Booker-Preis-Gewinner Damon Galgut (58) zählt zu den wichtigsten Autoren Südafrikas. Sechs seiner Bücher liegen auch auf Deutsch vor.

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Bernardine Evaristos Mädchen, Frau etc., Sharon Dodua Otoos Ada, Tsisti Danagrembgas Überleben, Colson Whiteheads Harlem Shuffle, Raven Leilanis Hitze und zuletzt Abdulrazak Gurnahs Das verlorene Paradies, und die Reihe ließe sich noch fortsetzen – so viele Bücher schwarzer Autoren wie wohl nie zuvor waren 2021 nicht nur in den Programmen deutschsprachiger Verlage vertreten, sondern fanden auch am Markt starke Resonanz. Sie gaben Einblicke in ei/1 ne Vielfalt schwarzer Lebenswirklichkeiten. Eine weitere Neuerscheinung liegt nun mit Damon Galguts Das Versprechen vor, das aber eine ganz andere Perspektive einnimmt.

Der 58-jährige, in Kapstadt lebende Autor erzählt darin vom Zusammenleben der weißen und schwarzen Bevölkerung in Südafrika zu Zeiten der Apartheid und danach. Die Handlung beginnt Mitte der 1980er und zieht sich über eine Spanne von vierzig Jahren. Es kommt einem mutigen kleinen Stunt gleich, dabei den Fokus auf eine weiße Familie zu legen. Galgut, einer der wichtigsten Autoren seines Landes und ethnisch europäischer Herkunft, meistert ihn eindrücklich. Im Sommer wurde das Buch in Großbritannien zu Recht mit dem Booker Prize ausgezeichnet.

Leicht, turbulent, komisch

Im Zentrum steht die Familie Swart, niederländischer Abstammung und damit Profiteure der Rassentrennung: Vater Manie, Mutter Rachel, die drei Kinder Anton, Astrid und Amor. In einer Hütte neben dem Haupthaus der Farm nahe Pretoria wohnt das schwarze Hausmädchen Salome. In vier Kapiteln schaut Autor Galgut im Abstand von Jahrzehnten immer wieder bei ihnen vorbei. Jeweils trauriger Anlass: der Tod einer Hauptfigur.

Das Familienleben kennzeichnen Geschwister, die nicht ans Telefon gehen, wenn die anderen anrufen, nervige Tanten, Affären mit dem Yogalehrer, Streit, ein sich aufdrängender Geistlicher. Das macht den Roman leicht, turbulent, komisch. Galgut verquickt die Familiengeschichte aber geschickt mit der Geschichte des Landes. So werden wir Zeugen vom Ende der Apartheid, von Nelson Mandelas Präsidentschaft, der Hoffnung auf eine neue Gemeinschaft, von Rückschlägen bis hin zum 2018 zurückgetretenen Jacob Zuma.

Leben zwischen Wendepunkten

Galgut erzählt diese historischen Wendepunkte jedoch nie direkt. Die Kapitel spielen in den Zeiten zwischen den großen historischen Umbrüchen – und die Familie Swart bekommt deren Auswirkungen zu spüren. So trägt Sohn Anton ab seinem Militärdienst ein Trauma mit sich herum, weil er im Einsatz eine schwarze Frau erschossen hat. Dürfen Schwarze erst im Auto nicht neben Weißen sitzen, liegen sie einige Jahre später im selben Krankenhauszimmer und erheben Rückerstattungsansprüche auf das Land. Astrids Mann gründet eine Firma mit einem Schwarzen, weil er als Weißer sonst in der "Rainbow Nation" keinen Fuß mehr in die Tür bekommt. Astrid hat einen schwarzen Liebhaber.

Galguts Figuren decken zwischen Egoismus, Opportunismus und Unrechtsempfinden die ganze Bandbreite im Umgang mit den Veränderungen ab. Man folgt ihnen gerne, und ihre Eigenheiten ziehen einen rasch tiefer in die Geschichte. Das liegt auch an Galguts generell im Ton lockerer Art zu erzählen. Immer wieder springt er zudem für Momente in die Köpfe verschiedener Figuren, um aus ihrer Sicht das Geschehen zu kommentieren. Dann wird die Geschichte besonders skandalös, emotional, boshaft. Zwischendurch richtet Galgut auch flapsige Zurufe direkt an die Leser oder weiß genauer, als es seiner Erzählperspektive eigentlich zusteht, wie viele Liter Urin und Kot in den vergangenen Stunden eine Toilette passiert haben. Er muss solche Glanzstücke gar nicht dauernd liefern. Zu wissen, dass jeden Moment solche unerwartete Funken sprühen können, leistet schon viel.

Mahnende Geste

Der Titel des Buches verdankt sich einem Versprechen, dessen Erfüllung bis zu den letzten Seiten dauert. Amor hat als Kind gehört, wie ihre Mutter wollte, dass das Hausmädchen Salome die Hütte, in der sie wohnt, geschenkt bekommt. Wie damit umzugehen sei, dazu verschieben sich neben der Rechtslage auch die Fronten in der Familie mehrmals. Es erscheint als mahnende Geste, dass die einzige Überlebende des Clans jene Figur sein wird, die am stärksten ihrer Privilegien entsagt und überkommene Strukturen zerbricht. (Michael Wurmitzer, 30.12.2021)