Im Zuge der Covid-Welle im vergangenen Frühjahr waren die medizinischen Einrichtungen in Nepal weit über ihrem Limit.

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Ram liegt auf der Couch, an seiner Nase hängt ein Beatmungsschlauch, über den er seinem Körper Sauerstoff zuführt. Der 42-Jährige schaut in seine Handykamera, fast 24 Stunden Autofahrt ist er von Kathmandu entfernt, in einer Stadt im Süden Nepals. Das Reden fällt ihm teilweise schwer. Immer wieder muss er Pause machen und tief durchatmen.

Begonnen hat alles vor 13 Jahren, erzählt er. Da hat er plötzlich Fieber bekommen. Er musste damals viel husten, am dritten Tag kam Blut dazu. Im lokalen Spital diagnostizierten die Ärzte erst Tuberkulose – eine Krankheit, die in Nepal häufig vorkommt. Nach weiteren Tests tippten sie schließlich auf Herzprobleme und schickten ihn nach Kathmandu. Erst bei einem Spezialisten in der Hauptstadt bekam er seine Diagnose: pulmonale Hypertonie, also Lungenhochdruck (PH).

Die Krankheit gilt als "Seltene Krankheit". Laut europäischer Definition betrifft so eine Krankheit weniger als einen von 2.000 Menschen. Nach US-amerikanischen Standard kommt sie seltener als 200.000 Mal im Land vor. In Entwicklungsländern ist das Ausmaß dieser Krankheiten aber meist nicht untersucht.

Weite und teure Reise

Auch bei Mahindra wurde PH im Jugendalter diagnostiziert. Heute ist er knapp 50, eine Operation als Kind hätte die Probleme gänzlich beseitigt. Doch als er als Jugendlicher eine Klinik in Indien aufsuchte, war es dafür schon zu spät. "In einem Land wie Nepal – damals gab es keine Herzchirurgen", sagt er. An manchen Tagen kann er nur einige hundert Meter am Stück gehen, er kommt schnell außer Atem. Eigentlich sollte der 47-Jährige zweimal im Jahr zum Check-up. Doch die Reise nach Kathmandu ist weit und teuer.

Lungenhochdruck liegt eine Verengung der Lungengefäße zugrunde. Das Blut muss also mit erhöhtem Druck gepumpt werden. Das kann sich langfristig wiederum auf das Herz auswirken, das überbeansprucht wird. Im schlimmsten Fall kann es zu Herzversagen kommen. PH kann entweder durch Erkrankung der Lungenarterien an sich entstehen, oder er tritt als Begleiterscheinung anderer Erkrankungen auf – was häufiger der Fall ist.

Die Corona-Pandemie hat ein neues Schlaglicht auf Lungenerkrankungen weltweit geworfen. Aber schon vor der Pandemie hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO gewarnt, dass Lungenerkrankungen in den nächsten Jahren steigen werden.

Große Höhe als Risikofaktor

Im Westen findet PH daher immer mehr Beachtung. Manche werfen sogar die Frage auf, ob man überhaupt noch von einer seltenen Krankheit sprechen solle. Doch in wirtschaftsschwachen Ländern wie Nepal fehlt es oft an Möglichkeiten zur Diagnose, zur Behandlung und an Geld.

Dabei herrschen gerade in Nepal Faktoren vor, die das Risiko, an PH zu erkranken, drastisch erhöhen. Dazu zählen die enorme Luftverschmutzung in der Hauptstadt oder Abgase durch das Kochen am offenen Feuer. Ein entscheidender Faktor ist aber vor allem: die Höhe. Im Himalaja-Land Nepal leben mehr als die Hälfte der knapp 30 Millionen Einwohner in den Bergen. Während sich manche Höhenbewohner über Generationen an die veränderten Bedingungen angepasst haben, zeigen Studien, dass der längere Aufenthalt in großer Höhe zu chronischem PH führen kann.

