Überholt, aber nötig

Franz Schuh

Nicht ohne Amüsement über meine Bitterkeit las ich einst, dass "Preise für Schriftsteller" überholt sind. Das ist wahr. Aber überholt ist in dieser schnellen Gegenwart alles, was auch nur einen Augenblick für sich und sein Bleiben beansprucht. Einst lief der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki durch diese Welt und rief: "Was bleibt, was bleibt?"

Ja, selbst die Preise für Schriftsteller sind überholt, leider sind sie nötig. Ich erinnere mich, dass der größte Lyriker, den ich in meinem Leben persönlich gekannt habe, nämlich Ernst Jandl, vorgetragen hat, was er denn im Jahresumsatz für Einnahmen gehabt hätte. Und ich glaube, er hat ein gutes Jahr erwischt, es kamen 70 Schilling heraus. Ein Gedicht nimmt eben nicht genug Platz ein, um ein Zeilenhonorar für viele Zeilen halbwegs vernünftig zu ersetzen. Die Instanzen nehmen Deckung hinter dem Sachverhalt, dass der Wert eines Gedichtes nicht in Geld umrechenbar ist. Was kostet Jandls Heldenplatzgedicht, und ist es seiner unübertrefflichen Qualität wegen überhaupt geeignet, einen allgemeinen Maßstab für lyrische Leistungen abzugeben?

Doppelzüngigkeit

Das ganze Subventions- und Preissystem ist ein System, das empfindlich auf die eigene Doppelzüngigkeit reagiert, einerseits Schriftsteller haben zu wollen, Künstler generell, und dass man, genauso wie für die Pflege oder für die Pädagogik, so wenig wie möglich dafür zahlen will. Die Schwerverdiener sind ja nicht selten Geistesaristokraten: Kunst und Geld, pfui Teufel, das verdirbt einem ja die Freude. Auch deshalb liebt man tote Künstler, man braucht sie nicht mehr zu bezahlen. Ob lebendig oder tot, womit generell am liebsten bezahlt wird, ist höchstens der Ruhm. Und für den Ruhm gibt es auch nur wenige, die ernsthaft infrage kommen. Als H. C. Artmann vom Staat Geld bekam, und Artmann war in der Tat jemand, den ein Staat sich leisten können muss, in jeder Hinsicht, in Hinsicht auf seine Kunst und auf den antipolitischen Charakter seines Werks und die scheinbaren Bocksprünge seiner Person.

Da gab es den Protest der bekannten Partei, die jetzt bei den Impfgegnern reüssiert, und man wollte dem Mann, dem Artmann, die Freude an der Unterstützung verwehren. Man hat schließlich davon abgelassen, weil eine Spur von Ahnung da ist, dass man solche Menschen braucht, wenn man in eigenen Angelegenheiten kulturpolitisch blenden will und wenn man als Staat sagen will, das gehört zu uns, "so sind wir", wenn wir gerade nicht in Ibiza schleimen.

Die ganze Überholtheit könnte man sofort einstellen, wenn es vernünftige Honorare, lebensnahe und lebensermöglichende Honorare gäbe. Dann könnten die Leute von ihres Geistes Arbeit leben. Anders als ich, der immer für seine Preise, und es waren ja einige, sehr dankbar ist, gibt es viele, denen die Preise zwar Geld bedeuten, denen aber die Ehre, die damit verbunden ist, gar nichts bedeutet. Die eher darüber spotten, indem sie zum Beispiel sagen, wenn man alt genug wird, bekommt man eh jeden Preis. Oder, wie Thomas Bernhard das sehr intensiv gemacht hat, dass er überall ausgetreten ist, was nur im Geringsten an eine Institution seines Missvergnügens und einer Preisverleihung erinnert hat. Die Freiheitsgedanken und der Geniekult bringen einen dazu, keine Preise anzunehmen, unter keinen Umständen – und das hat auch eine ernste Seite. Sie besteht darin – Günther Anders hat es unvergesslich gesagt –, dass man sich nur ehren lassen sollte von Menschen oder Institutionen, die man selbst ehrt. Umgekehrt gesagt, wer einen Preis annimmt, sitzt in einer Gemeinsamkeit mit anderen und sitzt in einer Selbstbelobigungsanstalt von Institutionen, die er unter Umständen auch ablehnen wird. Dann muss er bis zur Heuchelei mitspielen – oder eine Variante des Götz-Zitats zu ihrem Recht bringen.

