Geht es um den Reformbedarf am heimischen Arbeitsmarkt, gehört sie zur Debatte wie das Amen im Gebet: die Teilzeitarbeit. Vor allem seit Unternehmen wieder vermehrt über die schwierige Suche nach Arbeitskräften klagen, wird in diese dichtbesiedelte Ecke geleuchtet. Denn in Österreich ist sie weiter verbreitet als in den meisten Industrieländern – und das vor allem bei den weiblichen Erwerbstätigen: 47,3 Prozent der Frauen arbeiteten im Jahresdurchschnitt 2020 Teilzeit – der Anteil der erwerbstätigen Männer lag bei 10,7 Prozent.

Auch in absoluten Zahlen ist der Unterschied eklatant: 955.600 Frauen standen im Vorjahr 244.600 teilzeitbeschäftigten Männern gegenüber. Auch heuer hat sich im Verhältnis wenig geändert.

Teilzeit ist weiblich. Manche entscheiden sich freiwillig dafür, andere weil es nicht anders geht.
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Arbeitsminister Martin Kocher (auf ÖVP-Ticket) hat die Sachlage schon länger auf dem Schirm. Mit einer Aussage in einem STANDARD-Interview trat er in den sozialen Medien einen Sturm der Entrüstung los: "Wenn alle Frauen, die Teilzeit beschäftigt sind, nur ein paar Stunden mehr arbeiten würden, hätten wir kein Arbeitskräfteproblem mehr", sagte Kocher da. "Wer hat denn eine adäquate Kinderbetreuung mit Rechtsanspruch verhindert? Die ÖVP!", war da noch eine der freundlicheren Reaktionen. "Können Sie mir erklären, warum ich als Frau, die trotz gleicher Qualifikation deutlich weniger verdient als männliche Kollegen, noch mehr Stunden für weniger Geld arbeiten sollte?", fragt eine Diskussionsteilnehmerin empört.

Viel Potenzial im Inland

Kocher versuchte die Debatte einzufangen: Er habe darauf abgezielt, "dass es viel Potenzial im Inland gibt: bei Älteren, bei Frauen, die Teilzeit arbeiten, und bei Menschen in Arbeitslosigkeit. Besänftigt hat er seine Kritiker und Kritikerinnen damit überwiegend nicht.

Tatsächlich sind die Gründe, warum vor allem Frauen keinem Vollzeitjob nachgehen, vielfältig, wie sich in vielen Umfragen zeigt. Sie reichen vom unzureichenden Angebot an Vollzeitstellen in manchen Branchen über fehlende steuerliche Anreize dafür, umzusteigen, bis zu mangelnden Kinderbetreuungseinrichtungen, Gehaltsunterschieden zwischen Männern und Frauen bis zum Wunsch nach mehr Work-Life-Balance – auch bei Kinderlosen.

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Einen weiteren wichtigen Grund sieht die Ökonomin Christine Mayrhuber vom Forschungsinstitut Wifo in dem Umstand, "dass sich das Beschäftigungsvolumen träge entwickelt" – also die Summe an geleisteten Arbeitsstunden im Gegensatz zur Dynamik bei den Beschäftigten kaum wächst. Viele Frauen hätten nicht die Wahl, sich für Vollzeit zu entscheiden: "Der individuelle Spielraum ist klein."

Mayrhuber fragt sich vielmehr, warum in den vergangenen Jahren nicht mehr passiert ist, um der sich abzeichnenden Verknappung am Arbeitsmarkt entgegenzuwirken. Die Arbeitslosigkeit ganz generell und die Langzeitarbeitslosigkeit seien seit Jahren hoch. Vor allem bei älteren Frauen. Es gäbe also Arbeitskräftepotenzial, das nicht sofort, aber mit ein bisschen mehr Einschulung zu Verfügung stünde. Stellt sich noch die Frage, ob das der Staat zahlen soll. Mayrhuber würde die Unternehmen zumindest teilweise in die Pflicht nehmen.