Um solche Fälle aufzudecken, hat Rozam Khatiwada schon mehrere Gesundheitscamps in ländlichen Gegenden in Nepal durchgeführt – nicht nur in den Bergen, aber auch. Im Solu-Khumbu-Gebiet etwa, der Heimat der Sherpas am Fuße des Mount Everest, hat der Arzt aus Kathmandu mit seinem Team rund 1.000 Schüler und Schülerinnen untersucht. Rund 30 zeigten bei den Grunduntersuchungen auffällige Werte und wurden daher zur weiteren Abklärung in die Hauptstadt gebracht.

Eine der Patientinnen war eine elfjährige Vollwaise, die in sehr schlechtem Zustand war, erinnert sich der Arzt. In Kathmandu hatten sich die Ärzte rasch zu einer Operation entschieden. Nur sieben Tage später hatte er sie kaum wieder erkannt. "Es ist eine echte Erfolgsstory, es war unglaublich! Wenn wir sie nicht operiert hätten, hätte sie vielleicht noch drei oder vier Jahre gehabt. Jetzt geht es ihr aber gut."

Abgeschnitten vom Gesundheitswesen

Organisiert werden die Camps von der NGO PHA Nepal. Die Organisation will das Bewusstsein um die Krankheit vor allem in abgelegenen Gebieten erhöhen, wo die Menschen vom Gesundheitswesen des Landes größtenteils abgeschnitten sind. Rozam und seine Kollegen wollen dabei vor allem Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren, die noch keine Symptome zeigen, finden, um sie rechtzeitig behandeln zu können.

Finanziert wird die Organisation hauptsächlich von Spendern aus den USA, erzählt Rozam. Der US-Nepalese Choodamani Kanal hat die Organisation gegründet, nachdem er selbst an PH erkrankt war. Neben den Camps stellt PHA Nepal Geld für OPs, Transport und Nachversorgung zur Verfügung. Denn in Nepal existiert kaum medizinische Grundversorgung. Auch Ram ist bei PHA Nepal tätig. Eigentlich hatte er Umwelttechnik studiert, doch aufgrund seiner Erkrankung kann er nicht arbeiten und lebt in seinem Elternhaus. Die Medikamente, die er nehmen muss, sind teuer. Ohne Hilfe von außen würde das Geld oft nicht reichen.

Rare Infrastruktur

PH-Patientinnen wie Sajana haben mehr Glück: Als Krankenschwester in einem großen Spital in der Nähe von Katmandu bekam sie rasch die richtige Diagnose und auch die richtige Behandlung, deren Kosten außerdem vom Spital übernommen wurden. Das Dulikhel Hospital gehört etwa zu jenen Einrichtungen, die das volle Programm an Technik bieten können: Echokardiogramme, Computertomografien, Bluttests oder auch Katheter.

Die Covid-Pandemie hat allerdings gezeigt, wie schnell das Gesundheitssystem in Nepal ans Limit gerät. Rajendra Koju, Leiter des Spitals, bekommt jetzt noch Gänsehaut, wenn er an die zweite, verheerende Welle im vergangenen Mai denkt. Ihnen ist schlicht der Sauerstoff für die vielen Intensivpatienten ausgegangen. Und doch hat die Pandemie auch ein neues Bewusstsein für Lungenkrankheiten geschaffen. Der Spezialist für Höhenkrankheit Buddha Basnyat nannte die neuen Forschungskooperationen, die durch die Pandemie entstehen, jüngst in einem Podcast des "British Medical Journal" die "gute Seite" in all der Düsternis.

Der Zugang zu dieser Infrastruktur ist aber weiterhin nur einem geringen Teil der Bevölkerung möglich. Rozam Khatiwada plant unterdessen schon das nächste Gesundheitscamp. Im besten Fall, sagt der Arzt, würde er gerne einmal im Monat losziehen. Er möchte so viele Fälle aufdecken wie möglich – und so viele Patientendaten wie möglich sammeln, um mit diesen bei der Regierung Druck machen zu können. Und idealerweise möchte er ein portables Echogerät anschaffen. Dann könnten wichtige Untersuchungen vor Ort gemacht werden – um im Idealfall gleich Entwarnung geben zu können. (Anna Sawerthal aus Kathmandu, 30.12.2021)