Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Gespräch mit der APA.

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Wien – Für Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sind die jüngst bekannt gewordenen Chats von Thomas Schmid über einen mutmaßlich illegalen Steuernachlass für MAN-Investor Siegfried Wolf "völlig inakzeptabel". Gleichzeitig bezeichnete er es im Interview mit der APA als "befremdlich", dass die Nachrichten den Weg an die Öffentlichkeit fanden. Allzu viel Aufklärung durch den U-Ausschuss erwartet Nehammer nicht: Jeder der Abgeordneten habe eine politische Agenda. Die Opposition widerspricht.

Korruption und parteipolitische Agenda

"Die ÖVP hat kein Korruptionsproblem", so Nehammer auf Nachfrage. "Diejenigen, die das der Volkspartei unterstellen, haben natürlich auch ein parteipolitisches Ziel dahinter." Nehammer verwies auf den neuen U-Ausschuss im Parlament, der sich mit den Vorgängen in der ÖVP beschäftigen wird. Es sei eine Institution des Parlaments, aber "alle, die da drinnen sitzen, sind parteipolitisch motiviert und haben eine parteipolitische Agenda".

Schuld oder Nichtschuld stelle ausschließlich das unabhängige und weisungsfreie Gericht fest, meinte Nehammer. Darauf angesprochen, dass die Korruptionsermittlungen dem Land mit ihm schon den dritten Bundeskanzler heuer gebracht haben, antwortete Nehammer: "Es gibt Ermittlungen, es gibt noch kein Gerichtsverfahren, und es gibt auch noch kein Gerichtsurteil. Das ist in Österreich sauber getrennt." Die politische Bewertung sei nicht zu verwechseln mit der Gerichtsbarkeit.

Nehammers Aussagen für FPÖ "Satire"

"Überall, wo Korruptionsverdacht drin ist, steht ÖVP drauf", konterte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in einer Aussendung. Dass Nehammer trotz der laufenden Ermittlungen gegen Ex-Parteichef Sebastian Kurz und die Bundespartei behaupte, dass die ÖVP kein Korruptionsproblem habe, "ist wahnwitzig und zeugt von Realitätsverlust". Nehammer setze die "bekannten Attacken auf die unabhängige Justiz und die so wichtige parlamentarische Kontrollarbeit eins zu eins fort". Unabhängig vom Strafrecht gebe es auch eine politisch-moralische Verantwortung – "und die wiegt, wie die grauslichen ÖVP-Chats zeigen, besonders schwer".

Christian Hafenecker, FPÖ-Fraktionsführer im U-Ausschuss, ortete in Nehammers Aussagen Satire – diese richteten sich "angesichts der am laufenden Band aufpoppenden schwarz-türkisen Affären und Skandale von selbst", befand er in einer Aussendung. Auch kritisierte Hafenecker Nehammers "ungebührlichen Angriff" auf den ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss: Es gehe hier "nur einer Fraktion um parteipolitische Interessen, nämlich der ÖVP, welche die Malversationen ihrer Parteikollegen unter der Decke halten will", meinte Hafenecker. "Alle anderen Abgeordneten eint das staatspolitische Interesse, die Republik von dem schon seit Jahrzehnten gewucherten ÖVP-Filz zu befreien."

Auch für Neos-Generalsekretär Douglas Hoyos hat "die ÖVP sehr wohl ein Korruptionsproblem. Und damit die Republik. Jahrzehntelang waren die beiden eng verwoben und nicht zuletzt waren im Selbstverständnis der ÖVP die Partei und der Staat in weiten Teilen das gleiche", meinte Hoyos in einer Stellungnahme gegenüber der APA. Auch die ÖVP selbst werde als Beschuldigte geführt, erinnerte er. Die Justiz müsse jetzt ohne Einflussnahme arbeiten können. "Es gilt konsequent aufzuklären, wie es zu einem derart korrupten türkisen System kommen konnte und, wie man solche Systeme in Zukunft verhindern kann. Dabei sind alle Parteien gefordert, das politische Hick-Hack einzustellen und im Untersuchungsausschuss, aber auch in der täglichen politischen Arbeit konstruktiv zusammenzuarbeiten", betonte Hoyos. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger attestierte der ÖVP via Twitter ebenfalls "sehr wohl ein Korruptionsproblem" – "mit dem Kopf im Sand kann man nicht in die Zukunft schauen", richtete sie Nehammer aus.

"Völlig inakzeptabel"

Die Chats des früheren Generalsekretärs im Finanzministerium, Thomas Schmid, bewertet Nehammer so: "Das eine ist, dass es natürlich verstört und die Wortwahl völlig inakzeptabel ist, die man da in den Chats liest." Ein laufendes Verfahren wolle er nicht kommentieren. Aber er erlaube sich den Zusatz, dass er sich schon Gedanken mache, "wie es sein kann, dass auch private Nachrichten" an die Öffentlichkeit gelangten.

Den Einwand, dass Chats zwischen Finanzressort-Mitarbeitern zu Wolfs Steuerakt wohl nicht privat seien, lässt Nehammer so nicht gelten. Er finde es "befremdlich, dass Unterlagen von ermittelnden Behörden, die ja nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind", nach außen gelangten. In einer guten Demokratie dürfe man das hinterfragen. Eine Lösung hat der Kanzler nicht parat: "Ich maße mir da die Expertise gar nicht an." Vielmehr sei hier Justizministerin Alma Zadić (Grüne) gefordert, die herausragende Juristinnen und Juristen an ihrer Seite habe.

Tatsächliche Inhalte

Zu Zadićs Hoffnung, dass die Justiz mit ihm ohne "parteipolitische Angriffe" arbeiten könne, meinte Nehammer, er habe in den vergangenen Wochen schon gezeigt, wie seine Tonalität sei. Einen Maulkorb für ÖVP-Mandatar Andreas Hanger, der auch öffentlich von "linken Zellen" in der Korruptionsstaatsanwaltschaft sprach, wird es aber nicht geben: Als Vertreter der Exekutive einem Vertreter der Legislative einen Maulkorb zu verpassen, sei Verfassungsbruch. "Daher mache ich das nicht."

Um das Bild der Volkspartei wieder zu verbessern, will der Kanzler tatsächliche Inhalte umsetzen – von der Steuerreform über die Pflegereform bis zur Bildungspolitik. "Es ist immer die Politik, die man tatsächlich macht, die den Menschen dann auch wieder das Vertrauen in die Politik zurückgibt."

Außerdem werde auf Ebene der Parlamentsklubs gerade intensiv am neuen Parteienfinanzierungsgesetz gearbeitet, das mehr Transparenz bringen soll. Dabei war die Koalition so säumig, dass Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker im Herbst vorpreschte und einen fertigen Gesetzesvorschlag vorlegte, der auch über das Regierungsprogramm hinausgeht. Er sei zuversichtlich, dass nun auf Klubebene eine "gute Regelung" herauskommen werde, die auch "für die Rechnungshofpräsidentin entsprechend sein wird". (APA, red, 29.12.2021)