliches Problem bei der Datenübertragung per Funk ist die Abschirmung durch Metall. Die Bewehrungsstäbe im Inneren von Stahlbeton fungieren wie ein Faraday’scher Käfig. Ein dazwischen installierter Sensor würde keine Energie von außen empfangen und könnte somit auch nicht senden.

Weiteres Puzzlestück

Hierfür ist bereits eine Lösung angedacht: Die Antenne soll getrennt vom Sensor knapp unter der Betonoberfläche angebracht und mittels eines Kabels mit diesem verbunden werden. Durch diesen Aufbau kann der Sensor Verformungsdaten aus dem Bereich innerhalb der Bewehrung liefern, ohne dass die Signalübertragung gestört würde. Es ist ein weiteres kleines Puzzlestück dafür, Brücken, Tunnel und andere Bauwerke künftig besser überwachen zu können. (Raimund Lang, 11.1.2021)