Vier Gründe, warum Frauen in Teilzeit arbeiten

INFRASTRUKTUR – Mütter müssen ihre Karriere zurückstecken: Der mit Abstand wichtigste Grund für die hohe Teilzeitquote von Frauen sind Betreuungspflichten in Kombination mit fehlender, zeitlich oder qualitativ nicht hinreichender Infrastruktur zur Unterstützung – vom Kindergarten bis zur Nachmittagsbetreuung schulpflichtiger Kinder. Aber auch die sogenannte Care-Arbeit, also die Pflege Angehöriger, wird zunehmend Teilzeitmotiv. Besonders bei Frauen zwischen 30 und 44 Jahren hält dies laut Statistik Austria von einem Vollzeitjob ab. Demnach arbeitet die Mehrzahl der Frauen ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes in Teilzeit. Im Gegensatz dazu wird die Form der Erwerbstätigkeit von Männern kaum vom Alter ihrer Kinder beeinflusst – sie wählen Teilzeit aus "fehlendem Wunsch nach Vollzeittätigkeit" oder wegen beruflicher Fortbildung.
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EINKOMMENSKLUFT – eine schlechte alte Tradition: Der Mann verdient. Die Frau verdient dazu. (Und erledigt dafür das Gros der unbezahlten Arbeiten für die Familie). Diese traditionelle Rollenverteilung ist noch nicht verschwunden. Dazu kommt oft, dass Frauen als Familienerhalterinnen nur die zweite Wahl sind und ein Rollentausch finanziell nicht klappt, weil der sogenannte Gender-Pay-Gap einen Strich durch die Familienrechnung macht. Frauen verdienen in Österreich in vergleichbaren Positionen laut Berechnungen des europäischen Statistikamts aktuell rund 14,3 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Das sind bereits bereinigte Daten – es werden also nicht Vollzeit- und Teilzeitjobs verglichen. Mit "harten" Fakten lässt sich diese Kluft nicht erklären, allerdings mit "weichen": Frauen verlangen seltener Gehaltserhöhungen, werden noch immer niedriger eingestuft und sind seltener in einkommensstarken "männlichen" Branchen.
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JOBANGEBOT – Es gibt die passende Vollzeit oft nicht mehr: Vor allem mit regionalen Schwerpunkten fehlen auch Vollzeitjobangebote, die zur Ausbildung von Frauen passen. Auch das ist mit ein Grund, warum Österreich in den vergangenen zwei Dekaden zum Teilzeitjobwunderland für Frauen geworden ist. Ein Blick auf die Handelsbranche, in der sieben von zehn Beschäftigten Frauen sind, zeigt, dass mittlerweile auch das Angebot diese Entwicklung spiegelt: Es werden überwiegend Teilzeitjobs ausgeschrieben, Vollzeit ist selten geworden. Damit liegt das Bruttoeinkommen oft unterhalb von eintausend Euro monatlich, was auch auf Steuereinnahmen und auf die künftige individuelle Pension wirkt. Nicht überraschend, dass Arbeitsminister Martin Kocher eine Reihe von Gründen hat, um die Teilzeitarbeit von Frauen – sinngemäß – ein paar Stunden zu verlängern.
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LEBENSWUNSCH – Wer kann, kann wählen – und tut es auch: Der Job ist nicht das Leben. So oder so ähnlich lautet das Motiv, wenn (auch) Frauen aus eigenen Stücken beschließen, nur mehr eine reduzierte Stundenanzahl in ihr Arbeitsleben zu investieren. Mit dem Wertewandel der jungen Generationen, die nicht mehr die gesamte Existenz und Selbstdefinition der Erwerbsarbeit unterordnen, mehren sich jene Menschen, die nicht mehr voll arbeiten wollen. Das wird gerade zum Trend. Einige können es sich leisten. Einige nehmen bewusst ein paar Einschränkungen im finanziellen Spielraum in Kauf, um neben der fixen Erwerbsarbeit andere Dinge tun zu können – von der eigenen kleinen Firma bis zur leidenschaftlichen Freizeitbeschäftigung.
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(Regina Bruckner, Karin Bauer, 29.12.2021)