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Justo Gallego Martínez ist mit 96 Jahren verstorben.

Foto: Getty Images

Wellblech, Ölkanister, einzementierte Eisenspiralen, Gitterzäune vom Schrottplatz und jede Menge Hohlblockziegel aus einem nahe gelegenen Ziegelwerk, das den arbeitenden Mönch mit Fehlbränden und Ausschussware versorgte. 1961 hat Justo Gallego Martínez, damals 36 Jahre alt, mit dem Bau seiner Kirche Nuestra Señora del Pilar begonnen. In den letzten sechs Jahrzehnten hat seine surreale, überwiegend aus Müll und Recyclingmaterialien errichtete Basilika eine Größe von 4500 Quadratmetern und eine stattliche Höhe von mehr als 35 Metern erreicht.

"Ich habe kein Geld, aber mit dem Hammer in der Hand gebe ich den Menschen ein Beispiel", sagte Gallego in einem Interview. "Manchmal werde ich sogar mit Antoni Gaudí verglichen. Aber mich deshalb als Künstler zu bezeichnen? Nein, ich bin einfach nur ein Diener Gottes." Die längste Zeit arbeitete Gallego, ein ehemaliger Trappistenmönch, der aufgrund einer Tuberkuloseerkrankung das Kloster verlassen musste, allein vor sich hin. Die Stadtgemeinde von Mejorada del Campo, einem Vorort im Osten von Madrid, duldete den schrulligen Autodidakten zunächst nur mit Obacht und überlegte zwischenzeitlich sogar, die Baustelle zu stoppen und das vermeintlich einsturzgefährdete Gebäude abzureißen. Keine Pläne, keine Haftung, keine Baugenehmigung.

Mit einer Werbung für die Mineralwassermarke Aquarius im Jahr 2005 und einer Fotoausstellung im Museum of Modern Art (MoMA) in New York jedoch wurde Gallego – und damit auch Mejorada del Campo – auf einen Schlag berühmt. Plötzlich strömten Touristen und Architekturstudierende aus aller Welt in die 20.000 Einwohner zählende Schlafstadt und wollten mit dem "verrückten Maurer" und dem "Narr Gottes" ins Gespräch kommen. Irgendwann hat’s dem alten Herrn mit blauer Montur und roter Wollmütze gereicht. "Hören Sie auf, mit mir zu reden, ich muss arbeiten! Fotografieren geht auch nicht! Werfen Sie lieber Geld in die Box, damit ich wieder Mörtel kaufen kann!"

60 Jahre lang hat der "verrückte Maurer" und "Narr Gottes" an der Kirche Nuestra Señora del Pilar in Mejorada del Campo gearbeitet. Nach dem Tod des Baumeisters Justo Gallego stellt sich nun die Frage: Wie geht man mit so einem gebastelten Schatz um?
Foto: Denis Doyle

Und davon gibt es in Mejorada del Campo jede Menge. Stufen, Wände, Bögen, Türme und Kuppeln sind tonnenweise mit Mörtel verschmiert. An den unzähligen, nach oben strebenden Säulen mit ihren wulstartigen Stößen kann man sogar die Bauweise ablesen: Als Schalung nämlich dienten handelsübliche Plastikkübel aus dem Baumarkt, denen der Boden ausgeschlagen wurde. Stück für Stück wurden die Zylinder, sobald der Zement ausgehärtet war, nach oben geschoben, um neue Lagen Beton aufzunehmen. "Ich kann nicht aufhören. Manchmal kann ich kaum noch meine Arme heben. Jeden Morgen bete ich, dass mich Gott bald zu sich holt."

Es droht Ungemach

Das hat er jetzt getan. Ende November ist Justo Gallego im Alter von 96 Jahren verstorben. Vor einigen Jahren bereits hatte er die Kathedrale seinem Assistenten und Wegbereiter Ángel Lopez überschrieben, der ihm seit 1997 zur Seite gestanden war. Der 52-Jährige will die Arbeit seines Meisters fortführen. In der Zwischenzeit findet sich die "Catedral de Justo", wie sie alle nennen, in Reiseführern und wurde sogar als Bien de Interés Cultural (BIC), als "sehenswertes Kulturgut", eingestuft.

Foto: Wojciech Czaja

"Justo hat sein Leben dem Bau dieser Kirche gewidmet", sagt Ángel Lopez im Gespräch mit der Tageszeitung El Español, "und ich empfinde eine Verantwortung, sein Werk zu vollenden. Ohne Plan? Ohne Bewilligung? Ich denke nicht. Jetzt geht es darum, eine Regelung zu finden." Die ersten Maßnahmen wurden bereits ergriffen: In den letzten Wochen hat sich das spanische Hochbau- und Ingenieurbüro Calter, das zurzeit das Bernabéu-Stadion und die 1976 errichteten Torres de Colón saniert, der Kirche angenommen und diese auf ihre Tragfähigkeit und Ausführungsqualität überprüft.

"Es ist unglaublich, dass diese Kathedrale von ein bis zwei Männern ohne Pläne und ohne statische Berechnungen errichtet wurde", sagt Jesús Jiménez Cañas, Partner bei Calter. "Aufgrund einer gefährlichen Überbelastung einer Seitenwand mussten wir in den letzten Wochen vier Kuppeln abreißen. Doch abgesehen davon ist das Tragwerk sehr steif, und trotz der unkonventionellen konstruktiven und gestalterischen Details ist das Gebäude robust und hochwertig ausgeführt."

Das Einholen von Gutachten und Genehmigungen soll nach Auskunft von Calter und der nun zuständigen NGO Mensajeros de la Paz ein bis zwei Jahre in Anspruch nehmen. Danach sollen die Bauarbeiten wieder fortgesetzt werden. Justo Gallegos Traum eines fertigen Gotteshauses könnte also in Erfüllung gehen. Doch wenn man sich anschaut, wie in Barcelona, 500 Kilometer weiter östlich, die Sagrada Família nach Plänen Antoni Gaudís zwar weitergebaut, in ihrer materiellen, bautechnischen und vor allem atmosphärischen Einzigartigkeit aber sukzessive überformt und verfremdet wird, droht auch in Mejorada del Campo Ungemach.

Wie geht man mit so einem gebastelten Schatz um? Wie setzt man so eine außergewöhnliche Baustelle fort? Und wie bewahrt man Justo Gallegos Geist, der schon vor 60 Jahren Kreislaufwirtschaft zu leben begann, als das Wort noch gar nicht existierte? Im Zeitalter von BIM, steigendem Kostendruck und einer zunehmenden Vergesetzlichung des Bauwesens gilt es, auf diese Fragen dringend Antworten zu finden. Ein Vorsatz fürs neue Jahr: Dieser Schatz darf nicht zerstört werden. (Wojciech Czaja, 30.12.2021)