"Neue Zürcher Zeitung": Staatliche Propaganda

"Memorial schaffe, so erklärte die Staatsanwaltschaft (...), das 'lügenhafte Bild der Sowjetunion als eines Terrorstaates'. Eine solche Sichtweise kann im heutigen Russland offensichtlich nicht mehr geduldet werden. Ein Terrorstaat war die Sowjetunion unter Stalin jedoch zweifellos. Das Wüten der Erschießungskommandos, die Verschickung von Millionen in den Gulag, die Deportation ganzer Völker nach Zentralasien, die in Komplizenschaft mit Hitler erfolgte Unterwerfung Polens, die organisierte Hungersnot in der Ukraine mit Millionen von Todesopfern und vieles mehr belegen dies zur Genüge.

Dass Stalin schrittweise salonfähig gemacht wird und mithilfe der staatlichen Propaganda wieder für eine große Mehrheit der Bevölkerung als bewundernswerte Figur gilt, ist für Russlands weiteren Weg ein böses Omen. Wenn in Russland selbst die Verbrechen jener düsteren Zeit nicht mehr gefahrlos kritisiert werden dürfen, drohen dem Land eine zunehmende geistige Enge und ein Klima der lähmenden Angst, vielleicht gar ein Rückfall in die Barbarei."

Die Menschenrechtsorganisation Memorial wurde verboten, ihr Menschenrechtszentrum aufgelöst.
Foto: Imago Images / Itar-Tass / Anton Novoderezhkin

"Washington Post": Leuchtendes Beispiel für Zivilgesellschaft

"Mit dem Angriff auf Memorial zielt Putin darauf ab, eine der wichtigsten und greifbarsten Errungenschaften der demokratischen Blütezeit der späten 1980er- und 1990er-Jahre auszulöschen. Memorial war ein leuchtendes Beispiel für die Zivilgesellschaft, ein unabhängiger Verein, der gegründet wurde, um den Millionen von Menschen, die in Stalins Zwangsarbeitslager deportiert, die dort inhaftiert oder hingerichtet wurden, eine Stimme zu geben und Rechenschaft zu gewährleisten. (...) Aber diese Erinnerung an die Vergangenheit schmerzt Wladimir Putin, der solche dunklen Erinnerungen wegwischen und durch schwammige Erzählungen über sowjetische Triumphe ersetzen will, während er sich daranmacht, das, was von der russischen Demokratie übrig geblieben ist, zu beseitigen und durch eine Diktatur zu ersetzen."

"Der Spiegel" (Hamburg): Ideologische Bestimmung

"Die Vergangenheit gehört nicht mehr Russlands Bürgern, sondern Russlands Staat. Dreißig Jahre nach dem Ende der Sowjetunion hat Putins Russland so etwas wie seine ideologische Bestimmung gefunden, interessanterweise nicht in einem Bild der wünschbaren Zukunft, sondern in einem Bild der gewünschten Vergangenheit."

"Iswestija" (Moskau): Keine Beeinträchtigung

"Experten sind (...) der Ansicht, dass die Auflösung dieser Organisation die Arbeit zur Rehabilitation von Opfern politischer Repression in keiner Weise beeinträchtigen wird." (APA, red, 29.12.2021)