In einer nichtperfekten Welt

In meinen Lieblingskrimis, Blue Bloods, wird sehr schön gesagt, in einer perfekten Welt wäre das so. Aber in einer nichtperfekten Welt ist es eben anders, und zwar so, wie es ist. Die Leute sind auf Preise angewiesen. Und leider sogar auf solche, die sie nur wegen Geldeswert annehmen. Deswegen hat der bereits zitierte Jandl sehr mühsam und sehr definitiv die Meinung vertreten, ein Schriftsteller müsste einen Beruf haben. Und die Gegenmeinung findet sich, wenn ich mich nicht irre, von Dürrenmatt vertreten, der der Meinung war, Schriftsteller-Sein heißt eben, unter den Bedingungen, die existieren, vom Schreiben zu leben.

Ich selbst arbeite in einem Patchwork: Ich lebe von dem einen und dem anderen, meistens schlecht. Wenn ich einmal einen Preis kriege, ist das Geld schon weg, bevor ich es ausgebe. Weil dann muss ich meine Schulden zahlen. Wer ein ordentlicher "Tippler" ist (wenn man es auf Österreichisch sagt), ein Saufbruder und ein Spieler, der verabscheut keinesfalls die Schulden, sondern betrachtet sie als einzig mögliche Investition in sein Leben: in den morgigen Tag. Und dafür ist auch der große Kosmos der Preise da – als Gegenstand der Hoffnung und der Nötigung. Denn es können nicht alle alles ablehnen und sogleich im Burgtheater aufgeführt werden. Weil letzten Endes setzt das Burgtheater für Künstler Preise aus. Es ist Kopfgeld, selbst wenn ein sogenannter "Direktor der Josefstadt" sein Defizit auch kopflos schafft. Man kann diese Preise auch "Lohn" nennen. Und der Lohn der Arbeit ist hart und dürr und nicht ruhmvoll und feierlich. Die Macht, die nicht zuletzt der Lohnverrechnung dient, hat natürlich auch hier ein unwiderlegbares Argument: Jeder Mensch, der sich anschickt, einen künstlerischen Beruf auszuüben, weiß im Vorhinein, welches Schicksal das ihm gemäße sein wird. Fürs Ändern wird man weiterarbeiten. Aber wer weiß, vielleicht bringt’s eines Tages was und sei es nur einen Preis. (Franz Schuh, ALBUM)

Franz Schuh, geboren 1947, ist Essayist und Schriftsteller ("Lachen und Sterben") und kann auf eine lange Liste an Preisen zurückblicken. Heuer bekam er den Johann-Heinrich-Merck-Preis für Kritik und Essay.
Foto: Imago / Rudi Gigler

Eine Lederjacke war mal drin

Gertraud Klemm

Die meisten Preise, die ich bekommen habe, sind direkt auf ein Sparkonto gewandert, damit bezahle ich meine Sozialversicherungsbeiträge. Drei Mal war es allerdings anders. 2010 habe ich einen Preis der Akademie Graz bekommen, das waren 2000 Euro. Vor der Verleihung bin ich durch die Stadt gelaufen, um Maroni zu kaufen, und habe dabei eine schwarze Lederjacke entdeckt, um 700 Euro. Die habe ich mir geleistet, wahnsinnig unvernünftig. Aber, zugegeben, das hat sich auch richtig geil angefühlt. Sie hat zwar schon Löcher, aber ich habe sie heute noch.

Und von einem anderen Preisgeld habe ich mir eine Normalzeituhr gekauft, die Armbanduhr im Stile der alten Wiener Würfeluhren. Da bin ich reingekracht, eigentlich wollte ich meinem Mann mal was richtig Teures schenken, aber stattdessen ist es dann die Uhr geworden – für mich. Uhren sind die einzigen Schmuckstücke, die mich interessieren, da war ich plötzlich gierig. Die dritte unvernünftige Entscheidung war eine nachhaltige Crowdfunding-Investition, die leider in die Hose gegangen ist. So was passiert eben auch.

