Die mykenische Kultur im bronzezeitlichen Griechenland ist die erste bekannte Hochkultur auf dem europäischen Festland. Sie ist nicht nur berühmt für herausragende Kunstwerke wie die "Goldmaske des Agamemnon", sondern markiert auch den Beginn einer exportorientierten Massenproduktion. Aufwendig hergestellte Keramikgefäße wurden ebenso gehandelt wie Schwerter aus Bronze.

Wie eine solche Massenproduktion vor mehr als 3.000 Jahren überhaupt möglich war, blieb lange Zeit rätselhaft, konnte aber nun durch detaillierte Untersuchungen geklärt werden: Rückstände im Zahnstein verraten, dass die Menschen damals bereits systematisch Braunkohle für ihre Brenn- und Schmelzöfen nutzten.

Abgasreste im Mund

Eigentlich ging es dem internationalen Forscherteam um Philipp Stockhammer von der Ludwig-Maximilians-Universität zunächst um die Frage, was Menschen im bronzezeitlichen Ostmittelmeerraum so gegessen haben. Für mögliche Antworten nahmen sie den Zahnstein von Menschen unter die Lupe, die im 2. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung in der Region vom griechischen Festland über Kreta bis zum östlichen Mittelmeerraum gelebt haben.

Die Herstellung von Bronzegegenständen in annähernd industriellem Maßstab war dem Einsatz von Braunkohle zu verdanken.
Illustr.: LMU/Nikola Nevenov

"Wir haben dabei festgestellt, dass im Zahnstein nicht nur Mikroreste, Fette und Eiweiße des jeweiligen Essens eingebettet und über die Jahrtausende erhalten wurden, sondern auch all der Ruß und die Abgase, die durch das Einatmen in den Mund kamen", erzählt Stockhammer. "Wir können also noch nach Jahrtausenden sagen, dass in den Feuerstellen und Öfen, vor denen die Menschen in den Werkstätten saßen, Braunkohle verbrannt wurde."

Lokale Holzarten und Haustierdung

Dass man im Zahnstein chemische Signaturen von verbranntem Kiefern-, Pinien- und Eichenholz finden würde – also von Bäumen, die auch heute noch in der Region wachsen – hatten die Forscher erwartet. Außerdem stellte man Hinweise darauf fest, dass Menschen Rauch eingeatmet haben, der bei der Verbrennung von getrocknetem Tierdung entsteht – ein in holzarmen und zugleich heiß-trockenen Regionen auch heute noch übliches Brennmaterial.

Die chemischen "Fingerabdrücke" von Braunkohle waren dagegen völlig überraschend. "Als wir die Datenserien aus der mykenischen Burg von Tiryns auf dem südgriechischen Festland und dem westkretischen Hafenort Chania analysierten, konnten wir es zunächst kaum glauben", sagt Stephen Buckley von der Universität Tübingen, der die chemischen Analysen vornahm. "Die Hälfte aller Individuen, die wir aus beiden Orten untersuchten – Männer wie Frauen – hatten neben den zu erwartenden Hölzern ganz klar auch die chemische Signatur von Braunkohle im Zahnstein." Diese unterscheide sich deutlich von Holzkohle.

Überreste von Tiryns südlich von Argos. Vom 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung an gehörte die Stadt zu den wichtigsten Zentren des bronzezeitlichen Europas.
Foto: LMU/Maria Kostoula

Braunkohlelagerstätten identifiziert

Die Signaturen sind überdies so spezifisch, dass die Forscher sie sogar mit konkreten heute bekannten Braunkohlelagerstätten verbinden können, schreiben die Forscher im Fachjournal "Scientific Reports". In Südgriechenland wurde in der Bronzezeit offensichtlich eine Lagerstätte in der Nähe von Olympia ausgebeutet, gut 150 Kilometer westlich von Tiryns. In Kreta wurde eine direkt in der Nähe von Chania gelegene Lagerstätte genutzt. "Damit können wir die Ausbeutung von Braunkohle bereits im 14. und 13. Jahrhundert v. Chr. nachweisen und damit gut 1.000 Jahre früher als man bislang angenommen hat", sagt Buckley.

Die Archäologen sind davon überzeugt, dass es diese erstaunlich frühe Nutzung von Braunkohle den mykenischen Griechen erst ermöglichte, in schier unglaublicher Zahl hochwertige Keramikgefäße und Bronzen herzustellen. "Die Funde mykenischer Keramik von Spanien bis Syrien zeigen, dass in den südgriechischen Werkstätten jährlich wohl zehntausende Gefäße vor allem auch für den Export produziert wurden", sagt Stockhammer.

Ressourcenmanagement neu beurteilen

Die frühe, fast schon industrielle Massenproduktion sei letztlich in einer dicht besiedelten und weitgehend entwaldeten Region nur deshalb möglich gewesen, weil man systematisch auf den fossilen Brennstoff Braunkohle zurückgriff. "Bislang hatte nichts darauf hingedeutet, dass man bereits in der Bronzezeit Braunkohle nutzte", sagt Stockhammer. "Wir müssen jetzt das Ressourcenmanagement im mykenischen Griechenland neu denken." (red, 31.12.2021)