Befriedigung stärker als Unvernunft

Die Befriedigung, endlich mit den Büchern Geld zu verdienen, ist meist stärker als die Unvernunft. Dass man kein regelmäßiges Einkommen hat, nagt ständig. Das eine Buch verkauft sich 10.000-mal, das andere nur für 500-mal, das ist alles nicht absehbar. Das macht vernünftig. Deswegen nimmt man jeden Speck, von dem man etwas länger zehren kann. (Gertraud Klemm, ALBUM)

Gertraud Klemm, geboren 1971, ist Schriftstellerin ("Hippo Campus") und 2021 mit dem Ernst-Toller-Preis ausgezeichnet worden. Darüber hinaus bekam sie unter anderem 2011 den Lise-Meitner-Literaturpreis und 2012 den Harder Literaturpreis.
Foto: Heribert Corn

Ein Preis für die Nistkästen

Martin Pollack

Es ist ja nicht so, dass ich zehntausende Euro bei einem Bordellbesuch ausgegeben hätte, damit kann ich nicht dienen. Ich habe aber beispielsweise einmal ein Preisgeld dafür verwendet, meine Nistkastensammlung aufzustocken. Ich bin ein begeisterter Vogelbeobachter, und die wirklich guten Nistkästen sind nicht billig. Jetzt habe ich zum Glück eine ganze Reihe dieser Kästen, über 20, von der Eule bis zum Zeisig, die braucht man schon für einen großen Garten. Und die Vögel danken einem das, obwohl sie manchmal Nistkästen verwenden, die gar nicht für sie gedacht sind. So habe ich ein künstliches Schwalbennest, in dem seit Jahren Rotschwänzchen hausen.

Wenn ich mich nicht irre, habe ich von einem Preisgeld einmal ein Auto gekauft. Der Preis war aber auch entsprechend dotiert, mit 40.000 Euro. Das war ein Mazda 3, feuerrot, ich fahre ja immer Mazda. Den hat später mein Gärtner aus Slowenien bekommen, seine Tochter fährt heute noch damit.

Teile der Preisgelder wurden auch immer für alltägliche Bedürfnisse verwendet. Beispielsweise für den Bau meiner Bibliothek oder generell größere Bücheranschaffungen. So habe ich vor Jahren antiquarisch ein umfangreiches polnisches Wörterbuch mithilfe eines Preisgelds erworben, den großen Doroszewski, elf Bände. Der Vorbesitzer war offenbar ein Kettenraucher, denn die Bücher stanken unbarmherzig nach Nikotin, sodass ich sie für einige Zeit im Freien lagern musste, natürlich unter Dach.

Insgesamt ist es schwierig, zu differenzieren, wofür man das jeweilige Preisgeld ausgibt, denn ich habe nur ein Konto, auf das alles kommt. Welches Geld dann wofür genommen wird, kann man nicht sagen. Das fließt alles ins Leben. Ich bin krank, und wir sind oft im Lockdown, da kommen mir nicht so viele Ideen für neue Ausgaben.

Manchmal sind die Preise ja gering oder auch gar nicht dotiert, wobei ich mich darüber genauso freue. Vor kurzem habe ich in Olmütz in Tschechien, dort, wo der Quargel zu Hause ist, einen Preis bekommen, das waren 1000 Euro, und eine schöne Medaille. Von dem Geld haben meine Frau und ich dann meinen Bruder zum Gansl-Essen eingeladen, da war gleich die Hälfte weg. Das Gansl und der Wein waren wunderbar. Ich bin 77 und habe das Gefühl, dass ich nicht mehr zu sparen brauche. (Martin Pollack, ALBUM, 30.12.2021)

Martin Pollack, geboren 1944, ist Journalist, Schriftsteller (zuletzt "Die Frau ohne Grab") und Übersetzer und hat in seiner Karriere zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Zuletzt wurde ihm der Würdigungspreis des Niederösterreichischen Kulturpreises verliehen.
Foto: Heribert Corn